So sieht es in der Pouletfabrik von Bell aus
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Zu Besuch in Zell LU:So sieht es in der Pouletfabrik von Bell aus

Dunkelkammer Pouletfabrik
Diese Bilder wollte die Fleischindustrie verhindern

Geht es nach den Fleischverarbeitern, sollen die Konsumenten vor der Abstimmung über die Massentierhaltungs-Initiative lieber nicht so genau wissen, wie die Realität in der Pouletindustrie aussieht. Das sorgt für Zoff mit den Bauern.
Publiziert: 31.08.2022 um 01:11 Uhr
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Aktualisiert: 31.08.2022 um 08:58 Uhr
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Während die Mitarbeitenden unten den Feinschliff machen, fahren über ihnen die Poulets vorbei.
Foto: Siggi Bucher
Lea Hartmann

Schweizerinnen und Schweizer lieben Poulet. Schenkel, Geschnetzeltes, Chicken Nuggets: Rund 15 Kilo Huhn ass jede und jeder im Durchschnitt im vergangenen Jahr. Das sind über fünf Kilo mehr als noch vor 20 Jahren.

Doch woher kommt das Fleisch eigentlich, das bei vielen von uns auf dem Teller landet? Blick wollte im Vorfeld der Abstimmung am 25. September über die Massentierhaltungs-Initiative dieser Frage nachgehen. Man sollte schliesslich wissen, wie die Realität aussieht, um sagen zu können, ob sich daran etwas ändern soll oder nicht.

Das sieht die Fleischbranche anders. Einen Mastbetrieb besuchen? Kein Problem. Doch zu erfahren, was mit den Hühnern passiert, wenn sie tot sind? Wie sie zerlegt und verpackt werden? Lieber nicht.

Keiner der vier grössten Schlachthöfe, die zusammen 98 Prozent des Poulet-Markts ausmachen, wollte Blick ursprünglich empfangen. Dass es schliesslich doch klappte, ist einem Aufstand der Bauern zu verdanken. Ein Making-of in vier Kapiteln.

Kapitel 1: Die Ausreden

Die Begründungen, weshalb eine Besichtigung bei den Firmen nicht möglich sei, fielen unterschiedlich aus. Die Migros, deren Tochter Micarna in Courtepin FR das meiste Schweizer Pouletfleisch verarbeitet, schob Sanierungsarbeiten vor.

Bauarbeiten verunmöglichten zufälligerweise auch beim Aargauer Familienunternehmen Kneuss Güggeli einen Besuch. Man stecke mitten in einer «gross angelegten Umbauphase» und wolle den Konsumenten keine Baukräne und Baustellen zeigen, weshalb Besuche derzeit nicht möglich seien, sagte CEO Daniel Kneuss (44). Zudem seien diese wegen der strengen Hygienebestimmungen ein «Sicherheitsrisiko».

Kapitel 2: Die Ängste

Ob das wirklich die Gründe für die Absage sind? Die beiden Betriebe beteuern es. In Gesprächen mit Blick wird stets betont, dass man wirklich an Transparenz interessiert sei. Aus der Branche hört man aber auch ganz anderes.

Schlachthöfe verpassen den Bauern, die sie beliefern, offenbar einen Maulkorb. Ein Unternehmer, der mit seinen Aussagen nicht namentlich zitiert werden will, sagt, man könne den Konsumentinnen und Konsumenten die Realität nicht zumuten. Und eine andere Person aus der Geflügelbranche meint: «Aufnahmen aus einem Grossschlachthof wären Wasser auf die Mühlen der Initiativbefürworter.»

Allein die Zahlen, wie viele Tiere in einem solchen Betrieb pro Tag geschlachtet und verarbeitet werden, «verstärken das Vorurteil der Industrialisierung der Tierhaltung», befürchtet die Person.

Die Aussagen der Branchenvertreter sind bemerkenswert. Die Fleischindustrie beklagt, dass die Konsumenten heute keine Ahnung mehr hätten, wie das Fleisch produziert wird, das sie essen. Aber ihnen die Realität zeigen, das will man dann doch nicht. Weil man Angst hat, dass das einen Einfluss auf den Ausgang der Abstimmung haben könnte.

