So will der Bundesrat die Strombranche retten
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Absicherung im Notfall:So will der Bundesrat die Strombranche retten

Der grosser Report: Ukraine-Krieg verändert unsere Energie-Zukunft
Sorge um unseren Strom

Die drohende Stromlücke elektrisiert die Politik: Der Strombedarf steigt, doch der Ausbau der Produktionskapazitäten ist schwierig. Was genau ist das Problem? Die wichtigsten und spannendsten Fakten zur unsichtbaren Energie, die unser Leben bestimmt.
Publiziert: 19.05.2022 um 00:21 Uhr
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Aktualisiert: 25.04.2024 um 10:47 Uhr
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Der Stromverbrauch wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten massiv steigen.
Foto: Keystone
Lea Hartmann

Der Ukraine-Krieg hat der Diskussion um die Energie-Zukunft der Schweiz neue Dringlichkeit verpasst. Der Bundesrat will weg von Öl und Gas – nicht nur von jenem aus Russland. Das Ziel: netto null Treibhausgas-Emissionen bis 2050.

Damit rückt eine Energieform in den Fokus: der Strom. Die Schweiz wird, um vom CO2 loszukommen, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten massiv mehr Elektrizität benötigen als bis anhin. Die Versorgungssicherheit könnte schon bald gefährdet sein, warnt die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom). Umweltministerin Simonetta Sommaruga (61) will die Wasserkraftwerke darum dazu verpflichten, schon ab nächstem Winter eine Reserve bereitzuhalten. Zudem sollen zwei bis drei Gaskraftwerke als «Back-up» gebaut werden.

Sommarugas Pläne sind umstritten. Ebenso wie der Plan der SVP, das AKW-Verbot zu kippen. Doch woher kommt der Strom heute überhaupt – und wohin fliesst er? Blick liefert das Einmaleins zum Schweizer Strom.

Woher kommt der Strom aus der Steckdose?

Der Strom fliesst: In der Schweiz kann man diese Formulierung wörtlich nehmen. Zwei Drittel der 56 Terawattstunden Strom, die wir verbrauchen, stammen aus der Wasserkraft. Drei Viertel davon werden in der Schweiz produziert – in Speicherkraftwerken mit Speicherseen sowie in Laufkraftwerken an Flüssen. Den grössten Teil der restlichen erneuerbaren Energie liefern Solarzellen.

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Wie grün ist der Schweizer Strom?

Die Schweiz hinkt beim Ausbau der erneuerbaren Energien im Europavergleich hinterher. Erst sieben Prozent des Stroms wurden 2020 aus Sonnen- und Windenergie oder Biomasse gewonnen. Ein Drittel des in der Schweiz produzierten Stroms liefern die vier Atomkraftwerke – noch. Nachdem die Schweiz 2011 den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen hat, dürfte das letzte AKW in rund 20 Jahren vom Netz gehen.

Wie abhängig sind wir vom Ausland?

Elf Prozent des Stroms, der aus der Steckdose fliesst, stammen aus dem Ausland. Übers ganze Jahr gesehen exportiert die Schweiz zwar mehr Strom, als sie importiert. Im Winter ist das aber anders: In den letzten 20 Jahren waren wir in den kalten Monaten fast immer auf ausländischen Strom angewiesen, um den Strombedarf zu decken. Im Schnitt muss die Schweiz im Winter seit 2010 rund 4 Terawattstunden Strom importieren.

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Das liegt daran, dass in der Schweiz im Winter deutlich mehr Strom gebraucht, gleichzeitig aber weniger produziert wird. Je grösser der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix, desto grösser wird diese Winterlücke. Denn bei Wasserkraft und Fotovoltaik gibt es grosse saisonale Schwankungen.

Warum ist das ein Problem?

Die Abhängigkeit vom Ausland ist ein grosses Risiko für die Versorgungssicherheit in der Schweiz. Die Elcom warnt, dass die Schweiz bereits 2025 mit Stromknappheit konfrontiert sein könnte.

