Adrian Waldvogel (58) klopft sachte an die Tür, bevor er sie öffnet. «Damit die Poulets wissen, dass jemand kommt, und nicht erschrecken», erklärt er. Dann tritt der Geflügelbauer in die längliche Halle.
12'000 Hühner leben hier, auf einer Fläche von 825 Quadratmetern – macht knapp 0,07 Quadratmeter pro Huhn. Unter das Piepsen der Tiere mischt sich das Geräusch der Lüftung, die dafür sorgt, dass es im Stall zwar nach Stall, aber nicht unangenehm riecht. Weil die Hühner noch relativ klein sind, ist zudem die Heizung aufgedreht. 27,6 Grad zeigt der Monitor im Vorraum des Stalls an.
15 Tage jung sind die Hühner – und haben damit die Hälfte ihres Lebens schon hinter sich. Nach 30 bis 39 Tagen fahren drei Lastwagen vor, die die Herde in den Schlachthof bringen. Ausstallung nennen das die Geflügelbauer. Dann kommt eine neue Herde und die Mast beginnt vor vorn.
Geht es den Tieren gut genug?
«Wir sind stolze Tierhalter», sagt Franziska Waldvogel (53), die den Betrieb in Stetten SH mit ihrem Mann führt. Das Ehepaar ist überzeugt, dass es den Hühnern in ihrem Stall gut geht.
Die Frage ist: gut genug? Aus Sicht der Initiantinnen und Initianten der Massentierhaltungs-Initiative, über die die Schweiz am 25. September abstimmt, nicht. Diese will die Regeln in der Tierhaltung weiter verschärfen und den Bio-Standard zur Pflicht machen. Am meisten Konsequenzen hätte die Initiative für Geflügelbauern wie die Waldvogels. Heute sind gerade einmal zwei Prozent des in der Schweiz produzierten Pouletfleischs Bio.
Mehr zur Initiative
Bio hat seinen Preis
Bio bedeutet, dass die Tiere beispielsweise zwingend Auslauf haben müssen. 92 Prozent der über 9 Millionen Mastpoulets haben das heute nicht. Auch die Hühner in Stetten haben lediglich Zugang zu einer Art Wintergarten. «Hierhin kommen sie gern, um die Abendsonne zu geniessen oder ein Staubbad zu nehmen», sagt Adrian Waldvogel.
Mehr bräuchten sie gar nicht, findet er. «Ein Huhn will nicht auf die Weide, es hat Angst», sagt Waldvogel, der dem Verband der Schweizer Geflügelproduzenten vorsteht. Zudem, argumentiert er, bräuchten Bio-Poulets nicht nur mehr Platz, sondern doppelt so viel Futter. Statt nur gut 30, werden Bio-Tiere 63 Tage gemästet. Das schlägt sich im Preis nieder: Ein Bio-Brüstchen ist im Schnitt über doppelt so teuer als ein konventionell produziertes.
3,2 Kilo Futter pickt ein Huhn bei Waldvogels, bis es auf die Schlachtbank kommt. Nach 30 Tagen ist ein Poulet knapp anderthalb Kilo schwer, «ein 36-Täger» gut zwei Kilo. Dass die Tiere kurz vor dem Schlachten gar nicht mehr richtig gehen können, weil sie wegen der gross gezüchteten Brust nach vorne kippen? Stimmt nicht, sagt Adrian Waldvogel. Jedenfalls nicht mehr. «Es gab eine Zeit, da wurden sie zu fest auf die Brust getrimmt. Heute ist das nicht mehr so.»
Waldvogels sehen schwarz
«Wir müssten unseren Stall schliessen, würde die Initiative durchkommen», sagt Geflügelproduzent Waldvogel. Und wie ihm würde es vielen gehen. Denn ein Ja zur Initiative wäre auch ein Nein zu grossen Ställen wie jenem in Stetten. Statt heute theoretisch maximal 27'000 dürften nur noch 2000 Mastpoulets pro Betrieb gehalten werden – und zwar in Ställen mit höchstens 500 Tieren. Die Folge: 900 Geflügel-Betriebe müssten entweder ihren Tierbestand verkleinern oder einen weiteren Betrieb eröffnen.
Angesichts dieser Konsequenzen löst die Initiative in der Geflügelbranche grosse Nervosität aus. Man fürchtet negative Presse, die den Ausgang der Abstimmung zu seinen Ungunsten beeinflussen könnte.
Die Massentierhaltungs-Initiative fordert höhere Tierwohl-Standards für Rinder, Hühner und Schweine. Künftig sollen für alle Nutztiere in der Schweiz in Sachen Tierhaltung die Bio-Richtlinien gelten. Es sollen also beispielsweise alle Tiere Auslauf haben und es dürften nicht mehr so viele Tiere in einem Stall gehalten werden. Für die Umsetzung der Initiative hätten Bund und Landwirtschaft 25 Jahre Zeit.
Die Massentierhaltungs-Initiative fordert höhere Tierwohl-Standards für Rinder, Hühner und Schweine. Künftig sollen für alle Nutztiere in der Schweiz in Sachen Tierhaltung die Bio-Richtlinien gelten. Es sollen also beispielsweise alle Tiere Auslauf haben und es dürften nicht mehr so viele Tiere in einem Stall gehalten werden. Für die Umsetzung der Initiative hätten Bund und Landwirtschaft 25 Jahre Zeit.
«Wenns ihnen nicht wohl ist, nehmen sie nicht zu»
Dass es Menschen gibt, die ihre Tierhaltung stossend finden, kann Adrian Waldvogel nicht nachvollziehen. «Wenns den Hühnern nicht wohl ist, nehmen sie nicht zu», sagt er. Und ob sie zunehmen, das kann er mit einem Blick aufs Handy prüfen. Im Stall stehen zwei Waagen, die automatisch messen, wenn ein Huhn draufsteht. Auch Lüftung, Wasser und Futter sind automatisiert geregelt.
Dennoch schaut Franziska Waldvogel mehrmals pro Tag, bei Küken sogar alle zwei Stunden, im Stall vorbei. Dafür muss sie vorher die Kleidung wechseln sowie Hände waschen und desinfizieren, das schreiben die Hygienerichtlinien vor. «Im Stall arbeite ich mit Auge und Nase», sagt sie. Zumindest theoretisch. Derzeit muss sich die Landwirtin auf den Sehsinn beschränken, weil sie seit einer Corona-Erkrankung nichts mehr riecht. «Ich schaue zum Beispiel, wie sich die Herde verteilt, oder halte bei einem Bibeli dessen Fuss an meine Wange, um zu prüfen, ob es genügend warm hat.»
Initiative halten sie für bevormundend
Die Waldvogels kümmern sich um ihre Hühner. Weil ihnen das Tierwohl am Herzen liegt, wie sie beteuern. Aber natürlich in erster Linie, weil die Poulets ihr Geschäft sind. Etwa 100'000 Hühner mästen sie jedes Jahr – macht 200'000 Pouletbrüstchen sowie ebenso viele Schenkel und Flügel, die im Supermarktgestell landen. Und später auf unseren Tellern.
Er finde es gut, dass viele Menschen heute bewusster als früher Fleisch konsumieren, sagt Adrian Waldvogel. Auch sie würden nicht mehr jeden Tag Fleisch essen. Die Massentierhaltungs-Initiative aber, die den Fleischkonsum zwangsläufig reduzieren würde, halten seine Frau und er für bevormundend. «Die Konsumenten können heute schon entscheiden, Bio zu kaufen, wenn sie das wollen», argumentiert der Bauer. Heute entscheiden sich allerdings die meisten dagegen.