Auf einen Blick
Es war ein unüblicher Anblick. Da stand Jacqueline Badran (63) vor versammelter Medienschar und weinte Freudentränen. Der monatelange Kampf zahlte sich aus: Das Schweizer Stimmvolk wehrte an diesem 14. Februar 2022 die Abschaffung der Stempelsteuer ab.
Für die SP war es bereits der zweite Referendumserfolg bei einem Steuerthema innerhalb von 17 Monaten. Auch im Herbst 2020, als es gegen die Erhöhung der Kinderabzüge ging, stand Badran zuvorderst.
Einsatz bis zum Limit
Bei der Stempelsteuer war es ein Engagement zu viel: Am Montag nach dem nächsten «Abwehrkampf» meldete sich die Wirtschaftspolitikerin über Twitter ab. «Ich bin dann mal weg», schrieb sie. Ihr Hausarzt habe ihr eine Politik-Pause verschrieben. Erst dreieinhalb Monate später kehrte sie ins Parlament zurück – pünktlich zu den nächsten beiden linken Referenden zur AHV-Reform und der Verrechnungssteuer.
Damals, vor der Abstimmung im Februar, sei es viel schlimmer gewesen als sonst, sagt Badran heute zu Blick. «Ich war viel mehr auf mich alleine gestellt.» Auch innerhalb der Partei war Unterstützung rar. «Zudem sind solche Steuerthemen immer sehr abstrakt. Sie haben kaum etwas mit der Alltagsrealität der Leute zu tun.»
Bei den Mieten wisse dagegen nun jede Person, was gemeint sei. Einfach sei es dadurch aber nicht gewesen. Ein Referendum durchzusetzen, sei oftmals eine Eigenleistung. Vieles habe sie mühsam und ganz alleine zusammentragen müssen. Dafür sitze sie oft auch nachts um 2 Uhr noch am Computer und ordne Zahlen ein.
Wenn Badran antritt, gewinnt die SP
«Alle denken, ich wäre so mächtig», sagt sie. Blickt man auf Badrans Referendumsbilanz, scheint dies auch zu stimmen: Seit der erfolgreichen Abwehr der Unternehmenssteuerreform III gewann die SP jedes Referendum, bei dem die Nationalrätin zuvorderst kämpfte. Auch beim Mietrecht triumphierte sie nun gleich doppelt, auch wenn bloss haarscharf. Vor der Urne zeigt sich die Zürcherin übermächtig – das mussten auch Gegnerinnen und Gegner bereits zugeben.
Dabei sei sie weiterhin nur «Klein-Jacqueline» – die bei den Mietvorlagen mit vollem Terminplan und nur einem ressourcentechnisch kleinen Verband im Rücken den Schaden von der Bevölkerung abwenden wolle. Zudem würde im Parlament unterdessen fast alles abgeschossen, was von ihr komme. Nur in der Wirtschaftskommission bringe sie ihre Anträge noch durch. Zugleich war Badran letztes Jahr die bestgewählte Nationalrätin der Schweiz. Und dies, nachdem das bei den fünf vorangegangenen nationalen Wahlen nur SVP-Vertretern gelungen war.
Die Zürcher Unternehmerin – sie ist Mitgründerin einer «Usability»-Agentur – ist vor allem für ihre ausführlichen Standpauken bekannt. Das Zusammenstauchen politischer Gegnerinnen und Gegner kommt bei der Stimmbevölkerung offensichtlich an: «Die Leute bedanken sich immer wieder bei mir, dass ich stellvertretend für sie den Job mache», sagt Badran. Sie selbst wolle, dass die Leute dank ihr auch Kompliziertes verstehen und ein Aha-Erlebnis hätten.
«Skandalisierend» oder ganz einfach vorbereitet?
Gegner bezeichnen sie dagegen gerne als «laut und emotional». «Wo Badran draufsteht, ist Badran drin», sagt etwa Mitte-Fraktionschef und HEV-Vorstand Philipp Matthias Bregy (46). Heisst: zwar engagiert, aber zugespitzt und skandalisierend. «Sie weiss, wie sie ihre Wählerinnen und Wähler erreicht.» Bei den Mietrecht-Vorlagen etwa mit scharfen Spitzen gegen die «Immo-Lobby» – und Argumenten, die nichts mit den aktuellen Vorlagen zu tun hätten, so Bregy.
Auf die Aussage angesprochen, zögert Badran erneut keine Sekunde, um zum Gegenschlag auszuholen: «Auch Bregy weiss eigentlich, dass ich faktenbasiert argumentiere», sagt sie. Die beiden sitzen zusammen in der Wirtschaftskommission. «Die Vermieter sprechen von kleinen technischen Änderungen und nehmen für ihre Kampagne 3,3 Millionen Franken in die Hand», fährt Badran fort. «Und über mich sagen sie dann, ich würde zuspitzen und skandalisieren?» Würde sie jeweils nur behaupten, merkten dies die Leute. «Vor allem bei mir, einer linken Frau.»
Auch in linken Kreisen sind Badrans Belehrungen berüchtigt. «Wenn ich mich eine halbe Stunde lang fühlen will wie ein kleines, dummes Schulmädchen, rufe ich einfach Jacqueline Badran an», schrieb die Slam-Poetin Patti Basler (48) letzthin in einem Post. Und zwar aus Bewunderung. «Jacky» komme halt draus. Auch Menschen, die mit Badran zusammenarbeiten, unterstreichen dies: Leider gebe es kaum eine andere Parlamentarierin in Bern, die sich so grundlegend in eine Materie vertiefe, wie sie es tue.
100 Stunden, um das Mietrecht zu verstehen
So auch bei den aktuellen Vorlagen: Mindestens 100 Stunden habe sie dafür aufgewendet, das Mietrecht zu verstehen, sagt die Biologin und HSG-Ökonomin Badran selbst. «Ich will jedes hinterletzte Detail wissen.» Und lässt durchscheinen, dass sie auch anders kann, als auszuteilen: Die Basler Anwältin Sarah Brutschin, mit der sie sich durch das Obligationenrecht büffelte, nennt sie anerkennend die «absolute Mietrechtspäpstin». «Von ihr habe ich alles gelernt, was ich weiss.» Wer es verdient, erhält auch Wertschätzung.
Beispielsweise auch ihr «Lieblingsmensch», Ehemann Victor. Anerkennend sagt sie, dass der militante Nichtraucher beinahe vier Jahrzehnte aushalten musste, wie sie Zigarette an Zigarette rauchte. Mittlerweile hat sie dem Glimmstängel abgeschworen: Seit etwas mehr als einem Jahr zieht sie stattdessen am Tabakerhitzer. Ihre SP-Kollegin Sarah Wyss (36) habe sie dazu verleitet. Doch auch hier ist sie vorbereitet, als ginge es um Leben und Tod: Während der Sessionen hat Badran gleich fünf Geräte dabei. «Kein Akku fürs Rauchen, das wäre schlimm», sagt sie.