Ex-Greenpeace-Chef kritisiert Wasserkraft-Ausbau scharf
«Die Schweiz schadet ihren Nachbarländern»

Die Schweiz will die Wasserkraft weiter ausbauen. Darunter würden auch die Nachbarländer leiden, sagt der ehemalige Greenpeace-Chef Kaspar Schuler.
Publiziert: 15.08.2023 um 00:08 Uhr
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Aktualisiert: 15.08.2023 um 12:45 Uhr
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Ex-Greenpeace-Chef Kaspar Schuler kritisiert den Ausbau der Wasserkraft.
Foto: Keystone
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Es war ein Triumph für die damalige Energieministerin Simonetta Sommaruga (63): An einem runden Tisch im Dezember 2021 einigten sich Energiebetriebe, Kantone und Umweltschutzverbände auf 15 Wasserkraft-Projekte, die schneller gebaut werden sollen. Doch dabei soll es nicht bleiben. Fast sicher ist, dass auch das Kraftwerk Chlus im Bündnerland hinzukommt. Auch andere Projekte stehen bereit.

Ein scharfer Kritiker dieser Offensive ist Kaspar Schuler (65). Der Ex-Greenpeace-Chef ist Geschäftsführer der internationalen Alpen-Schutzorganisation Cipra. «Es ist weltweit einmalig, wie wir für die Wasserkraft in die Ökologie eingreifen, obwohl bereits 95 Prozent des Schweizer Wasserkraft-Potenzials ausgereizt ist», sagt er.

«Wasserhähne Europas»

Schuler stört auch, wie die Schweiz mit ihren Nachbarländern umgeht, die flussabwärts liegen. «Die Schweiz und Österreich verfügen über zentrale Wasserhähne Europas. Sie entscheiden, wann sie ihr Wasser freigeben und wo sie es zurückhalten.» Um im Winter noch mehr Strom produzieren zu können, will die Schweiz im Sommer mehr Wasser in den Alpen stauen. Das angesparte Wasser wird im Winter verstromt. 

«Wird mehr Wasserkraft zugebaut, sitzt die Schweiz noch stärker am Drücker. Sie kann entscheiden, wie viel Wasser sie im Sommer ins Ausland fliessen lässt», sagt Schuler. Gerade Italien oder Frankreich seien jedoch im Sommer stark darauf angewiesen, dass die Schweiz Wasser durchlässt, um die Trockenheit zu bekämpfen. «Doch die Schweiz schaut zuerst auf sich und schadet so ihren Nachbarländern.»

Tatsächlich bettelte im vergangenen Jahr Norditalien um Schweizer Wasser. Der Po war fast ausgetrocknet, die italienischen Bauern fürchteten um ihre Ernte. Meuccio Berselli, Chef der Organisation, die die Gewässer der Poebene kontrolliert, appellierte im SRF an die Schweiz: «Wir bitten unsere Schweizer Freunde, den Pegel des Lago Maggiore zu stützen. Dies soll durch die Stauseen in den Alpen passieren.» Doch das Tessin behielt das Wasser bei sich, man leide ebenfalls unter der Dürre.

Auswirkungen «gering»

Das Bundesamt für Energie sieht derzeit keinen Handlungsbedarf. «Wenn alle 15 Speicherwasserkraftwerke des Runden Tisches Wasserkraft realisiert würden, wären die Abflüsse in der Rhone und im Rhein während der Sommermonate im Durchschnitt um einen kleinen einstelligen Prozentbetrag kleiner.» Die Auswirkungen auf den Abfluss im Ticino wären «sehr gering». 

Im vergangenen Jahr hätte auch Wasser aus dem Tessin den italienischen Flüssen nicht helfen können. Mit den Tessiner Speicherseen hätte das Defizit nur während zwei Wochen ausgeglichen werden können.

«Danach wären die Speicherseen leer gewesen», schreibt das Bundesamt. Und die Speicherseen hätten dann nicht mehr so schnell gefüllt werden können. Das hätte eine niedrigere Winterproduktion und einen entsprechend höheren Importbedarf bedeutet. «Alles Wasser, das wir im Sommer abgeben, fehlt uns im Winter und muss durch Importe ausgeglichen werden. Die angespannte Energieversorgungslage während des letzten Winters wäre dadurch noch gravierender ausgefallen.»

Expertin zweifelt

Auch Manuela Brunner von der ETH Zürich meint, dass die saisonale Verlagerung von Wasser für den Winterstrom einen eher geringen Einfluss auf die Trockenheit im Ausland hat. «Dafür ist die Speichermenge schlicht zu klein und die Speicher auch oft nicht mit den Orten verbunden, wo Trockenheit bekämpft werden soll.» 

Die Cipra um Schuler glaubt, dass die Schweiz und andere Länder mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien die internationale Alpenkonvention verletzen. Dieser völkerrechtliche Vertrag, den unser Land und sieben weitere Alpenstaaten sowie die EU unterzeichnet haben, soll das Gleichgewicht von Schutz und Nutzung in den Bergregionen garantieren. Die Schutzorganisation hat deshalb beim Überprüfungsausschuss Fragen eingereicht. Doch bis diese Untersuchung abgeschlossen ist, dürften Jahre vergehen. 

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