Roman Mazzotta (47) muss erst noch ein Stück von der riesigen Torte essen, bevor er BLICK zum Interview empfängt. Für den Schweiz-Chef von Syngenta gibt es etwas zu feiern: Gestern eröffnete der Chemiekonzern in einem ehemaligen Gebäude der Novartis in Muttenz BL eine neue Pestizidfabrik. Syngenta ist einer der grössten Pflanzenschutzmittel-Produzenten der Welt. Über 8 Milliarden Franken Umsatz machte der Konzern im vergangenen Jahr mit Pestiziden.
Pestizide, die das Grundwasser belasten. Anfang Woche berichtete BLICK, dass der Grenzwert für Abbaustoffe von Chlorothalonil in gewissen Gemeinden in der Schweiz um bis das 17-Fache überschritten wird. Das Pestizid ist seit Anfang Jahr in der Schweiz verboten, weil es der Bund als möglicherweise krebserregend einstuft.
Sagen darf er das aber seit vergangener Woche nicht mehr. Syngenta hat dem Bund per Gerichtsentscheid einen Maulkorb verpasst. Das Unternehmen hatte eine Beschwerde gegen das Chlorothalonil-Verbot eingereicht. Das Urteil dazu steht noch aus. Im Gespräch am Rand der Eröffnungsfeier spricht Schweiz-Chef Mazzotta erstmals über den Etappensieg für den Chemiekonzern.
BLICK: Herr Mazzotta, Syngenta eröffnet eine neue Fabrik: Das Geschäft mit den Pestiziden scheint gut zu laufen.
Roman Mazzotta: Ja, wir sind zufrieden mit dem Geschäftsgang. Wir entwickeln ständig neue Produkte – und dafür brauchen wir neue Produktionskapazitäten. Es war darum ein Glücksfall, dass Novartis dieses Gebäude hier abgeben wollte.
Der Pestizideinsatz hat Folgen. BLICK-Recherchen zeigen, dass das Wasser in der Schweiz teilweise massiv mit Abbaustoffen von Chlorothalonil belastet ist. Wasserversorger, die Politik, viele Bürger sind beunruhigt. Zu Unrecht?
Ja. Es besteht kein Anlass zur Beunruhigung. Die Leute sind nur besorgt, weil Bundesämter Entscheide getroffen haben, die nicht nachvollziehbar sind. Der Bund widerspricht sich selbst. Aus diesem Grund haben wir gegen das Chlorothalonil-Verbot Beschwerde eingereicht.
Warum handelt der Bund aus Ihrer Sicht widersprüchlich?
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat Ende 2019 beschlossen, dass mit dem Chlorothalonil-Verbot automatisch alle Abbaustoffe für relevant erklärt werden. Das heisst, dass für sie im Wasser der strenge Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter gilt. Doch wenige Wochen zuvor hatte dasselbe Amt selbst in einem Prüfbericht bestätigt: Die zwei Abbaustoffe von Chlorothalonil, die am häufigsten im Wasser nachgewiesen werden, sind nicht relevant. Sie haben keine negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit, weshalb für sie ein Grenzwert von 10 Mikrogramm gilt. Wenn der Bund jetzt etwas anderes sagt, ist das schlichtweg falsch. Das Verbot ist nicht erklärbar.
War das Chlorothalonil-Verbot also ein politischer Entscheid?
Ja. Aus unserer Sicht war es das. Auf Nachfragen von uns ist das BLV immer ausgewichen. Dabei ist es entscheidend, ob die Abbauprodukte relevant sind oder nicht! Bei keiner einzigen Fassung in der Schweiz wird bei den zwei häufigsten Abbauprodukten der Grenzwert für nicht relevante Stoffe überschritten.
Gut, aber Ihre Haltung ist auch nicht wissenschaftlich motiviert – sondern wirtschaftlich.
Wir sind nicht aus rein wirtschaftlichen Gründen vor Gericht gezogen. Wir hätten schliesslich noch ganz andere Forderungen stellen können, zum Beispiel Ausverkaufs- und Aufbrauchfristen. Am wichtigsten ist für uns, dass die Verunsicherung der Bevölkerung aufhört. Als forschendes Unternehmen sind wir der Meinung, dass Schweizer Behörden ihre Entscheide wissenschaftsbasiert zu fällen haben. Und ein Schweizer Bauer genügend Mittel zur Verfügung haben muss, um mit den Problemen umzugehen, mit denen er konfrontiert ist. Es gibt nun mal Pilzkrankheiten, Kartoffelkäfer oder Bohnenfliegen.
