Das EU-Parlament hat kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das strengere Vorschriften für die Lieferketten von Konzernen vorsieht. So, wie das 2020 die Konzernverantwortungs-Initiative (KVI) auch für die Schweiz verlangt hatte.
Der Abstimmungskampf über die KVI gehört zu den prägendsten politischen Ereignissen der vergangenen Jahre. Die Mobilisierung war enorm, die orangen Fahnen flatterten landauf, landab von den Balkonen der Häuser. Der Abstimmungskampf war aber auch gehässig wie selten in diesem Land. Beide Lager warfen sich Lügenkampagnen vor, es war von einer Kultur des «Trumpismus» die Rede, die die Schweiz befallen hatte.
Volk sagte Ja, trotzdem gab es ein Nein
Knappe 50,7 Prozent der Stimmbevölkerung sagten im November 2020 Ja zum Volksbegehren. Doch das Anliegen scheiterte am Ständemehr. Ein indirekter Gegenvorschlag des Parlaments trat am 1. Januar 2022 in Kraft. Die Konzernverantwortungsinitiative ist die bis dato letzte am Ständemehr gescheiterte Verfassungsvorlage.
Die Rolle der Schweiz im internationalen Kontext war eines der zentralen Argumente der Abstimmungskampagne über die KVI. Die Befürworter wollten eine Schweiz in der Vorreiterrolle. Der Bundesrat, der die Initiative ablehnte, warnte vor einem «Alleingang».
EU geht weiter als Initiative vorsah
Zweieinhalb Jahre nach der Abstimmung in der Schweiz hat nun das EU-Parlament für eine Verschärfung des sogenannten Lieferkettengesetzes gestimmt. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte in Brüssel für Vorschriften, die Unternehmen für die Bekämpfung von Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung entlang ihrer weltweiten Lieferketten verantwortlich machen.
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Einige Beschlüsse decken sich mit den Forderungen der KVI von 2020. In manchen Punkten gehen die geplanten EU-Richtlinien voraussichtlich noch weiter, zum Beispiel bei den Klimapflichten, der Aufsicht sowie der Haftung für Zulieferer:
- Grossunternehmen müssen verbindlich sicherstellen, bei ihren Geschäften keine Menschenrechte zu verletzen und die Umwelt nicht zu zerstören.
- Die Konzerne müssen einen Absenkpfad für ihre CO2-Emissionen definieren, der mit dem Pariser Klimaabkommen übereinstimmt.
- Konzerne sollen für Schäden haften, die sie durch mangelnde Sorgfalt direkt oder indirekt, etwa durch ihre Tochterfirmen und Zulieferer, (mit)verursacht haben.
- Eine Aufsichtsbehörde kontrolliert, ob die Pflichten eingehalten werden, und kann bei Verstössen umsatzabhängige Bussen aussprechen.
- Ausserdem müssen sie die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei ihren Partnerunternehmen in der Wertschöpfungskette überwachen. Dazu gehören Lieferanten, Vertriebspartner, Transportunternehmen, Lagerdienstleister oder auch die Abfallwirtschaft.
Dem neuen Lieferkettengesetz unterstehen Unternehmen mit Sitz in der EU, die mehr als 250 Angestellte und weltweit mehr als 40 Millionen Euro Jahresumsatz haben. Auch Unternehmen mit Sitz ausserhalb der EU sollen sich an das neue Regelwerk halten müssen, wenn sie mehr als 150 Millionen Euro umsetzen und mindestens 40 Millionen Euro davon in der EU.
Schweizer Unternehmen müssen nur «berichten»
«Die Schweiz muss jetzt einen Gesetzgebungsprozess starten, damit sie nicht bald das einzige Land ohne Konzernverantwortung ist», sagt Chantal Peyer, die für das Hilfswerk Heks im Vorstand der Koalition für Konzernverantwortung ist. Das ist zwar zugespitzt, denn der Gegenvorschlag des Bundesrats zur KVI hat ebenfalls Leitplanken zur Einhaltung von Grundregeln entlang der Lieferketten von Schweizer Unternehmen implementiert. Allerdings fallen diese weit hinter das nun von der EU verabschiedete Gesetz zurück. «Watson» nannte den Gegenvorschlag «windelweich».
