Der Wolf wird für Umweltminister Albert Rösti (57) zunehmend zum Problem. Aber nicht, weil Wölfe Schafe reissen, sondern weil Rösti keinen Wolfsexperten für das Bundesamt für Umwelt (Bafu) findet – und weil Ärger mit dem Europarat in Strassburg droht. Doch der Reihe nach.
Das Bafu hat 70 Sektionen. Doch nur eine gibt regelmässig zu reden: die Sektion Wildtiere und Artenförderung, die für den Wolf zuständig ist. Jahrelang leitete der Walliser Reinhard Schnidrig (64) die Sektion. Der promovierte Zoologe war zeitweise der prominenteste Bafu-Angestellte. Kein anderer Sektionschef musste so viele Anfragen aus Parlament und Presse beantworten.
Anti-Wolfspolitik im Bafu unter Rösti?
Fachleute sprechen über den Walliser in den höchsten Tönen. Anders als manche Schäfer behaupten, war Schnidrig kein Wolfsfreund, sondern ein Freund des Artenschutzes. Er wehrte sich gegen Tendenzen in Politik und Presse, den Wolf entweder zu romantisieren oder zu verteufeln.
Mit den Uvek-Vorstehern Moritz Leuenberger (77, SP), Doris Leuthard (61, damalige CVP) und Simonetta Sommaruga (64, SP) arbeitete Schnidrig bestens zusammen. Doch seit SVP-Bundesrat Albert Rösti an der Macht ist, weht im Bafu ein anderer Wind: Rösti drückte die Mindestzahl, die für den Fortbestand des Wolfs notwendig ist, von 20 auf 12. Nun brodelt die Gerüchteküche, ob Schnidrig aus Frust über Röstis Anti-Wolfspolitik im Bafu gekündigt hat.
In einem Interview mit der Fachzeitschrift «Jagd & Natur» stellt Schnidrig klar: Er wollte bereits mit 62 Jahren in Pension gehen und sich privaten Projekten widmen. Nur wegen eines Referendums sei er länger im Amt geblieben. Selbst im Ruhestand zeigt sich Schnidrig als loyaler Beamter: «Albert Rösti beendet nur das, was wir über Jahre vorbereitet haben.»
«Für 12 kenne ich keine fachliche Begründung»
Es sei klar, dass der Wolfsbestand reguliert werden müsse. Allerdings hadert er mit der Mindestzahl an Wolfsrudeln, die Rösti gesenkt hat. «Wichtig ist nicht die Zahl per se, sondern deren Begründung. Für 12 kenne ich keine fachliche Begründung. Minimal 20 Rudel lässt sich dagegen durch Überlegungen zum Fortpflanzungsverhalten, zur Erhaltung der genetischen Vielfalt und zum vorhandenen Lebensraum herleiten», sagt Schnidrig zu Blick.
Tatsächlich tun sich Röstis Beamte schwer, die Zahl 12 zu plausibilisieren: «2020 gab es 11 Rudel und rund 100 Wölfe», teilt das Uvek mit. «Damals lag der Bestand also unter der Schwelle von 12 Rudeln, und die Wolfspopulation war keineswegs gefährdet. Vielmehr wuchs sie unkontrolliert weiter. Deshalb wurde die Untergrenze leicht über dem Bestand von 2020 festgelegt.»
Trotz dieser Begründung könnte die Zahl 12 zu einem Rechtsstreit in Strassburg führen. Im November 2023 hat der Verein «CH Wolf» eine Beschwerde gegen die Schweiz zum Umgang mit dem Wolf beim Europarat in Strassburg eingereicht. Mit der Berner Konvention hat sich die Schweiz verpflichtet, alles für den Artenschutz zu tun. Im April 2024 hat das Büro der Berner Konvention mitgeteilt, dass es auf die Beschwerde eintritt, und hat die Schweiz aufgefordert, bis im Herbst verschiedene Fragen zur Einhaltung der Konvention zu beantworten.
Ärger mit dem Europarat in Strassburg
Röstis Kritiker argumentieren, ein Wolfsbestand von 12 Rudeln sei viel zu niedrig. Das Jagdgesetz verlange, dass der Bestand der Population nicht gefährdet werden dürfe. Auch halte die Schweiz ihr Versprechen nicht, die Alpenwolfspopulation langfristig zu sichern. Die Experten-Plattform der Alpenkonvention geht von 17 Wolfsrudeln in den Schweizer Alpen aus, hinzu kommen 3 Rudel im Jura.
Die Wolfsfreunde hoffen auf Röstis Pragmatismus: Der Gesamtbundesrat könnte sich viele juristische Debatten und den Ärger mit dem Europarat in Strassburg sparen, wenn er bei der neuen Jagdverordnung im Dezember 2024 den Minimal-Wolfsrudelbestand auf 20 wieder erhöhen würde.
Ausser juristischem Ärger bereitet auch ein Personalgeschäft Rösti Kummer: Noch immer hat er keinen Nachfolger für Schnidrig gefunden. Wie Blick weiss, hat Rösti einen fähigen Kandidaten blockiert.
Das Bafu bestätigt, dass die Besetzung der Schnidrig-Nachfolge «schwierig» verlaufe. «Die direkte Suche durch das Bafu verlief ergebnislos. Deshalb hat das Bafu die weitere Rekrutierung per Mandat an ein spezialisiertes Personalunternehmen vergeben. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.» Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erfuhr Blick, dass der Headhunter mindestens 86'000 Franken kostet. «Da die Rekrutierung noch nicht abgeschlossen ist, könnte, je nach Verlauf, der Preis nachverhandelt werden», teilt das Bafu mit.
Die Kantone kritisieren Rösti
Nun machen die Kantone Druck, dass die vakante Stelle endlich besetzt wird. «Der Konferenz für Wald, Wildtiere und Landschaft bereiten die personellen Vakanzen bei der Sektion Wildtiere beim Bafu Sorgen», sagt der Obwaldner Regierungsrat Josef Hess (63). «Wir haben das Bundesrat Rösti und der Bafu-Direktion mehrfach mitgeteilt. Die nächste proaktive Regulierungskampagne beim Wolf beginnt am 1. September und wird sehr anspruchsvoll.» Hess erwartet nun vom Bafu, dass aufgrund der Vakanz der Regulierungsprozess «pragmatisch gehandhabt» werde.
Was sagt Albert Rösti? Ein Sprecher teilt mit: «Der Prozess ist noch im Gang. Deshalb und auch aufgrund des Persönlichkeitsschutzes können wir uns dazu nicht weiter äussern.»