Aber sogar der oberste Landwirt der Schweiz, Markus Ritter, befürwortet das Chlorothalonil-Verbot. Sie behaupten also, besser zu wissen, was die Bauern wollen, als die Bauern selbst?
Man kann von Herrn Ritter nicht auf alle Bauern schliessen. Der politische Druck auf den Bauernverband ist sehr gross. Uns aber sagen die Landwirte, dass sie mit dem Wegfall von Chlorothalonil gewisse Pflanzenkrankheiten nicht mehr genügend bekämpfen können.
Pestizide haben ein schlechtes Image. Warum?
Schauen wir uns die Werbung an: Da grast eine Kuh friedlich auf der Wiese, alle sind glücklich und zufrieden. Doch das ist nicht die Realität! Ein Bauer steht ständig im Kampf mit den Gewalten: Wie ist das Wetter? Wann kommt das nächste Insekt, das mir die Ernte wegfressen will? Der Bezug der Bevölkerung, wie Lebensmittel produziert werden, geht je länger je mehr verloren. Das ist schade, denn eine produktive Landwirtschaft und Ökologie sind kein Widerspruch. Aber: Wenn man in der Zeitung Schlagzeilen liest wie «Pestizidhölle Schweiz» oder «Vergiftetes Grundwasser»: Das verunsichert die Leute.
Aber Pestizide sind Gift, das ist nun mal eine Tatsache.
Pflanzenschutzmittel haben – wie Medikamente auch – eine Wirkung. Sonst würden sie nichts bringen. Ich kann den Pilz ja nicht einfach mit ein bisschen Wasser besprühen und ihm sagen, er solle bitte kaputtgehen. Am Schluss gilt auch hier: Die Menge macht das Gift. Und die eingesetzten Pflanzenschutzmengen gehen stetig zurück.
Nächstes Jahr stimmen wir über Trinkwasser- und Pestizidinitiative ab. Die Bauern sind sehr nervös. Zittern Sie auch schon?
Wir nehmen alle Volksinitiativen ernst. Aber ich vertraue darauf, dass die Leute verstehen, dass die beiden Initiativen sehr extrem sind. Sie erreichen nicht das, was sie gerne hätten. Deshalb gehen wir erhobenen Hauptes in den Abstimmungskampf.
Die Sympathien in der Bevölkerung für die Initiativen sind aber gross. Was wäre bei einem Ja?
Wenn beide Initiativen angenommen werden, frage ich mich, was wir am Schluss noch im Laden einkaufen können. Es kann sein, dass wir ein Jahr keine Äpfel, kein Getreide haben.
Bio-Bauern produzieren aber problemlos auch ohne synthetische Pestizide.
Das stimmt einfach nicht. Auch sie setzen Pflanzenschutzmitteln ein, auch synthetische! Der Stimmbürger muss sich im Klaren sein: Am Schluss zahlt er viel mehr, hat viel weniger Auswahl, und die Leute in der Schweiz werden die ganze Zeit im Ausland einkaufen gehen. Ob das sinnvoll ist, würde ich bezweifeln.
Roman Mazzotta (47) arbeitet seit 20 Jahren bei Syngenta. Seit 2017 ist er Leiter der Rechts- und Patentabteilung des Geschäftsbereichs Pflanzenschutz, ein Jahr darauf wurde er zudem Länderpräsident Schweiz. Er hat an der Uni Zürich Rechtswissenschaften studiert und machte das Anwaltspatent. Mazzotta lebt mit seiner Familie im Aargau.
Roman Mazzotta (47) arbeitet seit 20 Jahren bei Syngenta. Seit 2017 ist er Leiter der Rechts- und Patentabteilung des Geschäftsbereichs Pflanzenschutz, ein Jahr darauf wurde er zudem Länderpräsident Schweiz. Er hat an der Uni Zürich Rechtswissenschaften studiert und machte das Anwaltspatent. Mazzotta lebt mit seiner Familie im Aargau.