Kampf um Steuer­privilegien für gemeinnützige Gruppen
Politiker wollen NGOs den Geldhahn zudrehen

Wann ist ein Engagement im Interesse der Gesellschaft? Wann reines Eigeninteresse? Grosse Fragen mit massiven Folgen für Schweizer NGOs.
Publiziert: 28.11.2021 um 00:26 Uhr
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Die Berner Pauluskirche im Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungs-Initiative.
Foto: Keystone
Simon Marti

Es klingt technisch, aber es geht um viel für Schweizer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – wenn nicht um alles. In weniger als zwei Wochen berät der Nationalrat, ob die Steuerbefreiung gemeinnütziger Organisationen aufgehoben werden soll, die sich politisch betätigen. Eine Annahme dieser Motion hat das Potenzial, die Schweizer Politik auf den Kopf zu stellen. Denn sie setzt dort an, wo die meisten NGOs am verwundbarsten sind: beim Geld.

Aktivisten warnen bereits, mit der Drohung, ihnen die Steuerprivilegien zu entziehen, würden sie faktisch mundtot gemacht. Ein fieberhaftes Lobbying hat eingesetzt, um die Parlamentarier von einem Nein zu überzeugen.

Konzernverantwortungs-Initiative brachte den Stein ins rollen

Am Anfang dieses Endspiels für die NGOs steht ihre grösste Machtdemonstration: die Konzernverantwortungs-Initiative, lanciert durch eine Trägerschaft von 130 Organisationen. Vor genau einem Jahr fand die Vorlage eine knappe Mehrheit im Volk, scheiterte aber am Ständemehr. Vorangegangen war ein wüster Abstimmungskampf.

Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieses Geschehens verfasste FDP-Ständerat Ruedi Noser (60, ZH) einen Vorstoss, der die heute geltende Steuerbefreiung dieser Organisationen infrage stellt. Wenn NGOs Referenden ergriffen und Volksinitiativen lancierten, sei ihre Tätigkeit explizit politisch, lautet seine Begründung. Das Verfechten eigener Interessen sei natürlich legitim, begründe aber, so Noser, kein Anrecht auf eine steuerliche Vorzugsbehandlung.

Nosers Position stösst bei vielen Bürgerlichen auf offene Ohren. Manchen, die sich gegen die Konzernverantwortungs-Initiative engagierten, steckt die Kampagne noch in den Knochen. Ein Gefühl, das sich in der heftigen Auseinandersetzung um die Agrarinitiativen im Frühjahr nochmals verstärkte.

Im Kern ringt das Parlament nun um die Definition, wann ein Engagement gemeinnützig ist und daher steuerlich besser gestellt werden darf. Und wann eine Organisation lediglich politische Interessenarbeit verrichtet, dann aber nicht mehr gemeinnützig wäre und den Anspruch auf Steuerbefreiung verlieren müsse.

Warum jemand, der eine Plakatkampagne gegen die Agrarlobby starte, ein Recht auf Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit habe, andere aber nicht, fragte Noser im Ständerat. Diese Argumentation verfing, eine knappe Mehrheit der Kollegen stimmte dem Vorstoss zu.

Als dann auch noch die vorberatende Wirtschaftspolitische Kommission (WAK) des Nationalrats die Motion zur Annahme empfahl, läuteten bei vielen Organisationen und Vereinigungen die Alarmglocken. Plötzlich droht im Nationalrat eine Mehrheit für den Vorstoss. Und dieses Votum wäre definitiv.

NGOs fürchten Beschränkung der Handlungsfreiheit

«Das ist eine Motion im Stile eines Viktor Orban», sagt SP-Nationalrat Fabian Molina (31, SP), Co-Präsident des Hilfswerks Swissaid. «Unsere Demokratie lebt davon, dass sich gemeinnützige Organisationen punktuell einbringen. Wer das unterbindet, will diese Stimmen zum Schweigen bringen.»

Man muss offenbar kein Linker sein, um diese Sichtweise zu teilen. Ein Beispiel: Oberst Dominik Knill präsidiert seit kurzem die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG), die sich den Einsatz für «eine starke und glaubwürdige Armee» auf die Fahnen geschrieben hat. Aus Debatten über Sicherheitspolitik oder Rüstungsgeschäfte sind Knill und seine Mitstreiter nicht wegzudenken. Dabei führten die kantonalen Gesellschaften und die Fachoffiziersgesellschaften «politische Kampagnen im Milizsystem», erklärt der Präsident. «Die SOG finanziert sich über Mitgliederbeiträge und freiwillige Zuwendungen und ist von der direkten Steuer befreit», fährt er fort.

Mit einer Annahme der Motion Noser bestehe für die Offiziersgesellschaften das Risiko, ihren Status zu verlieren. Knill: «Mit dem Wegfall der Steuerbefreiung verlieren die Offiziersgesellschaften an finanzieller Handlungsfreiheit. Die Existenz von Milizverbänden ist gefährdet. Dies gilt es unbedingt zu vermeiden.»

SGG wehrt sich

Auch die Mutter aller wohltätigen Vereinigungen, die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG), wehrt sich. In den kommenden Tagen erhalten alle Mitglieder des Nationalrats Post von der SGG. Darin bittet die Gesellschaft die Parlamentarier, Nosers Motion abzulehnen. Man könne sicher darüber diskutieren, ob und wie stark sich etwa Kirchen in einem Abstimmungskampf engagieren sollen, so SGG-Präsident Nicola Forster (36). «Aber aus Frust gleich alle Organisationen abzustrafen, geht zu weit.» Der Vorstoss sei ein Risiko: «Dass bei einer Annahme der politische Handlungsspielraum für gemeinnützige Organisationen eingeschränkt wird, ist klar.»

Forster verweist auf die vor über 100 Jahren von der SGG gegründete Pro Senectute: «Der Einsatz für die Rechte älterer Menschen ist ihr Sinn und Zweck und zwangsläufig politisch.» Dieses Engagement zu unterbinden, würde bedeuten, mit einer demokratischen Tradition zu brechen, meint Forster. Er hofft, dass eine Mehrheit des Nationalrats diese Warnung ernst nimmt.

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