«Botschafter des Internets», so wird Jovan Kurbalija (55) in Genf genannt. 1992 hat der gebürtige Serbe die «digitale Diplomatie» erfunden. Was bitte soll das sein, Herr Kurbalija? «Was machen Sie am Morgen nach dem Aufwachen zuerst?», fragt er zurück und beantwortet die Frage gleich selbst: «Sie greifen zu Ihrem Handy und checken die Nachrichten oder Ihren Facebook-Account.»
Digitale Diplomatie sorge dafür, dass das möglich ist. «Viele Leute meinen, diese grenzenlose Kommunikation sei so natürlich wie der Sonnenaufgang. Doch sie fällt nicht einfach so vom Himmel – dahinter steckt ein ganzes, internationales System, das täglich geölt werden muss.»
Vom Programmieren zu Shakespeare
Es fällt schwer, sich einen besseren und gleichzeitig unbequemeren Diskussionsleiter vorzustellen. Kurbalija ist ein moderner Universalgelehrter mit breitem Wissen, der innerhalb von fünf Minuten übers Programmieren, über Shakespeare und «Forrest Gump» reden kann.
Er amtet als Chef der DiploFoundation, die 2002 von der Schweiz und Malta gegründet wurde. Als solcher leitet er das Projekt Geneva Internet Platform, das vom Schweizer Aussenministerium und dem Bundesamt für Kommunikation ins Leben gerufen wurde. Es soll einen neutralen Raum schaffen, wo Fragen rund um die Digitalisierung besprochen werden.
Seine Erfahrung: «Die einen sehen in der Technologie nur Chancen, die anderen den Weltuntergang.» Und beides stimme eben nicht. Aber wir müssten anerkennen, dass wir in einer digitalen Abhängigkeit leben.
Die Macht der Maschinen beschränken
Analog zum Klimawandel spricht Kurbalija vom «digitalen Wandel». Insbesondere die künstliche Intelligenz werde uns noch fordern – vor allem die Diplomatie. «Algorithmen sagen mir schon heute, welches Auto ich kaufen, welche Ferien ich buchen und welche Frau ich heiraten soll.» Algorithmen könnten das in vielen Fällen besser, rationaler als wir selbst. Die Frage sei: Wollen wir das auch?
Kurbalija sagt auch hier nicht Ja oder Nein. In einigen Dingen sei es sinnvoll, Maschinen Entscheidungen treffen zu lassen. Aber: «Wir sollten einen Bereich für uns reservieren – ich nenne das das Recht auf Unvollkommenheit, das Recht, falsche Entscheidungen zu treffen. Erst dies macht uns zu Menschen. Doch wir werden dafür kämpfen müssen.» Er sei nicht sicher, dass wir diesen Kampf gewinnen werden.
Spielregeln für alle – made in Geneva
Aber versuchen wird er es. Indem er in Genf mit allen internationalen Akteuren probiert, so etwas wie Spielregeln auszuhandeln. Spielregeln, die Menschenrechte, Freiheit und Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter garantieren.
Seit letztem Jahr hat Kurbalija dafür Unterstützung von allerhöchster Stelle: Uno-Generalsekretär António Guterres (70) hat ihn zum Co-Direktor des prominent besetzten Gremiums für digitale Kooperation ernannt, das Melinda Gates (54), die Frau von Microsoft-Gründer Bill Gates (63), und Alibaba-Chef Jack Ma (54) präsidieren.