Vertreter von Industrie und Wissenschaft sind alarmiert. Die Europäische Union verweigert der Schweiz den Zugang zum milliardenschweren Forschungsprogramm Horizon. Das hat gravierende Folgen für die Hochschulen: Die Rekrutierung von Topleuten wird schwieriger (SonntagsBlick berichtete). Als Forschungsminister will Bundesrat Guy Parmelin (62, SVP) Brüssel zum Einlenken bewegen und prüft zugleich weitere Massnahmen, um den Schaden in Grenzen zu halten. Am Freitag traf sich Parmelin in Berlin mit seiner deutschen Amtskollegin. Im Anschluss stellte er sich am Telefon den Fragen von SonntagsBlick.
Herr Bundesrat, Sie haben sich diese Woche mit Ministern aus Grossbritannien, Finnland und Deutschland getroffen. Was haben diese Treffen dem Forschungsstandort Schweiz gebracht?
Guy Parmelin: Die Briten erleben derzeit die gleichen Probleme wie wir, sie sind nicht voll assoziiert beim Forschungsprogramm Horizon. Bei diesem Treffen ging es also darum, Alternativen zu diskutieren, konkrete Projekte werden bald folgen. In Helsinki und Berlin wiederum konnte ich die Position der Schweiz erklären. Die deutsche Forschungsministerin Stark-Watzinger hat dafür Verständnis gezeigt.
Berlin wird sich also dafür einsetzen, dass die Schweiz bei Horizon wieder voll assoziiert wird?
Ja. Das hat die deutsche Regierung auch vor zwei Wochen signalisiert, als Bundespräsident Ignazio Cassis Berlin besuchte. Ich kann Ihnen sagen, dass meine deutsche Amtskollegin bestätigt hat, dass Deutschland die Schweiz für eine Assoziierung unterstütze und hoffe, dass die Schweiz mit der EU möglichst rasch eine Lösung finde. Der Ausschluss der Schweiz und auch Grossbritanniens schwächt den europäischen Forschungsstandort als Ganzes, da sind sich Deutschland und die Schweiz einig.
Aber als Sie im Frühling 2021 EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärten, dass es nichts wird mit dem Rahmenabkommen, mussten Sie doch genau mit einer solchen Reaktion rechnen?
Natürlich mussten wir mit Problemen rechnen. Die EU hatte immer gesagt, dass keine neuen Marktzugangsabkommen abgeschlossen und bestehende Verträge nicht aktualisiert würden. Von der Wissenschaft und der Forschung war aber nie die Rede. Das hat mit dem Marktzugang auch nichts zu tun. Und obwohl die Schweiz mitten in Europa liegt, im Schengen-Raum eng mit der EU kooperiert und mit der EU ein Freizügigkeitsabkommen hat, ist sie nun bei Horizon schlechter gestellt als beispielsweise Israel oder die Türkei, die das alles nicht haben. Das ist nicht pragmatisch und schwächt die Position Europas gegenüber Amerika und Asien. So wird Europa nur verlieren.
Die Universitäten und innovativen Unternehmen zahlen jetzt also den Preis für eine gescheiterte Europapolitik. Ist es das wert?
Es ist falsch, wenn die EU die Zusammenarbeit in der Forschung mit der Politik verknüpft. Noch einmal: Europa braucht die Zusammenarbeit der besten Talente. Wir haben in der Schweiz einen ausgezeichneten Forschungsplatz, darum bleibt die Vollassoziierung das Hauptziel des Bundesrates.
Die Zeit drängt. Die Industrie, die ETH und die Unis warnen, dass hoch qualifizierte Forscher und Spezialisten vermehrt Posten im Ausland statt in der Schweiz ins Auge fassen. Das heisst nichts anderes, als dass die Massnahmen, die Sie ergriffen haben, um die Nichtassoziierung zu kompensieren, halt doch nicht ausreichen.
