Gallatis Corona-Strategie hielt nicht lange
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Aargauer shoppen fremd:«Jetzt kaufe ich die letzten Geschenke halt hier»

Die Kehrtwende des Aargaus
Gallatis Corona-Strategie hielt nicht lange

Innert wenigen Wochen wendete sich die Corona-Strategie der Aargauer um 180 Grad. Wo im Aargau zuerst keine Verschärfungen infrage kamen, übertrumpft der Kanton nun als einziger die Bundesmassnahmen – und schliesst die Läden.
Publiziert: 21.12.2020 um 18:06 Uhr
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Aktualisiert: 04.01.2021 um 16:12 Uhr
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Der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati musste seine lockere Corona-Strategie über Bord werfen.
Foto: Keystone
Noa Dibbasey

Lange war der Aargau einer der Trödel-Kantone, die keine Massnahmen gegen die zunehmenden Corona-Ansteckungen ergriffen. Noch Anfang Dezember wollte man im Kanton nichts von den dringenden Handlungsempfehlungen des Bundesrats wissen – obwohl im Schnitt ein infizierter Aargauer mehr als nur einen weiteren ansteckte. Der sogenannte R-Wert lag über 1. Will man die Pandemie in Schach halten, sollte der Wert laut Bundesrat bei 0,8 liegen – 100 Angesteckte würden somit «nur» noch 80 weitere mit Corona infizieren. So würden die Ansteckungen langsam zurückgehen.

Aber der Aargauer Regierungsrat blieb trotz steigender Fallzahlen untätig. Man hoffte, der Bundesrat würde harte Massnahmen ergreifen, die Kantonsregierung hätte weiterhin zuschauen können. Doch als die Landesregierung am Freitag bloss Restaurants und Freizeitanlagen schloss, sah sich der Regierungsrat wegen der hohen Fallzahlen zum Handeln veranlasst: Er schloss im Aargau als einziger Kanton im Land die Läden.

BLICK zeigt, wie stark sich die Aargauer Haltung innerhalb eines halben Monats änderte.

Anfang Dezember: Ruhig Blut bei Regierungsrat Gallati

Anfang Dezember blieben verschiedene kantonale Gesundheitsdirektoren unbeeindruckt vom Massnahmen-Ultimatum des Gesundheitsministers Alain Berset (48) – allen voran aber der Aargauer Regierungsrat Jean-Pierre Gallati (54, SVP). Er stichelte gar: «Wenn der Bundesrat der Meinung ist, er könne die Lage in den Kantonen besser beurteilen als die Kantonsregierungen, steht es ihm frei, selber Massnahmen anzuordnen.» Tatsächlich hat es der Bundesrat in der Hand, schweizweit Massnahmen zu verhängen.

An seiner Medienkonferenz vom 7. Dezember betonte Gallati, dass von einer «dringlichen Notsituation», die Sofortmassnahmen erfordern würde, nicht die Rede sein könne. Das zeigten die Statistiken. Die Fallzahlen, die Zahl der Spitaleinweisungen und der Todesfälle seien schon seit einigen Wochen stabil, führte Kantonsärztin Yvonne Hummel aus.

Doch dann schlugen die Aargauer Spitäler Alarm: Zwar habe man in den Krankenhäusern noch Bettenkapazitäten, aber beim gesamten Pflegepersonal und den Ärzten auf den Intensivstationen sei die Situation kritisch, sagte Christoph Fux, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Aarau, einen Tag später in der «Aargauer Zeitung». Das Personal sei nach wochenlangen Höchstleistungen am Rande seiner Leistungsfähigkeit angelangt. Gallati blieb ruhig. Und heimste dafür Lob von seiner Partei ein.

Mitte Monat: Der Regierungsrat lenkt ein

Zwei Tage darauf verzeichnete der Kanton 508 Neuinfektionen – den bis da höchsten Wert überhaupt. Langsam dämmerte es der Aargauer Regierung: Der Kanton teile die Einschätzung des Bundesrats, hiess es auf einmal in einem Schreiben. «Die Entwicklung der epidemiologischen Lage in den letzten Tagen erfordert eine Verschärfung der Schutzmassnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie.»

Die anfänglichen Forderungen des Bundesrats, dass Restaurants und Freizeitangebote, aber auch Läden bereits um 19 Uhr schliessen müssen, nickten Gallati und Co. plötzlich ab. Doch dass Restaurants sonntags nicht öffnen dürfen – das ging den Aargauern damals noch zu weit.

18. Dezember: Die 180-Grad-Kehrtwende

Doch das Virus wartete nicht darauf, dass der Aargau aus seiner Untätigkeit erwachen würde – im Gegenteil, die Fallzahlen schnellten empor. Letzte Woche musste der Kanton einen neuen Höchstwert verzeichnen: 568 Corona-Fälle an einem Tag. Der kantonsärztliche Dienst ging von einer Verdopplung der Fallzahlen alle zwei bis vier Wochen aus.

Der Aargau war nicht allein: Auch in St. Gallen, in Zürich und in fast allen anderen Deutschschweizer Kantonen und dem Tessin war die Situation brenzlig. Am 18. Dezember beschloss der Bundesrat daher Verschärfungen: Restaurants müssen schliessen.

Jetzt plötzlich reichten der Aargauer Regierung die Massnahmen des Bundes nicht mehr. Noch am selben Tag übertrumpfte der Kanton die bundesrätlichen Verschärfungen: Er schloss auch viele Verkaufsläden. «Ein Zuwarten bis nach Weihnachten ist nicht zu verantworten», heisst es nun. Man müsse weitere Belastungen der Spitäler und des Gesundheitspersonals vermeiden.

Gallatis Regierungsratskollege Alex Hürzeler (55) steckt derzeit wegen Corona-Quarantäne im Homeoffice. Derweil stecken sich die Aargauer nun beim «Lädelen» in Nachbarkantonen an.

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