Sollte Adrian Leuthard (50) bei den Wahlen am 22. Oktober ins Parlament einziehen, werde es Parlamentarier geben, die einen grossen Bogen um ihn machen würden. So wird es zumindest kolportiert. In den sozialen Netzwerken nennen sie ihn den «Chuck Norris aus dem Freiburger Oberland».
Seinen Übernamen verdankt Leuthard – dreifacher Vater, Typ Sportler, seit 1995 Polizist – seinem Lebenslauf. Und Bildern, die ihn im Einsatz zeigen: Leuthard neben Yassir Arafat (1929–2004) am WEF in Davos, Leuthard auf der Treppe einer «Swiss Air Force»-Maschine, Leuthard in Vollmontur bei einer Einsatzbesprechung, Leuthard als Wettkampfschwimmer.
Ab 1999 arbeitete er im Team der Sondereinheit Basilisk der Kantonspolizei Basel-Stadt. Fachgebiete: Personenschutz, Sprengmittel, Einsätze in Luftfahrzeugen. Später wechselte er als Einsatzleiter zur Spezialeinheit Tigris der Bundeskriminialpolizei (Fedpol), beschützte Bundesräte, Nationalratspräsidentinnen und Staatsanwälte des Bundes auf Reisen in afrikanische Länder und den Nahen Osten. Seit anderthalb Jahren leitet er das Kommissariat Personenschutz beim Fedpol.
Als linker Polizist nach Bern
Und jetzt will er in den Nationalrat. Für die SP. «Meine Ambitionen nach meiner langen Tätigkeit bei Kantons- und Bundespolizei sind gross, denn ich kenne die Sorgen der Menschen», sagt Leuthard auf der Terrasse eines Cafés in der Freiburger Innenstadt.
«Die Menschen» vertritt er seit 2021 im Gemeinderat seiner Wohngemeinde Plaffeien FR, rund 3500 Einwohner. Als erster SP-Vertreter im Senseoberland überhaupt seit mehr als 30 Jahren. Ressort: Öffentliche Ordnung und Sicherheit. Seit dem vergangenen Jahr amtet er auch als Vizepräsident der SP Freiburg.
Über zehn Jahre macht Leuthard bereits Politik, die meisten davon als stiller Schaffer im Hintergrund. Sein Steckenpferd ist die Sicherheitspolitik. Er schrieb Papiere für die Polizei, für Politikerinnen und Politiker, arbeitete eng mit alt Nationalrätin Chantal Galladé (50) zusammen. Er sagt: «Polizistinnen und Polizisten haben kaum eine Lobby in Bern.» Auch deshalb will er an die politische Front. Als linker Polizist, gegen alle Klischees.
«Pfleger, Lehrerin, Polizistin müssen wieder Traumberufe werden»
Leuthard beklagt, dass die Sitten in der Schweiz roher geworden sind. Auch in der Politik. Dass man sich kaum mehr zusammenrauft und bestmögliche Lösungen erarbeitet, sondern nur noch mit dem Finger auf den politischen Gegner zeigt – und zwar egal in welchem Lager.
Aber: Die Schweiz müsse beginnen, die bestehenden Probleme zu lösen, sonst sei sie in zehn Jahren wirtschaftlich uninteressant, malt Leuthard schwarz. «Etwa im Bereich der Gesundheit, wir haben einen Notstand an Fachkräften. Dasselbe in der Bildung, und auch bei der Sicherheit. Hier müssen wir Gas geben, müssen ein Umfeld schaffen, damit Pfleger, Lehrerin, Polizistin wieder Traumberufe werden.»
Da will er ansetzen – und schiebt darum nach: «Wenn man als Politiker kein Wunschdenken hat, bringt man das Land nicht weiter.» Er möchte dafür seine Erfahrung und Werte, die er als Polizist lebt und die ihn auch als Politiker antreiben, nach Bern bringen: unvoreingenommen sein, allen zuhören, rasch Lösungen suchen. «Meine Stärke», sagt Leuthard.
Nicht immer auf Parteilinie
Denn: Er kennt das Gefühl, unterschätzt und erst einmal kritisch angeschaut zu werden. «Sowohl als Polizist als auch als Politiker erfährt man nie Wohlwollen von Anfang an.» Ein Brückenbauer, wie er einer sei, würde dem nationalen Parlament helfen, ist er überzeugt.
Dass er das Potenzial dazu hat, attestieren ihm selbst politische Gegner. Leuthard gilt als verlässlicher Macher, als lösungsorientierter Lokalpolitiker, der auch mal Kompromisse eingeht, ohne dabei immer strikt auf Parteilinie zu sein. Aus seinem Arbeitsumfeld heisst es: Er sehe Lösungen und nicht Probleme und funktioniere auch in absoluten Krisensituationen sachlich und professionell.
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Die Frage nach der politischen Zukunft für Leuthard ist deshalb vorab die Frage danach, ob einer, der so viel Vorschusslorbeeren erhält, auch wirklich gewählt wird.
Parlament oder Fedpol, beides geht nicht
Leuthard steht auf Platz fünf auf der Freiburger SP-Liste. Alle Bisherigen treten wieder zur Wahl an. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Verteilung der sieben Nationalratssitze stabil bleiben wird. Aber eben: Wer kein Wunschdenken hat, kommt nicht weiter.
Der einzige Wermutstropfen: Würde Leuthard gewählt, müsste er seinen Job beim Fedpol an den Nagel hängen. «Das ist etwas, was mich in der Nacht aufwachen lässt», gibt er zu. «Menschen zu schützen, ist meine Lebensaufgabe.»
Aber wie heisst es doch bei Chuck Norris: «Chuck Norris hat keine Albträume, die Albträume haben Angst vor ihm.»