Jahrzehntelang wollte die SVP ins Reich des Bösen verdammen, wer ihr zu links war. «Moskau einfach!» hiess es. Ausgerechnet jetzt, wo Wladimir Putin einen brutalen Krieg gegen die Ukraine führt, ist Moskau plötzlich nicht mehr so schlimm. Die Partei findet Erklärungen dafür, weshalb Russland die Ukraine angegriffen hat.
Doch wie kommt so eine Haltung zustande? «Herrliberg», «Herrliberg», «Herrliberg» heisst es bei Parteimitgliedern unisono. Gemeint ist natürlich Parteivordenker und Übervater Christoph Blocher (81), der in der Gemeinde am Zürichsee wohnt.
Alle tanzen nach Blochers Pfeife
Es sei nach wie vor der frühere Bundesrat und Nationalrat, der der SVP sage, wo es langgeht, ist aus SVP-Kreisen zu hören. Zitieren lassen will sich dazu niemand. Sonst gebe es wieder einen Rüffel aus der Parteizentrale.
Hinter vorgehaltener Hand erzählen viele Parteimitglieder aber trotzdem: «Wie mächtig Blocher noch ist, zeigt folgendes Beispiel: Bei einem Essen der SVP-Fraktion hat sich selbst Wirtschaftsminister Parmelin eben erst bei ihm für die wertvollen Ratschläge bedankt», mit denen er offenbar den amtierenden Bundesrat versorge. «Alle tanzen nach seiner Pfeife», sagt ein wichtiges Parteimitglied, das nicht genannt werden will.
Martullo, Keller, Köppel
Doch wie übt Blocher so viel Macht aus? Einerseits hat die SVP eine Reihe Vizepräsidenten, auf die Blocher zählen kann – darunter seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher (52). Wichtig sei auch seine Internet-Sendung «Teleblocher», auf der er die Richtung vorgebe, sagt ein Parteimitglied. Dann übernähmen «Vortänzer» wie «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel (56), der die Vorhaben Herrlibergs medial orchestriert.
Andere sprechen Peter Keller (50) eine wichtige Rolle zu: Blocher gebe den Takt vor, und Keller mache die Musik dazu. Keller ist SVP-Generalsekretär, Nationalrat und der frühere Redenschreiber Blochers.
Machtloser Chiesa
Und was ist mit Marco Chiesa (47)? Schliesslich ist er Parteipräsident. Der Name des Tessiners fällt nie, wenn man fragt, wer bei der SVP das Sagen hat. Und Thomas Aeschi (43)? Der Fraktionschef gilt als Chrampfer, der die Dossiers in- und auswendig kennt. Aber auch er sei letztlich ein Parteisoldat, der umsetze, was ihm vorgegeben werde.
War auch Aeschis Entgleisung im Nationalrat eine Vorgabe Herrlibergs? Parteimitglieder winken ab. Sie sehen diese als Ausrutscher. Weder dürfte er die Äusserung als Provokation geplant noch aus rassistischen Motiven platziert haben, heisst es in der Partei.
Ausserhalb des Nationalratssaals sorgten die Worte von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (43) für Empörung. Der Nationalrat hatte sich im Rahmen einer Debatte über den Ukraine-Krieg dagegen ausgesprochen, dass auch Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen werden, die keinen ukrainischen Pass haben. Die sollten in ihr Heimatland zurückkehren, fand Aeschi. Und fügte an: «Es darf nicht sein, dass Nigerianer oder Iraker mit ukrainischen Pässen plötzlich 18-jährige Ukrainerinnen vergewaltigen! Das darf nicht zugelassen werden.»
