Eine 20 Meter lange Schlange kriecht in einen Spalt. Sie gleitet zwischen Betonplatten hindurch, die dicht aufeinander liegen. Verbogene und zerbrochene Metallstangen ragen aus dem Staub. In den Trümmern sucht die Schlange nach einem Opfer. Sie will nicht töten, sondern retten. Denn sie ist ein Roboter, der nach einem Erdbeben verschüttete Menschen aufspürt.
Das mechanische Wesen heisst Roboa und wurde an der ETH Zürich entwickelt. Studierende haben den Roboter im Juli vorgestellt, bei der Arche 2023. An dem Anlass tauscht sich die Schweizer Armee mit Start-ups aus. Ziel ist es, die Katastrophenhilfe der Zukunft zu erproben. Dazu durften rund 150 Forschende ein Militärgelände im Raum Genf nutzen. Normalerweise trainieren dort Rettungstruppen für den Ernstfall. Doch an der Arche 2023 testen Wissenschaftler ihre Systeme in den Trümmerhaufen, die überall herumliegen.
Retterin unter den Trümmern
Eines dieser Wundergeräte ist die Roboa. In ihr steckt ein Mikrofon, um mit Verschütteten Kontakt aufzunehmen. Damit sie unter dem Schutt nicht verdursten oder verhungern, pumpt der Roboter Wasser und Flüssignahrung zu ihnen, bis sie geborgen sind. Die Tech-Schlange kann durch enge Räume gleiten, die für Menschen unbegehbar sind. Dadurch schützt sie zugleich die Rettungskräfte, da diese nicht durch instabile Ruinen steigen müssen, um nach Überlebenden zu suchen.
Die Schlange besteht aus einzelnen Teilen. Zwei Personen können sie innert 15 Minuten zusammenbauen, an eine Stromquelle anschliessen – schon ist sie einsatzfähig. Bei Vollgas kann die Roboa pro Sekunde einen halben Meter zurücklegen. Sie bewegt sich wie eine unendliche Raupe, die von innen nach aussen gestülpt wird. Technisch wäre es möglich, die Roboa mit einer Künstlichen Intelligenz zu versehen, damit sie eigenständig Hindernisse überwindet. Aber noch ist die Schlange kein autonomes Wesen.
Ein Videospiel-Controller dient als Steuergerät
In ihrem Kopf steckt eine Kamera, die Aufnahmen an ein Tablet übermittelt. So sehen die Rettungskräfte in den Trümmerhaufen hinein. Anhand einer Konsole können sie den Roboter steuern. Dazu verwenden sie einen Playstation-4-Controller, was andeutet, wie jung die Entwickler sind. Betim Djambazi (26) ist Co-Geschäftsleiter von Roboa. Den Controller haben er und sein Team gewählt, weil sie gerne auf der Playstation zocken.
Die Roboa ist weltweit einzigartig. An der US-Universität Stanford entstand die Theorie. Doch die ETH Zürich setzte die Idee erstmals konkret um. Das Projekt angestossen hat Roland Siegwart (64), Professor für autonome Systeme. Siegwart ermutigte Djambazi und seine Mitstudierenden, im Bachelorstudium an der Umsetzung zu arbeiten. Mittlerweile sind alle im Master. Nur eine Person hat das Studium abgeschlossen. Doch bereits arbeiten sie mit dem Schweizer Drohnen- und Robotik-Zentrum zusammen, das dem Militär unterstellt ist.
Djambazi sagt: «Wir von Roboa setzen die Schlange bereits problemlos ein.» Allerdings sei das System noch nicht reif, damit andere sorglos damit umgehen können. Deshalb würden sie nun an der Benutzerfreundlichkeit arbeiten und Schulungen planen. Auch wollen sie das Gewicht des Roboters halbieren. Aktuell wiegt die Roboa 50 Kilo. Und dann bleibe nur noch eines: «Testen, testen und testen», sagt der junge Forscher.
Missbrauch im Krieg
Die Roboa soll Menschen retten. Doch letztlich lässt sich jede Technologie missbrauchen. In einem Krieg könnte die Schlange Stollensysteme erkunden. Und am Kopf liesse sich ein Sprengsatz montieren. Djambazi sagt: «Wir bemühen uns, das zu verhindern.» Aber bisher habe sein Team keine Massnahmen ergreifen müssen. Denn die Roboa habe nicht das Potenzial, um im Krieg eingesetzt zu werden.
Zu einem anderen Problem könnte das Design werden. Wer die Tech-Schlange nicht kennt, könnte in Panik geraten. «Wir müssen das noch abklären», sagt Djambazi. Was ihn positiv stimme: Ein Teammitglied habe eine Schlangenphobie und dennoch kein Problem. Er räumt aber ein: «Die Roboa ist unser Baby - und das findet man natürlich immer süss.»