Darum erweitern wir diese Massnahmen auch laufend. Bald kann der Bund zur Förderung der Innovation KMU und Start-ups direkt unterstützen. Wir nutzen also die sechs Milliarden Franken ratenweise, die das Parlament ursprünglich für Horizon gesprochen hat. Diese kurzfristigen Massnahmen sind in Kraft. Es ist aber durchaus möglich, dass im Laufe des Jahres weitere Schritte beschlossen werden, um den Forschungs- und Innovationsstandort zu stützen. Wir arbeiten im Departement an diesen Alternativen. Der Bundesrat wird bald darüber diskutieren, dann kann das Parlament über die Finanzierung entscheiden.
Geld allein wird kaum reichen.
Nein, in der Forschung sind die internationale Zusammenarbeit und der stetige Wettbewerb wichtig. Diese Netze stärken wir, darum auch die Treffen mit den USA, Grossbritannien oder Israel.
Haben Sie sich eine Frist gesetzt, bis wann die Schweiz wieder bei Horizon dabei sein soll?
Ich möchte keine Prognose abgeben. Wenn die EU die Blockade aufgibt, ist eine Teilnahme rasch wieder möglich. Das ist aber die Entscheidung der EU-Kommission.
Guy Parmelin (62) war Bauer und Winzer. Zusammen mit seinem Bruder bewirtschaftete er den elterlichen Hof in Bursins VD, wo er als Gemeinderat in die Politik einstieg. 2003 wurde der SVP-Politiker in den Nationalrat gewählt, 2015 in den Bundesrat. Nach seiner Wahl führte der Waadtländer zuerst das Verteidigungsdepartement. Seit drei Jahren leitet Parmelin das Wirtschaftsdepartement und ist auch für die Bereiche Bildung und Forschung zuständig. Er ist verheiratet.
Guy Parmelin (62) war Bauer und Winzer. Zusammen mit seinem Bruder bewirtschaftete er den elterlichen Hof in Bursins VD, wo er als Gemeinderat in die Politik einstieg. 2003 wurde der SVP-Politiker in den Nationalrat gewählt, 2015 in den Bundesrat. Nach seiner Wahl führte der Waadtländer zuerst das Verteidigungsdepartement. Seit drei Jahren leitet Parmelin das Wirtschaftsdepartement und ist auch für die Bereiche Bildung und Forschung zuständig. Er ist verheiratet.
Sprechen wir da von Monaten oder doch eher von Jahren?
Wie gesagt, ich hoffe, es geht so schnell wie möglich. Das aktuelle Horizon-Programm läuft bis 2027. Wir wollen beitreten, wenn noch nicht alle Mittel vergeben und alle Projekte aufgegleist sind. Dauert die jetzige Situation zu lange, stellt sich irgendwann die Frage, ob es noch sinnvoll ist, eine Vollassoziierung anzustreben. Denn in zwei, drei Jahren sind die Mittel verteilt und die Projekte aufgegleist. Ich hoffe natürlich, dass diese Situation nicht eintritt.
Kann eine engere Kooperation mit den USA, Israel und Grossbritannien die Blockade mit Europa überhaupt auffangen?
Horizon ist das wichtigste Programm in Europa, das ist nun einmal so. Diese Alternativen aber können helfen, jene Bereiche zu stärken, in denen wir heute schon stark und spezialisiert sind.
Die Schweiz ist eine Wissensnation, heisst es so schön. In der Pandemie sah dies manchmal etwas anders aus, als Vertreter Ihrer Partei die Mitglieder der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes abkanzelten. Wie passt das zusammen?
Eine solche Diskussion ist nur normal. Die Annäherung an die bestmögliche Lösung gelingt nur, wenn eine Debatte die verschiedenen Standpunkte beleuchtet.
Als Wirtschaftsminister warnten Sie im Herbst vor einer möglichen Strom-Mangellage. Nun diskutieren die Parteien über die Zukunft der Energieversorgung das Landes, selbst die Kernenergie steht wieder zur Debatte. Das ist ganz in Ihrem Sinn, nehme ich an...
Erst einmal: Das ist mein Job. Ich bin für die Landesversorgung im Allgemeinen zuständig. Da ist es normal, dass ich die Situation erkläre, damit sich die Unternehmen vorbereiten können. Wir müssen nun mögliche mittel- und langfristige Lösungen beraten. Meine Bundesratskollegin Simonetta Sommaruga wird bald Vorschläge präsentieren. Denn wir müssen dieses Problem relativ rasch lösen.