Im Rat blieb die ausländerfeindliche Aussage des SVP-Vertreters ohne Reaktion. Ein Fehler, findet Nationalratspräsidentin Irène Kälin (35) rückblickend. «Persönlich finde ich ganz klar, dass eine Grenze überschritten wurde», sagt sie zu Blick. Dass sie nicht eingegriffen habe, liege daran, dass sie während der «Entgleisung» Aeschis gerade abgelenkt gewesen sei, erklärt sie. «Im Nachhinein und jetzt, wo ich die Aussage nochmals aufmerksam geschaut habe, ist der Fall völlig klar: Man hätte intervenieren müssen.» Sermîn Faki
Ausserhalb des Nationalratssaals sorgten die Worte von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (43) für Empörung. Der Nationalrat hatte sich im Rahmen einer Debatte über den Ukraine-Krieg dagegen ausgesprochen, dass auch Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen werden, die keinen ukrainischen Pass haben. Die sollten in ihr Heimatland zurückkehren, fand Aeschi. Und fügte an: «Es darf nicht sein, dass Nigerianer oder Iraker mit ukrainischen Pässen plötzlich 18-jährige Ukrainerinnen vergewaltigen! Das darf nicht zugelassen werden.»
Im Rat blieb die ausländerfeindliche Aussage des SVP-Vertreters ohne Reaktion. Ein Fehler, findet Nationalratspräsidentin Irène Kälin (35) rückblickend. «Persönlich finde ich ganz klar, dass eine Grenze überschritten wurde», sagt sie zu Blick. Dass sie nicht eingegriffen habe, liege daran, dass sie während der «Entgleisung» Aeschis gerade abgelenkt gewesen sei, erklärt sie. «Im Nachhinein und jetzt, wo ich die Aussage nochmals aufmerksam geschaut habe, ist der Fall völlig klar: Man hätte intervenieren müssen.» Sermîn Faki
Aber auch hier zeigt sich, wie das Blocher-Prinzip funktioniert: Kaum hatte Blick über Aeschis Hetze berichtet, schon eilte die «Weltwoche» dem Fraktionschef mit einem entschuldigenden Artikel zu Hilfe.
Doch auch das Gegenteil sei der Fall, ist zu hören: Macht ein Parteimitglied Aussagen, die am Zürichsee schlecht ankommen, wird erst in der «Weltwoche» abgestraft. Kein Wunder, traut sich aktuell keiner, den Russland-Kurs der Partei öffentlich infrage zu stellen.
Unverständliche Position im Ukraine-Krieg
Wie aber kommt die SVP-Führung zur Ansicht, dass es falsch war von der Landesregierung, sich den EU-Sanktionen anzuschliessen? «Zuallererst will man in der SVP gegen den Mainstream sein – und gegen den Bundesrat», sagt einer, der es wissen muss. «Doch das versteht die Basis nicht!» 99 Prozent der Länder verurteilten Russland – und die Schweiz solle abseitsstehen?
Die Behauptung, dass die Schweiz so ihre Neutralität preisgegeben habe, sei «Blödsinn»: «Hier schütteln unsere normalen Parteimitglieder nur den Kopf über die Parlamentarier.» Das werde die SVP bei den Berner Wahlen in zehn Tagen und bei den eidgenössischen Wahlen 2023 Sitze kosten, sind einige überzeugt.
«Herrliberg überlässt nichts dem Zufall»
Doch auch das werde Blochers Macht keinen Abbruch tun. «Er bestimmt sogar, wer auf Ueli Maurer folgt, wenn dieser einmal als Bundesrat zurücktritt.» – «Wohl Toni Brunner», sagt ein Fraktionsmitglied. Der 47-Jährige spiele nach wie vor eine seltsame Rolle und bekleide immer wieder wichtige Positionen in parteiinternen Gremien.
«Toni? Vielleicht, aber nur, wenn Magdalena nicht will», sagt eine Politikerin. Schliesslich habe Blochers Tochter massgeblich mitgeholfen, einen mutmasslichen Gegner für den SVP-Bundesratssitz mit einem Pöstli zu versorgen: «Albert Rösti wurde als Präsident bei Auto-Schweiz parkiert.»
«In «Herrliberg werde eben nichts dem Zufall überlassen.