Ein Grund dafür ist das gescheiterte Rahmenabkommen. Ohne dieses ist ein Stromabkommen mit der EU in weite Ferne gerückt. Und ohne dieses Abkommen könnte es laut Bund wiederum passieren, dass Deutschland, Frankreich und weitere Nachbarländer ab 2025 wegen neuer Regeln zeitweise deutlich weniger oder sogar gar keinen Strom mehr in die Schweiz exportieren. Zudem bauen auch die Nachbarstaaten den Anteil erneuerbarer Energien stark aus, was einen Einfluss auf die Versorgungssicherheit in der Schweiz hat.

Wie kommt der Strom vom Kraftwerk in die Steckdose?

250'000 Kilometer Leitungen sorgen dafür, dass der Strom überall dort verfügbar ist, wo wir ihn brauchen. Würde man alle Kabel aneinanderreihen, könnte man damit sechsmal die Welt umspannen. Das rund 6700 Kilometer lange Hochspannungsnetz ist fast vollständig überirdisch – an Masten – verlegt und wird für den Stromtransport über grosse Distanzen gebraucht. Bis der Strom in der Steckdose landet, wird die Spannung in mehreren Schritten reduziert. Die Feinverteilung des Stroms findet meist unterirdisch durch Erdkabel statt. Der Import und Export von Strom erfolgt über 41 grenzüberschreitende Stromleitungen.

Wer verbraucht am meisten Strom?

Gut ein Drittel des Stromverbrauchs geht aufs Konto der Haushalte. Von 2000 bis 2020 ist der Haushaltsverbrauch im Schnitt pro Jahr um 1 Prozent gestiegen. Der Grund dafür: das Bevölkerungswachstum.

In den vergangenen Jahren hat sich der Haushaltsverbrauch stabilisiert, was sich mit der zunehmenden Energieeffizienz von Waschmaschinen, Backöfen, Fernsehern und anderen Geräten erklären lässt. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist gesunken.

Der grösste Stromverbraucher der Schweiz sind die SBB: Auf den öffentlichen Verkehr fallen knapp acht Prozent des Stroms, ein Grossteil wird für den Betrieb des Zugnetzes benötigt. Die SBB sind aber nicht nur Stromverbraucher, sondern auch Stromproduzent. Ein Grossteil des verwendeten Stroms stammt aus eigenen Wasserkraftwerken. Zehn Prozent sind Atomstrom, der bis 2025 vollständig durch erneuerbare Energien ersetzt werden soll.

Was sind die grössten Stromfresser im Haushalt?

Am meisten Strom verbraucht ein Durchschnittshaushalt in der Küche. Eine Familie mit zwei Kindern, die in einem Einfamilienhaus lebt, nutzt im Jahr rund 450 kWh für Herd, Backofen sowie Kaffeemaschine und andere kleinere Küchengeräte. Der Kühlschrank braucht laut BFE-Schätzung etwa 330 kWh und der Geschirrspüler 250 kWh. Viel Strom frisst aber auch die Beleuchtung: rund 420 kWh. Fast gleich viel geht für den Fernseher und andere Unterhaltungselektronik drauf. Computer, Drucker, Modem und Co. verbrauchen im vierköpfigen Durchschnittshaushalt etwa 330 kWh.

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kWh, TWh – was heisst das?

56 TWh Strom hat die Schweiz 2020 verbraucht, ein durchschnittlicher Schweizer 4-Personen-Haushalt braucht um die 5000 kWh pro Jahr und eine LED-Lampe in einer Stunde etwa 5 Wattstunden. Messgrössen, unter denen sich viele nichts vorstellen können.

