Politikwissenschaftler Claude Longchamp (63) bringt es auf den Punkt: In Parlament und Bundesrat entscheiden die Männer. Anders bei Volksabstimmungen: Da bestimmen öfter die Frauen, wo es langgeht.
Longchamps Analyse zeigt, dass sich Frauen in den letzten 30 Jahren viel öfter durchgesetzt haben als Männer. Gleich bei elf Abstimmungen waren sie das Zünglein an der Waage, die Männer dagegen konnten sich nur dreimal durchsetzen.
Frauen schiessen den Gripen ab
Das erste Mal zeigten Abstimmungsanalysen 1985 unterschiedliche Geschlechtermehrheiten, wie Longchamp bereits 2019 in der «Republik» auswertete. Thema war damals das geltende Ehe- und Erbrecht. 52 Prozent der Männer waren dagegen. Doch 61 Prozent der Frauen sagten Ja und wendeten das Blatt. Erstmals nach Einführung des nationalen Frauenstimmrechts im Jahr 1971 entschieden die Frauen so eine Abstimmung zu ihren Gunsten.
1994 bei der Abstimmung zur Rassismus-Strafreform war der Geschlechterunterschied noch grösser. 64 Prozent der Frauen waren für die Vorlage, 53 Prozent der Männer dagegen. Das letzte Mal stimmten Frauen und Männer 2014 unterschiedlich ab. Beim Referendum zum neuen Kampfflugzeug setzten sich die Frauen mit 58 Prozent durch und verhinderten den Gripen-Kauf.
Männer dürfen Armeewaffe zu Hause behalten
Verteidigungsministerin Viola Amherd (58) hatte daraus ihre Lehren gezogen und im Abstimmungskampf für neue Jets vom vergangenen Herbst gerade auf die Frauen abgezielt – mit hauchdünnem Erfolg.
Die Männer konnten sich viel seltener durchsetzen. Zuletzt 2011: Damals gaben die Männer bei der Initiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» den Ausschlag. Gegen den mehrheitlichen Willen der Frauen durfte die Armeewaffe weiter zu Hause aufbewahrt werden.
Nichtwahlen hatten Folgen
Für Longchamp lässt sich die Neuerung im Stimmverhalten der Frauen an zwei Ereignissen in der Schweizer Politik festmachen: zuerst die Nichtwahl von Lilian Uchtenhagen (1928–2016) in den Bundesrat 1983, dann der Frauenstreik von 1991 mit der Folge, dass Streikführerin Christiane Brunner (73) ebenfalls nicht in den Bundesrat gewählt wurde.
Beides führte zur starken politischen Mobilisierung von Frauen. Mit Folgen: Bei bisher männlich geprägten Gesellschaftsfragen, aber auch in der Umwelt- und Sozialpolitik wirkte sich die höhere Frauenbeteiligung auf die Abstimmungsresultate aus.
Ironie an der Sache: Nicht wenige Männer hatten vor Einführung des Frauenstimm- und des Frauenwahlrechts 1959 und 1971 für Zurückhaltung plädiert. Schliesslich brächten die politischen Rechte sehr viel Entscheidungsmacht mit sich. Sie sollten recht behalten.