Geschafft! Das Volk hat Sie ins Bundesparlament gewählt. Gratulation! Doch nun gilts ernst. Am Montag startet die Wintersession. Für Neo-Ratsmitglieder ist das fast wie der erste Schultag. Alles ist so aufregend! So vieles ist neu, so viele Fragen sind noch offen. Aber keine Bange, Blick hilft. Hier zeigen wir Ihnen, worauf Sie als Neuling achten sollten – und was Sie lieber bleibenlassen.
Anwesenheitspflicht: Gewählt ist gewählt. Jetzt müssen Sie auch in den sauren Apfel beissen und teilweise schon in aller Herrgottsfrühe oder bis spätnachts an den Sitzungen der Räte und Kommissionen teilnehmen. Im Ständerat erfolgt nach der Eröffnung der Sitzung jeweils ein Namensaufruf zur Anwesenheitskontrolle. Die sollte man möglichst nicht verpassen, auch wegen der Taggelder.
Absolute Immunität: Hier gehts um die Redefreiheit (Stichwort: «Das wird man wohl noch sagen dürfen.»). Ein Ratsmitglied hat für seine Äusserungen in den Räten strafrechtlich nichts zu befürchten. So soll das Parlament funktionsfähig bleiben. Das tönt zwar danach, als würde Ihnen der Gesetzgeber keinen Anstand und Respekt zutrauen. Diese aber schaden nie.
Geschenke, Annahme: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft – und machen Sie angreifbar! Denken Sie daran: Als Ratsmitglied unterstehen Sie dem Korruptionsstrafrecht. Wird Ihre Unabhängigkeit durch die Annahme von Geschenken oder anderen Vorteilen eingeschränkt, kann das strafrechtliche Folgen haben. Kleinere, «sozial übliche» Geschenke wie ein Blumenstrauss, eine Flasche Wein sowie die Einladung zu einem Essen oder einem Anlass sind aber kaum ein Problem.
Kleiderordnung: Ausdrückliche Kleidervorschriften gibt es für den Nationalrat zwar nicht, eine «der Würde des Rates nicht angemessene Kleidung» könnte aber als störendes Verhalten ausgelegt werden. Das Ratspräsidium könnte Sie zur Ordnung rufen. Konkreter wird der Ständerat: Laut Geschäftsreglement «tragen die im Rat anwesenden Personen eine schickliche Kleidung». In der Praxis heisst das für Männer Hemd, Kittel und Krawatte oder Fliege und für Frauen eine «dem offiziellen Charakter des Ortes angemessene Kleidung». Wenigstens das Schulterfrei-Verbot wurde aber 2020 wieder aufgehoben.
Landeshymne: Der Schweizerpsalm wird in beiden Räten an der ersten Sitzung einer neuen Legislaturperiode gesungen. Wenn Sie allerdings Mitglied der SVP-Fraktion sind, lassen Sie generell keine Gelegenheit aus, die Hymne anzustimmen.
Ordensverbot: Es ist ein Jammer, aber es ist nun mal so. Ratsmitgliedern ist die Annahme von Titeln und Orden ausländischer Behörden verboten. Das soll Abhängigkeiten verhindern. Auf das Deutsche Kreuz in Gold oder den französischen Verdienstorden müssen Sie daher leider verzichten.
Parlamentsdienste: Ihr Freund und Helfer. Die Parlamentsdienste sind die Stabsstelle des Parlaments und unterstützen es, wo sie nur können. Sie planen Sessionen und Kommissionssitzungen, erledigen Sekretariatsgeschäfte und erstellen Berichte, Protokolle oder Übersetzungen, beschaffen und archivieren Dokumente und beraten in Fach- und Verfahrensfragen. Mit ihnen sollte man sich also immer gut stellen. Das macht Ihr Leben bedeutend einfacher.
Simultanübersetzung: «Oha lätz! Jetzt bin ich gewählt, dabei habe ich seit der Schule nicht mehr Französisch gesprochen.» Keine Angst. Im Nationalrat werden die Verhandlungen simultan in alle drei Amtssprachen übersetzt. Anders im Ständerat und in Kommissionssitzungen. Da müssen Sie sich notfalls mit regelmässigem Nicken oder Kopfschütteln behelfen – je nachdem, ob der Sprechende zum eigenen Lager zählt oder nicht. So liegen Sie selten falsch.
Sitzordnung: Freie Sitzwahl im Parlament? Vergessen Sie's. Das Ratsbüro weist den Fraktionen ihren Sektor zu, die Fraktionen ihrerseits jedem Mitglied einen festen Platz. Dabei gilt: Politische Schwergewichte haben ihren Stuhl zuhinterst im Nationalratssaal. Je weiter hinten die Plätze sind, desto begehrter sind sie deshalb. Das Wort Hinterbänkler hat also nichts mit dem Sitzplatz im Saal zu tun. Die wahren Hinterbänkler sitzen meist weit vorne im Saal.
Für die Sitzordnung im Ständeratssaal gibt es hingegen keine Regeln. Im Grundsatz gilt die Anciennität: Bisherige Ratsmitglieder können ihren Platz behalten oder auf einen frei werdenden Platz wechseln. Die Plätze für die Neugewählten werden vom Büro zugeteilt.
Taggeld: Der Einsatz fürs Vaterland soll sich lohnen – auch wenn meist schon Anwesenheit reicht. Für jeden Arbeitstag, an dem Sie an Sitzungen des Rates, einer Kommission, Delegation oder Ihrer Fraktion teilnehmen, bekommen Sie ein Taggeld von 440 Franken. Wer als Berichterstatter für eine Kommission tätig ist, bekommt noch ein halbes Taggeld obendrauf.
Weiter gibts einen jährlichen Pauschalbetrag für die Vorbereitung der Ratsarbeit von 26'000 Franken sowie nochmals 33'000 Franken zur Deckung von Personal- und Sachausgaben. Daneben gibts Entschädigungen für Übernachtungen (je 180 Franken) und Mahlzeiten (115 Franken pro Tag). Und: Wenn am Rande einer Sitzung an Ihrem Auto ein Blechschaden entsteht, wird auch dieser vom Bund gedeckt. Oder Sie beziehen ein Gratis-GA – 1. Klasse, versteht sich.
Vereidigung: Vor Amtsantritt werden Sie vereidigt oder legen ein Gelübde ab. Der Generalsekretär der Bundesversammlung liest die jeweilige Formel vor, zum Beispiel: «Ich schwöre vor Gott dem Allmächtigen, die Verfassung und die Gesetze zu beachten und die Pflichten meines Amtes gewissenhaft zu erfüllen.» Wer den Eid ablegt, spricht mit erhobenen Schwurfingern die Worte «Ich schwöre es». Ratsmitglieder, die das Gelübde ablegen, sprechen die Worte «Ich gelobe es». Im Ständerat werden im Gegensatz zum Nationalrat nur die neu gewählten Ratsmitglieder vereidigt. Wer sich weigert, Eid oder Gelübde zu leisten, verzichtet auf das Amt.
Wandelhalle: Sie umschliesst in einem langen Bogen den Nationalratssaal. Hier diskutieren und treffen sich die Ratsmitglieder während der Sessionen, geben Interviews und empfangen auch Lobbyisten und Besucher. Auch die Blick-Reporter schleichen während der Sessionen oft durch die Wandelhalle. Scheuen Sie sich nicht, uns anzusprechen.