Der Gegenvorschlag ist am 1. Januar 2022 in Form neuer Bestimmungen im Obligationenrecht in Kraft getreten. Zentraler Unterschied zur EU-Gesetzgebung: Er verpflichtet Unternehmen lediglich dazu, über ihre Bemühungen im Bereich Menschenrechte und Umweltschutz zu berichten («Reporting»). Einzig in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien müssen die Konzerne Massnahmen ergreifen. Und: Bei Verstössen drohen keinerlei Sanktionen.
Kritik an Bundesrat
Darum besteht jetzt Handlungsbedarf. «Da rund 60 Prozent der Schweizer Exporte in die EU fliessen, wird die Schweizer Wirtschaft in hohem Mass von dieser (neuen) EU-Richtlinie betroffen sein», schreibt das Bundesamt für Justiz. Der Bundesrat gehe darum von einem Anpassungsbedarf der Schweizer Regelung aus und will bis Ende 2023 die Auswirkungen der künftigen EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflicht «vertieft» analysieren. Bis im Juli 2024 will er zudem eine Vernehmlassungsvorlage ausarbeiten – aber nur im Bereich Reporting.
Peyer von der KVI ist enttäuscht. «Statt weiter nur auf ‹Berichterstattung› zu setzen, müsste der Bundesrat endlich auch im Bereich Konzernverantwortung ein Gesetz vorlegen», sagt sie. «Doch obwohl der Bundesrat im Abstimmungskampf versprach, sich für ein ‹international abgestimmtes› Gesetz und ‹gleich lange Spiesse› für Konzerne in der Schweiz und der EU einzusetzen, plant der Bundesrat kein Konzernverantwortungsgesetz in der Schweiz.»
Europäische Wirtschaft reagiert kritisch auf EU-Verschärfung
Einzelne Unternehmen haben bereits auf den Entscheid des EU-Parlaments reagiert. Die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers empfehlen Schweizer Unternehmen, sich proaktiv an den EU-Richtlinien auszurichten, um sich von der Masse abzuheben. «Wer sich nur an die laxeren Schweizer Vorschriften hält, läuft Gefahr, einen allfälligen Wettbewerbsvorteil zu verlieren.»
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Die Reaktionen im europäischen Ausland auf den Entscheid des EU-Parlaments sind derweil ähnlich wie jene der Schweizer Gegner der KVI während des Abstimmungskampfs in der Schweiz. So warnen deutsche Wirtschaftsvertreter laut dem «Spiegel» vor «überbordender Bürokratie und einer Schwächung europäischer Unternehmen auf dem Weltmarkt».
Schweizer Konzerne im Fokus
Die Schweizer Koalition für Konzernverantwortung verweist derweil auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch Schweizer Konzerne, die nach der Abstimmung 2020 bekannt wurden. Etwa die mutmassliche UBS-Finanzierung brasilianischer Konzerne, die in illegale Abholzungen verwickelt sind. Wie eine aufwendige SRF-Recherche zeigt, lässt der Genfer Reedereikonzern MSC seine Schiffe unter schlimmen Bedingungen an indischen Stränden verschrotten. Der «Guardian» berichtet, wie Syngenta die Gefährlichkeit ihres Pestizids Paraquat verschleierte.
Über den Sommer werden nun noch letzte Details zwischen den EU-Institutionen geklärt. Die EU-Mitgliedsstaaten haben dann zwei Jahre Zeit, die Richtlinien in nationale Gesetze zu überführen. 366 Abgeordnete sagten Ja zum geplanten EU-Lieferkettengesetz, 225 Abgeordnete waren dagegen bei 38 Enthaltungen.