Kapitel 3: Der Aufstand

Die Geheimniskrämerei der Verarbeiter sorgt für Zoff zwischen den Schlachthöfen und den Bauern. Blick weiss: Die Geflügelproduzenten haben den Verarbeitern, kurz nachdem Blick von diesen Absagen erhalten hatte, einen geharnischten Brief geschickt. Sie seien von ihnen «sehr enttäuscht», schrieben sie. Es könne nicht sein, dass der ganze Abstimmungskampf an ihnen, den Produzenten, hängen bleibe.

Auch Bauernverbandspräsident Markus Ritter (55) ist verärgert. «Ich erwarte, dass die Landwirtschaft im Hinblick auf die Abstimmung von Verarbeitung und Handel Unterstützung bekommt.» Die Branche müsse auf jeder Stufe offen und transparent sein. Dass die Schlachthöfe finden, man könne den Konsumenten die Realität nicht zumuten, hält er für «die völlig falsche Einstellung». Ein Produzent sagt zu Blick, er verstehe, dass man sich da frage, «welche Leichen wir im Keller haben».

Darum gehts bei der Massentierhaltungs-Initiative

Die Massentierhaltungs-Initiative fordert höhere Tierwohlstandards für Rinder, Hühner und Schweine. Künftig sollen für alle Nutztiere in der Schweiz in Sachen Tierhaltung die Biorichtlinien gelten. Es sollen also beispielsweise alle Tiere Auslauf haben, und es dürften nicht mehr so viele Tiere in einem Stall gehalten werden. Für die Umsetzung der Initiative hätten Bund und Landwirtschaft 25 Jahre Zeit.

Von der Initiative besonders stark betroffen wären Geflügelhalter. Statt heute bis 27'000 Mastpoulets dürften sie pro Betrieb nur noch höchstens 2000 Tiere halten. Viele Betriebe müssten schliessen, warnt die Branche.

Weil die Initiative wohl dazu führen würde, dass weniger Schweizer Fleisch produziert würde, hätte sie auch Folgen für die Schlachthöfe.

Die Massentierhaltungs-Initiative fordert höhere Tierwohlstandards für Rinder, Hühner und Schweine. Künftig sollen für alle Nutztiere in der Schweiz in Sachen Tierhaltung die Biorichtlinien gelten. Es sollen also beispielsweise alle Tiere Auslauf haben, und es dürften nicht mehr so viele Tiere in einem Stall gehalten werden. Für die Umsetzung der Initiative hätten Bund und Landwirtschaft 25 Jahre Zeit.

Von der Initiative besonders stark betroffen wären Geflügelhalter. Statt heute bis 27'000 Mastpoulets dürften sie pro Betrieb nur noch höchstens 2000 Tiere halten. Viele Betriebe müssten schliessen, warnt die Branche.

Weil die Initiative wohl dazu führen würde, dass weniger Schweizer Fleisch produziert würde, hätte sie auch Folgen für die Schlachthöfe.

Kapitel 4: Die Wende

Es war der Bauernverband, auf dessen Intervention hin schliesslich doch noch ein Besuch im Schlachthof möglich war. Wenige Stunden nach dem Telefonat mit Ritter hatte Blick den Bell-CEO Lorenz Wyss am Draht. Hatte Bell erst ebenfalls abgesagt, war man nun doch bereit, Blick zu empfangen. Unter klaren Bedingungen: keine politischen Aussagen, niemand steht vor die Kamera, keine Bilder, wie die Hühner vergast und gerupft werden.

Immerhin: Das Unternehmen mutet den Konsumentinnen und Konsumenten einen Teil der blutigen Realität zu. Eine Realität, die wohl jeder zumindest ahnt, über die man aber nicht gerne spricht – besonders vor einer Abstimmung wie der bevorstehenden. Doch wenn nicht jetzt, wann dann?

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