Das Problem ist unsichtbar – und für manch eine Gemeinde trotzdem gewaltig. BLICK-Recherchen zeigen, wie stark das Grundwasser in etlichen Orten mit Giftstoffen belastet ist. Abbauprodukte des seit Anfang Jahr verbotenen Pestizids Chlorothalonil überschreiten den gesetzlichen Grenzwert in vielen Orten um ein Vielfaches. Da noch nicht vollständige Daten vorliegen, könnte es an gewissen Orten sogar noch mehr sein.
Da 80 Prozent des Trinkwassers in der Schweiz aus Grundwasser gewonnen wird, sind diese Zahlen beunruhigend. Nicht, weil das belastete Wasser eine Gefahr für die Gesundheit darstellt – zumindest kurzfristig nicht. Doch die Gemeinden müssen von Gesetzes wegen dafür sorgen, dass das Wasser so schnell wie möglich wieder sauber ist und der Höchstwert im Trinkwasser nicht überschritten wird.
Keine Alternative in Fräschels
Nicht immer ist das so einfach. In der Gemeinde Fräschels FR wird der Grenzwert im Grundwasser um das Achtfache überschritten. Das Dorf hat aber keine Möglichkeit, einfach eine andere Quelle anzuzapfen. Der zuständige Gemeinderat Urs Schwab (72) zerbricht sich deshalb schon lange den Kopf: «Wir prüfen mehrere Optionen. Zum Beispiel könnten wir eine neue Leitung ziehen zum Wasserverbund nach Kerzers. Aber es gibt noch viele offene Fragen.»
Und um all diese zu klären, ist die Zeit knapp. «Wir haben die Auflage, das Problem in zwei Jahren zu lösen. Ich glaube aber nicht, dass das zu schaffen ist», sagt Schwab. Denn das letzte Wort hat das Volk.
Nicht das erste Wasser-Problem
Der Unmut über die ganze Chlorothalonil-Geschichte ist im 460-Seelen-Dorf im Seeland gross. Denn erst vor 15 Jahren hatte Fräschels schon einmal mit verschmutztem Wasser zu kämpfen. Gemeinderat Schwab erinnert sich noch gut: «Damals war Nitrat das Problem.» Man habe deshalb für viel Geld eine neue Quelle suchen müssen. «Wir waren glücklich und haben gedacht, wir hätten das Problem damit gelöst.» Doch jetzt wird es für den Steuerzahler wohl schon wieder teuer.
Nicht nur auf Fräschels kommen hohe Kosten zu. Avenir Suisse schätzt, dass Pestizide Folgekosten von rund 100 Millionen Franken pro Jahr verursachen. Weil Chlorothalonil-Rückstände nur mit sehr aufwendigen Verfahren eliminiert werden können, könnten die Kosten sogar noch höher ausfallen.
Politiker wollen Bund in der Pflicht nehmen
Angesichts dieser Aussichten will die Waadtländer Ständerätin Adèle Thorens Goumaz (48), dass der Bund den Gemeinden unter die Arme greift. «Der Bund hat die Verwendung des Pestizids während Jahrzehnten erlaubt. Er muss sich deshalb an den Kosten beteiligen, die nun anfallen, um das Wasser wieder sauber zu bekommen», findet die Grüne. Dieser Meinung ist auch Gemeinderat Schwab. «Niemand hat etwas Verbotenes gemacht, das Mittel war zugelassen.»
Thorens fordert den Bund auf, eine Auslegeordnung und konkrete Vorschläge zu machen, wie Gemeinden geholfen werden kann. Nächste Woche entscheidet der Ständerat, ob er den Bund damit beauftragt.
Bund weist Verantwortung von sich
Zwei weitere Vorstösse sind bereits in der Pipeline, die den Bund ebenfalls in die Pflicht nehmen. Einer davon stammt von FDP-Nationalrat Kurt Fluri (65), den das Thema als Solothurner Stadtpräsident und Präsident des Städteverbands besonders betrifft. So gehört Solothurn zu den Kantonen, in denen das Wasser am stärksten belastet ist. Eine konkrete Möglichkeit, die die Politiker ins Auge fassen, ist eine Abgabe auf Pestizide.
Die Forderungen haben es im Parlament sicherlich nicht leicht, doch chancenlos sind sie nicht. Über die Hälfte der Kantone ist schliesslich vom Chlorothalonil-Problem betroffen. Der Bundesrat indes weist jegliche Verantwortung von sich und schiebt sie auf die Kantone. Sie müssten das Wasser besser schützen, indem sie um Trinkwasserfassungen herum grössere Schutzbereiche festlegen. Dort dürfen keine Pestizide eingesetzt werden. Das mag langfristig eine Lösung sein. Kurzfristig bringt es den Gemeinden indes nichts.