Während der Schulzeit im Dorf Goldiwil im Berner Oberland hatte David Friedli (26) keinen einzigen Freund. Einmal zündeten seine Mitschüler ihm die Mütze an, ein anderes Mal landeten die Schulbücher in der Toilette. Und das nur, weil David Friedli nicht mit Mutter und Vater, sondern mit zwei Müttern aufgewachsen ist.
Es geschah auch, dass David Friedlis Religionslehrer vor versammelter Klasse stand und für den damals Neunjährigen betete. «Damit David trotz seiner beiden Mütter in den Himmel kommt», erinnert sich Friedli. Als sechs Mitschüler ihn mit Eishockeystöcken verprügelten, suchten seine Eltern eine andere Schule für ihren Sohn.
Brauchen Kinder Mami und Papi?
Am 26. September stimmt das Schweizer Stimmvolk über die Ehe für alle ab. Sagt es Ja, werden homosexuelle Menschen nicht nur heiraten dürfen, lesbische Paare dürfen dann auch auf Samenspende zurückgreifen, um Kinder zu bekommen. Zudem wird die Adoption für Homosexuelle vollständig legalisiert.
Daran stören sich die Gegner der Ehe für alle. Ihr Argument: «Kinder brauchen Vorbilder von beiden Geschlechtern», schreibt das Referendumskomitee, dem SVP, EDU, EVP und der Dachverband Freikirchen und christliche Gemeinschaften Schweiz angehören, auf seiner Internetseite. Das Kindeswohl bleibe auf der Strecke bei gleichgeschlechtlichen Eltern.
«Mir hat nie etwas gefehlt», sagt David Friedli. Auch wenn er seinen leiblichen Vater kannte, wurde er zu einem grossen Teil von seinem zweiten Mami erzogen. Eine Vaterfigur habe er dabei nie vermisst: «Mir hat nie ein Mann gefehlt, der mir mal zeigt, wie man's richtig macht.» Einen Nagel einschlagen oder sich rasieren? «Das konnten mir auch meine Mamis zeigen», sagt Friedli. «Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich jetzt ein richtiger Waschlappen geworden bin.» Nur von etwas hätte er sich mehr gewünscht: Menschen, die ihn und seine Mamis akzeptieren.
Mami, Mami, Kind
Dass es schlecht sein soll, zwei Mamis zu haben, hat sich Friedli bis zu seiner Schulzeit nie überlegt. «Das wurde mir erst von anderen gesagt.» Vorher sei die Konstellation Mami, Mami, Kind für ihn das Normalste der Welt gewesen. Kaum jährig, trennten sich Mutter und Vater, woraufhin seine Mutter sich in eine Frau verliebte. Der Berner hätte sich nie etwas anderes gewünscht: «Zu Hause hatte ich es immer schön!»
Doch das Mobbing hatte Folgen. «Ich konnte kein Selbstbewusstsein entwickeln», sagt Friedli. Erst als er nach dem Schulwechsel das erste Mal Freunde fand, taute er auf. Seinen Müttern hat er nie einen Vorwurf gemacht: «Das Problem lag nie bei meiner Familie, sondern bei der fehlenden Toleranz der anderen!»
Heute ist Friedli Musiker und lebt mit seiner Freundin in Günsberg SO. Das Mobbing von früher belastet ihn nicht mehr. Eine Entschuldigung seiner alten Peiniger hat er nie erhalten.
«Ich gab meinem Mami die Schuld»
Regenbogenfamilien wie jene von David Friedli gibt es schon heute Tausende in der Schweiz. Lesbische Paare gehen für die Samenspende ins Ausland oder organisieren privat einen Spender. Schwule Paare erfüllen sich ihren Kinderwunsch, indem sie zum Beispiel im Ausland ein Kind adoptieren oder eine Leihmutter engagieren. Letzteres ist und bleibt hierzulande verboten.
Auch Jeroen van Vulpen (29) wuchs bei zwei Müttern auf – in der Baselbieter Gemeinde Lupsingen. Auch er wurde während der Schulzeit ausgegrenzt und gemobbt. Er habe schnell gemerkt, dass das etwas mit seinen zwei Müttern zu tun habe. «Ich gab meinem Mami die Schuld, dass mich die anderen nicht mittschutten liessen», erzählt er.
Neues Selbstbewusstsein entwickelt
In der Oberstufe begann er, den Spiess umzukehren. «Ich habe gemerkt, dass ich dazu stehen muss», sagt van Vulpen. Er begann vor seiner Klasse Vorträge zu Regenbogenfamilien zu halten. Und plötzlich war er stolz auf seine zwei Mütter und bekam kaum mehr negative Reaktionen: «Ich entwickelte ein neues Selbstbewusstsein», sagt er rückblickend.
Er habe für sich begriffen: «Meine Mutter muss die Lebensform wählen, in der sie glücklich ist. Dann bin ich es auch.» Heute ist van Vulpen der festen Überzeugung: «Schlechte und gute Erziehung haben nichts mit dem Geschlecht zu tun!»
Er sieht das Kindeswohl nicht gefährdet, versteht aber, das sich manche darum sorgen: «Wer keine Regenbogenfamilien kennt, denkt schnell, dass es den Kindern sicher schlecht geht.» Eine Meinung, die sich aber schnell ändern könne: «Wenn mehr Kinder aus Regenbogenfamilien sichtbar werden, werden die Leute merken: Da fehlt nichts, und da ist nichts komisch.»