«Das ist doch ungerecht»
Gefängniswärter ist vom Militär befreit – doch zahlen muss er

Gefängnisaufseher sind vom Militärdienst befreit. Auch Michael Sabino. Trotzdem muss er Wehrpflichtersatz zahlen – weil er bei der Aushebung als untauglich eingestuft wurde.
Publiziert: 09.09.2023 um 14:10 Uhr
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Gefängniswärter sind vom Militärdienst befreit.
Foto: Blick
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Raphael Brunner
Beobachter

«Ich befand mich damals in einer rebellischen Phase», sagt Michael Sabino über die Zeit seiner militärischen Aushebung. Der heute 31-Jährige hatte keinen Bock auf die Armee und die Armee keinen Bock auf einen wie ihn. Die Aushebungsoffiziere stuften ihn «aus psychologischen Gründen» als untauglich ein. Das ist gängige Praxis. Sabino musste fortan Wehrpflichtersatz zahlen. Drei Prozent seines Lohnes jährlich – wie alle Schweizer Männer, die weder Militär- noch Zivildienst leisten. So hat er bereits 9000 Franken in die Staatskasse bezahlt.

Beruf als Dienst fürs Land

Mittlerweile dient der einstige Rebell diesem Staat. Seit knapp fünf Jahren arbeitet er als Aufseher in einem Regionalgefängnis. Und als solcher ist er vom Militärdienst befreit. Genauso wie Polizisten, Notfallsanitäter, manche Pöstler oder auch der Bundesrat.

Sie alle üben sogenannt unentbehrliche Tätigkeiten aus, die auch in einem Krieg geleistet werden müssten. Man kann sagen: Ihr Beruf ist ihr Dienst fürs Land – auch im Ernstfall.

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Sabino stellte ein Gesuch, er bat darum, von der Wehrpflichtersatzabgabe befreit zu werden. Wenn er nicht mehr dienstpflichtig sei, entfalle ja auch die Ersatzabgabe, dachte er. Doch die Armee lehnte seinen Antrag ab.

Sie stützt sich aufs Militärgesetz. Im Absatz 5 von Artikel 18 heisst es: «Militärdienstpflichtige in unentbehrlichen Tätigkeiten werden erst vom Dienst befreit, wenn sie die Rekrutenschule bestanden haben.»

«Das ist doch ungerecht», sagt Sabino. «Weil unsere Arbeit ein Dienst am Staat ist, müssen wir nicht ins Militär. Trotzdem muss ich zahlen, als ob ich diese Arbeit nicht leisten würde.»

Sabino wollte juristisch gegen den Entscheid vorgehen. Er sieht Artikel 8 der Verfassung verletzt. Dieser schreibt vor, dass eine Ungleichbehandlung von Personen nur aus «qualifizierten» Gründen erfolgen darf. Einen solchen sieht Sabino nicht. «Ob ich die Rekrutenschule gemacht habe, hat keinerlei Einfluss auf meine Arbeit als Gefängnisaufseher – ich darf nicht anders behandelt werden als meine Kollegen.»

Bevor er sich in Gerichtskosten stürzte, erkundigte sich Sabino beim Amt für Justizvollzug, wie hoch es seine Aussichten auf Erfolg einschätzt. Die Antwort: gering.

Zwar anerkennt das Amt eine «unschöne Konstellation» und zeigt Verständnis für ein «ungerechtes Rechtsempfinden». Allerdings gebe es den entsprechenden Passus im Militärgesetz.

Und das Bundesgericht habe schon mehrfach festgehalten, dass die Untauglichkeit oder Tauglichkeit sehr wohl ein Kriterium sei, das die Ungleichbehandlung von Wehrpflichtigen in derselben beruflichen Stellung rechtfertige.

Juristisch keine Diskriminierung

Auch Eva Maria Belser, Professorin für Verfassungsrecht an der Universität Freiburg, sieht juristisch für Sabino wenig Handhabe. Als Verletzung von Artikel 8 der Verfassung stuft sie seinen Fall nicht ein. «Die Rechtsgleichheit lässt Ungleichbehandlungen bis zu einem gewissen Punkt zu und überlässt es weitgehend dem Gesetzgeber, zu entscheiden, was er gleich und was er ungleich behandeln will.»

Sie sagt, Sabino werde nicht diskriminiert, denn er werde nicht wegen eines unabänderbaren persönlichen Merkmals – wie etwa der Hautfarbe oder der Herkunft – schlechter behandelt.

So oder so sind die Überlegungen theoretisch. Selbst wenn das Bundesgericht einen Verstoss gegen die Verfassung sähe, müsste es den Passus im Militärgesetz anwenden, denn die Schweiz kennt keine Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundesgesetzen. Ein Bundesgesetz kann auch gegen die Verfassung verstossen.

So bleibt Sabino nur, politisch darauf hinzuwirken, dass das Gesetz geändert wird. Das hat er mit einem Bürgerbrief ans Parlament getan. Als Erstes befindet die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats über sein Anliegen, voraussichtlich im Herbst. Kommissionspräsident Mauro Tuena (SVP) zeigt zumindest Sympathien. «Wir gehen sicher offen an das Thema heran.»

Er sei als Diabetiker selber untauglich für den Militärdienst gewesen – und habe jahrelang Wehrpflichtersatz zahlen müssen, was er als ungerecht empfand. Erst eine erfolgreiche Klage eines Schweizers vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führte dazu, dass es für Untaugliche seit 2021 möglich ist, eine andere Art von Dienst zu leisten, statt die Abgabe zu bezahlen. «Bevor wir auf eine Gesetzesänderung hinarbeiten, müssen wir aber schauen, dass dadurch keine neuen Ungleichheiten entstehen», sagt Tuena.

Pflicht erfüllt, nun kämpft er für andere weiter

Das findet auch Sabino. Ihm geht es längst nicht mehr nur um ihn selbst. Er hat elf Jahre lang die Abgabe geleistet, damit ist seine Pflicht erfüllt. Es gebe aber andere dienstuntaugliche Aufseher, Polizisten oder Notfallsanitäter, die gegenüber ihren diensttauglichen Kollegen benachteiligt würden. «Sie werden ungerecht behandelt, für sie kämpfe ich weiter.» Ein bisschen Rebell ist er eben auch als Staatsdiener geblieben.

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