«Die Partei legte uns Steine in den Weg»
Wie schwule Politiker kämpfen mussten

Die Abstimmung zur Ehe für alle scheint so gut wie entschieden. Noch vor zehn Jahren wehte Homosexuellen in der Politik ein rauer Wind entgegen.
Publiziert: 05.09.2021 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 05.09.2021 um 10:15 Uhr
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Die Ehe für alle dürfte am 26. September von einer Mehrheit des Stimmvolks angenommen werden.
Foto: keystone-sda.ch
Camilla Alabor

Die Ehe für alle war in der Schweiz vor rund 20 Jahren bereits einmal Thema – und komplett chancenlos: 1999 lehnte der Nationalrat einen entsprechenden Vorstoss mit 117 zu 46 Stimmen ab.

Doch schon wenig später begann sich ein Wandel abzuzeichnen. Deutlich wurde das im Jahr 2004, als das Parlament – und später auch das Stimmvolk – die eingetragene Partnerschaft deutlich guthiess. Noch immer gab es allerdings starke Opposition aus konservativen Kreisen: Die SVP lehnte die Gesetzesänderung mehrheitlich ab, die CVP enthielt sich grösstenteils der Stimme.

In diesem Jahr nun dürfte sich laut Umfragen eine klare Mehrheit des Stimmvolkes für die Ehe für alle aussprechen. Ein Stimmungswandel hat insbesondere bei CVP und SVP stattgefunden, wie Gespräche mit homosexuellen Politikern zeigen.

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«Krebsgeschwür, das man mit Chemotherapie behandeln muss»

So erinnert sich der Zürcher SVP-Politiker Michael Frauchiger (31) daran, wie er vor zehn Jahren die Gay SVP gründete, «um aufzuzeigen, dass es auch rechtsbürgerliche Homosexuelle gibt». «Das erzeugte rechten Gegenwind», sagt Frauchiger. «Von der Parteileitung wurden uns damals einige Steine in den Weg gelegt.» So wurde der Gay-SVP-Gruppe untersagt, das offizielle Parteilogo zu verwenden. Viele in der Partei hätten keine Freude daran gehabt, dass sich SVP-Politiker fünf Jahre nach der Einführung der eingetragenen Partnerschaft für ein «linkes» Thema einsetzten, so Frauchiger. Die Junge SVP Wallis bezeichnete die Gruppierung einmal gar als «Krebsgeschwür, das man mit Chemotherapie behandeln muss».

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Auch Beat Feurer (61), heute Sicherheitsdirektor der Stadt Biel, mag sich an die Vorbehalte erinnern, die er als Präsident der Gay SVP vor zehn Jahren zu spüren bekam. «Direkt ausgesprochen wurden sie selten», erinnert sich Feurer. Nur einmal sei es ihm passiert, dass jemand erklärte, es gehe nicht, dass jemand wie er als Kandidat auftrete. «Das ist der einzige Spruch, der mir in Erinnerung geblieben ist.»

Solche Erfahrungen blieben Mitte-Politiker Markus Hungerbühler (46) erspart. Er habe in seiner Partei nie irgendwelche homophoben Äusserungen erlebt, sagt der ehemalige Präsident der Stadtzürcher CVP. Auch nicht, als er vor rund zehn Jahren parteiintern eine LGBTI-Arbeitsgruppe mitbegründet habe. «Dennoch hat natürlich auch in der CVP ein Wandel stattgefunden: Dass sich laut Umfragen 63 Prozent der Mitte-Wähler für die Ehe für alle aussprechen, wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen.»

Die eingetragene Partnerschaft als Vorreiter

Entscheidend zu diesem Umdenken beigetragen hat laut Hungerbühler die frühere CVP-Bundesrätin Ruth Metzler (57), welche die eingetragene Partnerschaft auf den Weg gebracht hatte. «Die Einführung der eingetragenen Partnerschaft hat zu einer breiteren Akzeptanz der Homosexualität geführt – nicht nur in der Mitte-Partei, auch in anderen Teilen der Gesellschaft.»

Andere Faktoren dürften ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Die Tatsache etwa, dass andere westeuropäische Länder die Ehe für alle schon vor Jahren eingeführt haben – Holland im Jahr 2001, Spanien 2005, das erzkatholische Irland 2015 – oder dass homosexuelle Menschen in den vergangenen 20 Jahren an Sichtbarkeit gewannen. Offen lesbische Politikerinnen oder schwule Fernsehmoderatoren sind längst zur Normalität geworden.

«Homosexuelle haben nicht länger das Gefühl, sich verstecken zu müssen», sagt auch der Bieler SVP-Sicherheitsdirektor Feurer. «Das führt dazu, dass fast jeder jemanden kennt, der schwul oder lesbisch ist – und man deshalb auch nicht länger solch abwertende Kommentare macht wie früher.»

Akzeptanz hat zugenommen

Stellvertretend für diesen Mentalitätswandel steht Mitte-Ständerätin Brigitte Häberli-Koller (63). Die Thurgauerin hatte sich – damals noch im Nationalrat – bei der eingetragenen Partnerschaft der Stimme enthalten. Der Ehe für alle hat sie dagegen zugestimmt.

2004 sei die traditionelle Partnerschaft in der Gesellschaft noch tief verwurzelt gewesen, sagt Häberli-Koller. Ein paar Jahrzehnte zuvor sei es noch illegal gewesen, als unverheiratetes Paar zusammenzuwohnen. «Aber in den letzten 15 Jahren haben sich die Ansichten in der Gesellschaft verändert. Wir sind nicht stehen geblieben – zum Glück!»

So habe die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Beziehungen zugenommen. «Man ist offener geworden und hat selber Verwandte oder Bekannte, die so leben», sagt Häberli-Koller. «Heute bin ich eine klare Befürworterin der Ehe für alle.»

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