Nach dem brutalen Massaker im ukrainischen Butscha zeigte sich die Welt schockiert, zuvorderst westliche Staatschefs. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (63) sprach angesichts der Gräueltaten an Zivilisten von «Verbrechen des russischen Militärs». Für seine Aussenministerin Annalena Baerbock (41) beweisen die Bilder die «unglaubliche Brutalität der russischen Führung» und einen «Vernichtungswillen, der über alle Grenzen hinweggeht».
Geschockt von den «verabscheuungswürdigen Angriffen» zeigten sich auch Boris Johnson (57) und Emmanuel Macron (44). Der französische Premier versprach: «Diejenigen, die diese Verbrechen begangen haben, werden sich dafür verantworten müssen.» Und der britische Premier Johnson versprach, «alles in meiner Macht zu tun, um Putins Kriegsmaschinerie auszuhungern».
EU scheut Gas-Importstopp
Doch daran beisst sich Europa die Zähne aus. Zwar kündigte die EU ein neues Sanktionspaket an. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (63) schlägt unter anderem ein Importverbot für russische Kohle, eine Hafensperre für russische Schiffe sowie weitere Handelsbeschränkungen vor.
Zu jener Massnahme, die wohl am wirkungsvollsten wäre, können sich die Mitgliedsstaaten aber nicht durchringen: ein Importstopp für Öl und Gas aus Russland. Dabei würde ein solches Embargo «genau ins Herz der russischen Macht» treffen, wie Russland-Spezialist Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik der deutschen «Tagesschau» sagte.
Moskau braucht Energieeinnahmen
Präsident Wladimir Putin (69) habe seine Macht erstens um den Energiekomplex herum aufgebaut, so Kluge. Zweitens sorgten die – höchstwahrscheinlich steigenden – Einkünfte aus dem Gas- und Ölhandel dafür, dass die Steuereinnahmen weiter fliessen: «Die russische Staatskasse, von der die Energieeinnahmen rund die Hälfte ausmachen, könnte in diesem Jahr sogar einen Überschuss erzielen. Damit können die Renten und die Gehälter der Beamten angepasst sowie das Militär bezahlt werden.»
Obwohl ein Energie-Boykott Putin hart treffen würde, scheut die EU dieses Mittel. Das kommt nicht von ungefähr. Denn Europa hängt am russischen Energie-Tropf. Aktuell überweisen die EU-Staaten zwischen 700 Millionen und einer Milliarde US-Dollar für russische Energie – pro Tag. Europa setzt sich so dem Vorwurf aus, Putins Aggressionskrieg gegen die Ukraine zu finanzieren.
Schuld ist Berlin
Der Vorwurf richtet sich in erster Linie an Deutschland. 43 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas fliessen zu unserem Nachbarn, der mehr als 50 Prozent seines Bedarfs damit deckt. Nicht nur fürs Heizen, auch in der chemischen Industrie ist Erdgas dort ein wichtiger Rohstoff.
Auch die Schweiz ist von Putins Gas abhängig: 47 Prozent der Importe kommen aus Russland. Dennoch stellt sich die Situation hierzulande anders dar. Während Gas in Deutschlands Energiemix ein gutes Viertel ausmacht, sind es in der Schweiz nur 15 Prozent.
Und während in Deutschland jedes zweite Gebäude mit Gas geheizt wird, ist es bei uns nur jedes vierte. Allerdings gleichen wir das locker mit Öl wieder aus: 50 Prozent der Schweizer Gebäude werden mit Öl geheizt.
Unser Öl kommt jedoch nicht aus Russland. Sondern aus Nigeria, den USA, Libyen und Kasachstan. Auch nicht unproblematisch, aber ein Öl-Embargo würde uns kaum treffen.
Jedenfalls nicht als Autofahrer. Weil aber 80 Prozent des Handels mit russischem Öl und Gas über die Schweiz laufen, wäre die Rohstoffhandelsbranche stark betroffen – und damit wohl auch Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.
Auch die Schweiz ist von Putins Gas abhängig: 47 Prozent der Importe kommen aus Russland. Dennoch stellt sich die Situation hierzulande anders dar. Während Gas in Deutschlands Energiemix ein gutes Viertel ausmacht, sind es in der Schweiz nur 15 Prozent.
Und während in Deutschland jedes zweite Gebäude mit Gas geheizt wird, ist es bei uns nur jedes vierte. Allerdings gleichen wir das locker mit Öl wieder aus: 50 Prozent der Schweizer Gebäude werden mit Öl geheizt.
Unser Öl kommt jedoch nicht aus Russland. Sondern aus Nigeria, den USA, Libyen und Kasachstan. Auch nicht unproblematisch, aber ein Öl-Embargo würde uns kaum treffen.
Jedenfalls nicht als Autofahrer. Weil aber 80 Prozent des Handels mit russischem Öl und Gas über die Schweiz laufen, wäre die Rohstoffhandelsbranche stark betroffen – und damit wohl auch Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.
So sagt dieselbe Aussenministerin Baerbock, die die «unglaubliche Brutalität» beklagt, dass ein Embargo gegen russisches Öl und Gas nicht dafür sorgen würde, «dieses Morden morgen» zu beenden. Alles, wozu sie sich durchringen kann: Deutschland werde den Komplettausstieg aus russischer Energie «massiv in die Wege leiten».
Genau wegen der grossen Abhängigkeit Deutschlands und der EU von russischem Öl und Gas wird Russland auch nicht komplett vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen – man muss diese Energie ja bezahlen.
Keine Kohle für Kohle mehr
Die eigene Betroffenheit steht Europa selbst noch nach dem Massaker von Butscha im Weg. So wagt die EU-Kommission nicht, ein Öl- und Gasembargo anzugehen, sondern will einzig einen Importstopp für Kohle. Zwar kamen im letzten Jahr 57 Prozent der nach Deutschland eingeführten Kohleprodukte aus Russland, doch Kohle kann viel leichter ersetzt werden als russisches Gas.
Aber es ginge auch anders. Wie Deutschland ist Polen auf russische Energie angewiesen. 2019 importierte es 61,5 Prozent seines Öls und 55 Prozent des Gases aus Russland. Und doch gehört Polen zu den vehementesten Befürwortern eines Embargos. Und es hat vorgesorgt: Schon 2019 kündigte Warschau an, den Import von russischem Gas einzustellen, sobald der bestehende Vertrag mit Gazprom Ende 2023 ausläuft. Neu setzt Polen auf Flüssiggas aus den USA und Norwegen.
Selbst Rom kriegt die Kurve
Auch Italien ist auf Gas aus Russland angewiesen. Es ist nach Deutschland der zweitgrösste Abnehmer, drei Prozent des italienischen Gases werden aus Russland eingeführt. Klingt nach wenig, ist aber viel, weil Gas fast 42 Prozent des gesamten Energiebedarfs des Landes deckt. Auch 13 Prozent seines Öls importiert Italien aus Russland. Dennoch zeigte sich Rom bereit, ein Embargo mitzutragen. «Wir werden nicht zu denen gehören, die bei Kriegsverbrechen wegschauen und dann sagen, die wirtschaftlichen Interessen sind wichtiger.»
Berlin, das mit den Pipelines Nord Stream auch geschäftliche Interessen hatte, tut sich damit schwer. Und verhindert so einen Stich ins Herz der russischen Macht.