Bis 2050 soll die Schweiz raus dem Atomstrom, erneuerbare Energien ausbauen und ihre Energieeffizienz steigern. So sieht es die Energiestrategie des Bundes vor, zu der auch das Schweizer Stimmvolk 2017 deutlich Ja sagte.
Didier Sornette (65), renommierter Risikoforscher an der ETH Zürich, hält dies für Wunschdenken, wie die NZZ schreibt. Allerdings befindet sich Sornette gegenüber seinen Kolleginnen aus der Forschung mit seiner Position in der Minderheit.
Den Übergang vom aktuellen Energiesystem zu einem, das vor allem auf Solarstrom setzt, ist gemäss Sornette eine optimistische Illusion. Zu diesem Schluss kommen der Franzose und sein Forscherkollege Euan Mearns (64) in einem neu veröffentlichten Arbeitspapier.
Der Schweiz droht ein Stromdefizit
In der Studie haben die beiden Forscher den aktuellen Strombedarf in einem Modell erfasst und anschliessend die zentralen Elemente der Energiestrategie 2050 darin eingebaut. Auch der steigende Strombedarf von rund 37 Prozent ist im Modell berücksichtigt. Denn grünere Technologien wie Elektroautos und Wärmepumpen stossen zwar wesentlich weniger CO₂ aus, verbrauchen dafür deutlich mehr Strom.
Ebenfalls haben sie die Pläne, künftig mehr Solarstrom zu, produzieren, um den Atomstrom zu ersetzen, in die Rechnung einfleissen lassen. Dennoch kommen Sornette und Mearns zum Schluss: Der Schweiz droht 2050 ein riesiges Stromdefizit.
Auf die Nachbarn und Sommerstrom ist kein Verlass
Gemäss ihren Berechnungen wäre die Schweiz dann auf bis zu 69 Prozent Elektrizität aus den Nachbarländern angewiesen. Das Problem ist allerdings: Mit Ausnahme von Frankreich verfolgen die umliegenden Länder ähnliche Energiestrategien. Das heisst: Auf Stromimporte aus den Nachbarländern wird also kein Verlass sein.
Wenn es aus dem Ausland keine Abhilfe gibt, dann vielleicht, indem man Strom im Sommer speichert? Funktioniert ebenfalls nicht, sagt Sornette. Denn gemäss seinem Modell entspricht der Überschuss, den die Schweiz im Sommer produziert, nur einem Bruchteil der Stromlücke im Winter. Ausserdem sei das Speichern von Strom in Elektro-Batterien extrem teuer.
Auch der Übergang zu einer Wasserstoffwirtschaft – wie ihn etwa SVP-Nationalrat Christian Imark (40) propagiert –, scheint Sornette nicht realistisch. Diese wäre wirtschaftlich ebenso wenig tragfähig und ineffizient.
Es braucht also weiterhin Atomstrom
Das Fazit des ETH-Forschers: Die Energiestrategie 2050 sei technisch und wirtschaftlich nicht umsetzbar. Um die Stromversorgung sicherzustellen, sollte man deshalb auch zukünftig weiterhin auf Atomstrom setzen. Ansonsten werde sich die Energiekrise bei jedem Ausstieg von einem der vier verbleibenden Atomkraftwerke weiter zuspitzen.
Die Kernkraftwerke mit Alternativen zu ersetzen, ist gemäss Sornette beinahe unmöglich. Zudem, fügt er an, seien AKWs weniger platz- und materialintensiv als riesige Solar- oder Windfarmen. Der optimale Strommix für die Schweiz setzt sich seiner Meinung nach deshalb aus Atomkraft, einheimischer Wasserkraft und einem Ausbau von Solarenergie, besonders in den Alpen, zusammen. (lm)