Für die linke Ratshälfte ist Thomas Aeschi (43) diesmal zu weit gegangen. Der SVP-Fraktionschef sagte diese Woche im Parlament, es dürfe nicht sein, «dass Nigerianer oder Iraker mit ukrainischen Pässen plötzlich 18-jährige Ukrainerinnen vergewaltigen».
Für die Nationalratspräsidentin Irene Kälin (35, Grüne) ist klar: «Nationalrat Aeschi hat sich in unhaltbarer Weise rassistisch geäussert», sagte sie der «Sonntagszeitung». Sie schlägt nun vor, die Regeln so zu ändern, dass die parlamentarische Immunität aufgehoben werden könnte.
Immunität aufheben soll möglich werden
Strafrechtlich verfolgt werden kann Aeschi nämlich nicht: Für Aussagen im Parlament geniessen Ratsmitglieder, aber auch Bundesräte und der Bundeskanzler absolute Immunität. Diese kann weder aufgehoben werden, noch kann darauf verzichtet werden. Das will Kälin nun ändern: Sie fordert, dass bei «schwerwiegenden und justiziablen Vergehen wie zum Beispiel eindeutig rassistischen Äusserungen oder Aufrufen zu Gewalt» ein Aufheben möglich sein soll.
Konkret regt Kälin eine Gesetzesänderung in relative Immunität vor: Bei einer Strafanzeige wäre es an einer Kommission zu entscheiden, ob sie aufgehoben wird, und ob damit eine Strafverfolgung möglich würde. Mit solcher relativer Immunität können etwa strafbare Aussagen ausserhalb der Räte verfolgt werden. Eine Aufhebung ist allerdings auch bei dieser Art der Immunität selten.
SVP warnt vor Maulkorb
Kälin geriet als Nationalratspräsidentin wegen Aeschis Entgleisung selbst in die Kritik, weil sie diesen für seine Aussagen nicht gerügt hatte. Sie sei abgelenkt gewesen, verteidigte sich Kälin auf Twitter: Nachdem sie die Aussage im Nachhinein noch einmal aufmerksam nachgeschaut hatte, sei aber klar gewesen, dass man hätte intervenieren müssen.
Für SVP-Präsident Marco Chiesa (47) kommt Kälins Forderung eine Forderung nach einem Maulkorb gleich, wie der Tessiner Ständerat sagt. Wenn das Parlament es zulasse, dass «die Linke diese Zensur einführt, dann schaffen wir die Redefreiheit, die Meinungsfreiheit und letztlich die Demokratie ab».
Grüne boykottierten «Arena»
Aeschi seinerseits wollte sich gegenüber der «Sonntagszeitung» nicht äussern. In der «Arena» vom Freitag sagte er, er habe mit seiner Aussage Bezug genommen auf einen Vorfall in Deutschland, bei dem ein mutmasslicher Nigerianer und ein mutmasslicher Iraker eine ukrainische Frau vergewaltigt hatten. Es sei ein Fehler gewesen, dass er dies nicht klarer hervorgehoben habe.
Gerade weil die «Arena» angekündigt hatte, Aeschis Entgleisung zu thematisieren, boykottierten die Grünen die Sendung, die sich der Ukraine-Krise widmete. Fraktionschefin Aline Trede (38) sagte ihre Teilnahme kurzfristig ab: Sie wolle die Äusserungen Aeschis nicht legitimieren.
(gbl)