1 Terawattstunde (TWh) entspricht Tausend Gigawattstunden (GWh) beziehungsweise einer Milliarde Kilowattstunden (kWh). Die Masse geben an, wie viel Energie ein Gerät verbraucht beziehungsweise ein Kraftwerk produziert. Ganz praktisch: Wenn man sich zwei Stunden lang die Haare föhnt, verbraucht man 1 Kilowattstunde. Übrigens: Im Schnitt kostet 1 kWh Strom in der Schweiz gut 20 Rappen.

Wie viel Geld macht die Schweiz mit dem Stromhandel?

Das lukrative Strombusiness – das war einmal. 2008 hat die Schweiz mit Exporten über 2 Milliarden Franken eingenommen, 2020 waren es gerade einmal noch knapp 300 Millionen. Und das, obwohl der Ausfuhrüberschuss vor zwei Jahren deutlich grösser war als 2008. Grund dafür sind laut dem Bundesamt für Energie enorme Preisschwankungen auf dem Strommarkt. Und diese nehmen wegen des Kriegs in der Ukraine noch zu. Der Bundesrat plant daher einen Rettungsschirm für die Strombranche.

Wie sauber ist der Schweizer Strom im internationalen Vergleich?

In der EU hat sich der Anteil erneuerbarer Energien in den letzten zehn Jahren verdoppelt, wobei insbesondere die Wind- und Solarenergie ausgebaut wurde. In Deutschland stieg der Anteil von sieben Prozent im Jahr 2000 auf heute über 40 Prozent. Allerdings basiert noch immer knapp ein Fünftel der Stromproduktion des nördlichen Nachbarlandes auf Kohle. Frankreich hingegen ist ein Atomstrom-Land, Italien setzt vor allem auf Erdgas. In Österreich sind über 80 Prozent des produzierten Stroms grün – rechnet man allerdings auch den importierten Strom mit ein, beträgt der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch noch gut einen Drittel.

Was ist beim Ausbau erneuerbarer Energien bisher gegangen?

Zum ersten Mal staatlich gefördert wurde der Ausbau des grünen Stroms in den 90er-Jahren. Ein Meilenstein war dann das Ja der Stimmbevölkerung 2017 zur Energiestrategie 2050: Die Schweiz beschloss ein Verbot neuer Atomkraftwerke und die stärkere Förderung erneuerbarer Energien. In der Folge ist der Anteil des grünen Stroms an der inländischen Produktion in den letzten Jahren stetig gestiegen. 2000 wurde mit Sonne, Wind und Biomasse erst ein Prozent des Stroms in der Schweiz produziert. Heute liegt der Anteil bei sieben Prozent.

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Das Ziel des Bundes ist, die Stromproduktion durch erneuerbare Energien – Wasserkraft ausgenommen – von heute 4700 GWh bis 2035 auf 17'000 GWh zu erhöhen. Die Wasserkraft soll bis 2035 auf 37’400 GWh steigen und bis 2050 auf 38'600 GWh.

Und wie geht es weiter?

Wärmepumpen statt Ölheizungen, Elektroautos statt Benziner: Weil die Schweiz von fossilen Energien wegkommen will, wird der Strombedarf in den nächsten Jahren und Jahrzehnten massiv steigen. Hinzu kommt das Aus der Atomkraft: Ein Drittel der hiesigen Stromproduktion fällt dadurch weg und muss ersetzt werden. Das wird einen Anstieg der Importe zur Folge haben, bis die erneuerbaren Energien so weit ausgebaut sind, dass sie die Lücke stopfen können.

Laut dem Bundesrat kann es sein, dass die Schweiz künftig im Winter bis zu 15 TWh Strom importieren muss – fast viermal so viel wie heute. Und übers ganze Jahr gesehen dürfte die Schweiz bis 2050 je nach Szenario 38 bis 59 Prozent mehr Strom brauchen, wie eine Studie im Auftrag des Bundes ergeben hat. Auch wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien also planmässig voranschreitet, steht die Schweizer Energiepolitik in den nächsten Jahrzehnten vor enormen Herausforderungen.

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