«Wenn man von seiner Sache überzeugt ist, spürt man Stärke und Ruhe in sich.» Mit diesem Satz wurde Elisabeth Kopp im Dezember 1984 in einem Porträt zitiert.
Diese Stärke und Ruhe sah man, als sie zwei Monate zuvor, am 2. Oktober 1984, Schweizer Geschichte schrieb. An jenem Tag wurde sie als erste Frau in die Landesregierung gewählt. Sie trat im Nationalratssaal vor die Vereinigte Bundesversammlung und sagte:
«Mit meiner Wahl als erste Frau in den Bundesrat ist weniger mein persönlicher Erfolg verbunden; ich sehe darin vielmehr eine Anerkennung der politischen Leistungen aller Frauen auf den verschiedensten Stufen unseres Staatswesens.»
Wir trauern in diesen Tagen um die erste Bundesrätin der Schweiz und damit um eine Pionierin. Und wir trauern um Elisabeth Kopp als Frau und als Menschen.
Das erwähnte Porträt aus dem Jahr 1984 trug den Titel «Unerschütterlicher Wille». Elisabeth Kopp stellte diesen Willen immer wieder und selbst in den denkbar widrigsten Zeiten unter Beweis. Sie war aber mehr als das. Sie war eine Politikerin mit Herz und Verstand, mit Überzeugungen und Engagement.
Politisch prägend waren ihre Studienjahre. Sie betreute nach dem Ungarnaufstand Flüchtlinge, unterbrach dafür ihr Jusstudium. Sie sagte später einmal, das sei ihre «antiautoritäre Impfung» gewesen. Diese Impfung wirkte ein Leben lang.
Sie war auch eine lebensfrohe junge Frau. Das zeigte sie nicht nur als Eiskunstläuferin! Nachdem sie sich in den 1970er-Jahren als Gemeinderätin von Zumikon bei der Abstimmung über ein neues Schwimmbad durchgesetzt hatte, und zwar gegen einigermassen prominenten Widerstand, machte sie – so wird es erzählt – bei der Eröffnung des Bads auf dem Sprungbrett kurzerhand einen Handstand.
Ich lernte Elisabeth Kopp erst viel später persönlich kennen. Es verbindet, wenn man sich gegenübersteht als die beiden einzigen freisinnigen Frauen, die je in den Bundesrat gewählt wurden.
Aber sie war in meinem Leben schon lange zuvor präsent. Als Frau, als Politikerin, als Freisinnige. Sie wollte sich selber zwar nicht als Vorbild sehen. Aber ob sie wollte oder nicht: Sie war eine wichtige Identifikationsfigur für viele politisch interessierte Frauen.
Sie war 1974 die erste Gemeindepräsidentin überhaupt in der Deutschschweiz, wurde das erste weibliche Mitglied des zürcherischen Erziehungsrats, Nationalrätin und schliesslich die erste Bundesrätin der Schweiz. Sie war sich natürlich bewusst, dass sie eine Pionierin war. Als erste Bundesrätin wollte sie den Weg ebnen für andere Frauen in die Politik, in den Bundesrat. Sie hat diese Verantwortung übernommen.
Und sie hat dafür – man kann es nicht anders sagen – «geschuftet». Sie war nicht einfach strebsam, sie war kompetent, gründlich, präzis – und sie war und blieb immer eigenständig. Ich wähle dieses Wort ganz bewusst. Denn zu oft wurde ihr diese Eigenständigkeit abgesprochen. Und zu Unrecht.
Man mochte es ihr als Frau, als Ehefrau, als Bürgerliche nicht so recht zutrauen, dass sie tatsächlich unabhängig war und selber denken konnte. Das Telefonat an ihren Mann, das schliesslich zu ihrem Rücktritt führte, schien ihren Kritikerinnen und Kritikern recht zu geben. Und doch war sie in der Sache genau das: unabhängig. Auch unbequem. Sie sorgte sich um die Institutionen. Sie war, im besten Sinne, eine Freisinnige.
Elisabeth Kopp passte nicht ins Schema. Sie wurde in einer Zeit Bundesrätin, als ihr Mann es ihr noch hätte verbieten können. Von Gesetzes wegen.
Die Revision dieses Gesetzes, des Eherechts, war denn auch eine ihrer wichtigsten politischen Errungenschaften. Sie war noch Nationalrätin, als sie 1983 im Parlament vehement für diese Revision eintrat. Sie tat es mit analytischem Verstand und mit liberaler Überzeugung. Der Kritik, das Gesetz sei zu individualistisch und der Gesetzgeber habe es unterlassen, ein klares Bild von der Ehe zu schaffen, entgegnete sie mit den Worten: «Es kann doch nicht die Aufgabe des Gesetzgebers sein, den Ehepartnern ein neues Bild der Ehe zu geben und das gesetzlich zu verankern. Das muss doch Aufgabe der Ehepartner sein, wie sie ihre Ehe gestalten wollen. Genau das macht das neue Gesetz: Es lässt den Ehepartnern die Freiheit, wie sie ihre Ehe gestalten wollen.»
Als Bundesrätin und zuständige Ministerin kämpfte sie anschliessend auch für ein Ja an der Urne. Unermüdlich und erfolgreich. Im September 1985 wurde das neue Eherecht mit knapp 55 Prozent der Stimmen angenommen.
Sie setzte sich in einem Punkt übrigens bereits an ihrer ersten Bundesratssitzung durch: Sie wollte nämlich nicht «Frau Bundesrat» genannt werden wie die Bundesratsgattinnen, wie die Kollegen vorschlugen, sondern «Frau Bundesrätin», wie sie später gerne erzählte.
Wir können Elisabeth Kopp nie dankbar genug dafür sein, dass sie damals, am 2. Oktober 1984, die Verantwortung als erste «Frau Bundesrätin» übernommen hat.
Wir können ihr auch dankbar dafür sein, dass sie sich nicht vernichten liess. Obwohl es viel zu lange ging, bis sie nicht nur rechtlich, sondern auch politisch und gesellschaftlich rehabilitiert wurde.
Persönlich dankbar bin ich ihr als freisinnige Frau. Ich war in Gedanken bei ihr, als ich 2018 in den Bundesrat gewählt wurde. Es war mir eine besondere Ehre, nach 30 Jahren ihr Erbe antreten zu dürfen, im Bundesrat und im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement.
Aber nicht nur Politikerinnen können Elisabeth Kopp dankbar sein für die Vorarbeit, die sie geleistet hat. Alle können ihr dankbar sein. Für ihren Einsatz für die Gesellschaft, für ihren Dienst an unserem Land.
Ich möchte mein herzlichstes Beileid all jenen aussprechen, die um Elisabeth Kopp trauern und von ihr Abschied nehmen müssen. Ich wünsche ihrer Familie und ihren Angehörigen viel Kraft.