Auf einen Blick
- Debatte über historisch belastetes Kulturerbe in der Schweiz. Parlament diskutiert Expertenkommission
- Ex-Nationalbankdirektor Hildebrand warnt vor Auswirkungen auf den Kunsthandel
- Hildebrand ist Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft
Schon länger debattiert die Schweiz darüber, wie sie mit historisch belastetem Kulturerbe umgehen soll – also mit Kunst, die im Zusammenhang mit Nationalsozialismus oder Kolonialismus Fragen aufwirft. Davon betroffen wären etwa die altägyptische Mumie der Schepenese in St. Gallen, Teile der Sammlung des Zürcher Kunsthauses und vieler anderen Museen.
Im Parlament geht es darum, welche Macht eine unabhängige Expertenkommission erhalten soll. Der Nationalrat möchte, dass sie einseitig angerufen werden kann – also auch beim Streit um eine Rückerstattung. Der Ständerat hingegen will, dass beide Streitparteien zustimmen müssen, bevor das Gremium tätig wird.
«Unmittelbare Auswirkungen auf den Kunsthandel»
In Fachkreisen gibt derzeit ein Brief von Ex-Nationalbankdirektor Philipp Hildebrand (61) an den Ständerat zu reden. Empfehlungen der unabhängigen Expertenkommission, selbst wenn sie nicht bindend seien, hätten «unmittelbare Auswirkungen auf den Kunsthandel», warnt der Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft: «Kulturgüter sind Sammler- und Liebhaberobjekte, die in einem oft internationalen, aber sehr kleinen Markt gehandelt werden.» Händler würden Werke mit Rückgabeempfehlungen «in weiten Teilen der westlichen Welt nicht mehr akzeptieren. Dies stellt de facto eine Enteignung dar, auch wenn der Prozess nur mit einer Empfehlung einer unabhängigen Kommission beginnt», so Hildebrand.
Obwohl der einstige Chef der Nationalbank seinen Brief als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft geschickt hat, hat er sich offenbar nicht mit der Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (64) oder der Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr (61) abgestimmt, die direkt oder über eine Mitarbeiterin im Vorstand der Kunstgesellschaft vertreten sind.
Zürcher Genossinnen «not amused»
Wie aus Bern zu hören ist, sind die beiden SP-Politikerinnen über das Schreiben «not amused». Mauch lässt über ihren Sprecher lediglich ausrichten: «Die Stadtpräsidentin äussert sich nicht zu Interna des Vorstands der Zürcher Kunstgesellschaft. Der Vorstand der Zürcher Kunstgesellschaft hat noch keine Stellungnahme zu Handen der ständerätlichen Kommission beschlossen, eine solche ist aber sehr bald geplant.»
Fehrs Sprecher äussert sich ähnlich: «Der Vorstand der Kunstgesellschaft hat in dieser Angelegenheit noch keinen Entscheid gefällt.»
Hildebrands Brief ist vor allem im Zusammenhang mit der Bührle-Debatte brisant: Unklar ist, wie es mit der umstrittenen Sammlung des Waffenproduzenten und Kunstsammlers Emil Bührle (1890–1956) weitergeht. Ursprünglich hiess es, bis Weihnachten solle eine Lösung gefunden werden. Davon ist aktuell keine Rede mehr.
«Gespräche werden fortgesetzt»
Hildebrands Sprecherin bestätigt einen Kontakt mit dem Stiftungsrat der Stiftung Sammlung E. G. Bührle: «An diesem ersten Gespräch wurde die gegenwärtige Situation erörtert und über die Zukunft der privaten Sammlung im Kunsthaus gesprochen.» Es würden «mehrere Zukunftsszenarien im Umgang mit der Sammlung» eruiert. Konkreter wird die Sprecherin nicht: «Die Gespräche werden im Sinne einer konstruktiven und zukunftsfähigen Lösung fortgesetzt.»
Über Hildebrands Schreiben sagt die Sprecherin: «Herr Hildebrand beleuchtet in diesem Schreiben in differenzierender Weise die Komplexität der Fragestellung, bezieht aber nicht abschliessend Stellung. Haltung und abschliessende Stellungnahme in der Frage werden in den nächsten Tagen im Vorstand der Zürcher Kunstgesellschaft diskutiert und verabschiedet.»