Erst mal abwarten und Tee trinken. Für den Bundesrat ist es noch nicht so weit, den Einlass ins Restaurant, Kino oder Museum davon abhängig zu machen, ob man geimpft, genesen oder getestet ist. Denn obwohl die Anzahl Corona-Patienten hoch ist, habe sie in den letzten Wochen nicht mehr zugenommen.
Dem Vernehmen nach war auch Gesundheitsminister Alain Berset (49) der Meinung, dass eine Ausweitung der Zertifikatspflicht vorerst nicht nötig ist, und hatte sie im Bundesrat gar nicht erst beantragt. Der Widerstand der beiden SVP-Bundesräte Guy Parmelin (61) und Ueli Maurer (70) wäre ihm vermutlich sicher gewesen.
GDK warnt vor zu langem Abwarten
Im Vorfeld hatte sich eine ganze Reihe Kantone für eine Ausweitung ausgesprochen, wenn auch unterschiedlich dringlich. Dementsprechend sind diese nun wenig begeistert vom Zuwarten der Landesregierung, allen voran die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK). So warnt Sprecher Tobias Bär: «Wird die Massnahme erst ergriffen, wenn eine flächendeckende Überlastung der Intensivstationen bereits vorliegt, dann kommt sie zu spät.» Der Bundesrat solle daher die Entwicklung genau im Auge behalten «und bei einer negativen Dynamik sehr schnell handeln».
Noch mehr Druck machte die Gesundheitskommission des Ständerates. Nach einem Treffen mit Berset und Fachleuten ermunterte sie den Bundesrat, die Ausdehnung «rasch und entschlossen» zu vollziehen.
Basel-Stadt lässt sich Option offen
Theoretisch könnten die Kantone das Zertifikat auch selbst grossflächiger zur Pflicht machen. Der Kanton Basel-Stadt, aus dem GDK-Präsident Lukas Engelberger (46) stammt, lässt sich die Option explizit offen. «Wir können eine kantonale Ausweitung nicht ausschliessen, wenn sich die Lage verschlechtern sollte», sagt Sprecherin Anne Tschudin. Bevorzugt sei aber eine nationale Lösung.
St. Gallen hatte kürzlich die kantonale Ausweitung der Zertifikatspflicht bereits geprüft. Doch inzwischen gibt man sich beim Kanton bedeckt. Die Regierung bedaure, dass der Bundesrat keine Aussagen zu einem möglichen Zeitpunkt kommuniziert habe, heisst es bei der St. Galler Staatskanzlei. Man werde nun «die neue Ausgangslage analysieren».
Ebenso im Thurgau, wo «mögliche weitere Schritte» erst diskutiert werden sollen. Auch Zürich hätte «aufgrund der Entwicklung in den Spitälern eine rasche Einführung begrüsst», heisst es aus dem Regierungsrat. Im Aargau – ebenfalls ein Kanton, der die Ausweitung lieber früher als später gesehen hätte – bleibt die eigene Planung bestehen, bei der je nach Auslastung in den Spitälern auch der breitere Einsatz des Corona-Passes vorgesehen ist. «Wir akzeptieren den Entscheid», sagt Gesundheitsdirekor Jean-Pierre Gallati (55). «Wir hoffen, es ist der richtige, da er nicht ohne Risiko ist.»
Bundesrat könnte schnell durchgreifen
Dass auch diejenigen Kantone nicht vorpreschen wollen, die bereits einmal Alarm geschlagen haben, ist kaum verwunderlich. Denn es ist durchaus möglich, dass der Bundesrat schon in den nächsten Tagen umschwenkt. So teilt er mit, er könne «die Massnahmen zur Entlastung der Spitäler aber jederzeit beschliessen, sollte dies nötig werden».