Für Verteidigungsministerin Viola Amherd (61) steht fest: «Wir müssen und wollen unsere Sicherheitspolitik noch konsequenter als bisher auf die internationale Zusammenarbeit ausrichten.» Das gilt auch beim Schutz des Luftraums. Am Mittwoch hat der Bundesrat die Beteiligung am europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield genehmigt.
Das war zu erwarten. Amherd hatte bereits im letzten Sommer bei einem Treffen in Bern mit ihrem deutschen Amtskollegen Boris Pistorius (64) und der österreichischen Bundesministerin für Landesverteidigung Klaudia Tanner (53) eine Absichtserklärung unterzeichnet. Sky Shield gründe auf der Notwendigkeit, die Luftverteidigung in Europa zu stärken und die Anstrengungen besser zu bündeln, erklärt der Bundesrat. Und er betont jeweils: Auch bei einer Beteiligung der Schweiz soll die Neutralität gewahrt werden.
Worum geht es bei Sky Shield?
Das Ziel der «European Sky Shield»-Initiative ist ein satellitenüberwachter Schutzschirm über dem europäischen Luftraum, der frühestens 2025 in Betrieb gehen könnte. Abgewehrt werden sollen damit in erster Linie nicht Kampfjets, sondern Raketen und Drohnen. Angriffe mit diesen Waffen schätzen Fachleute seit Beginn des Ukraine-Kriegs als tendenziell wahrscheinlicher ein. Vorbild ist das israelische Luftabwehrsystem Iron Dome, das mit Boden-Luft-Raketen immer wieder Raketen aus Gaza abwehrt.
Wie soll die Zusammenarbeit genau funktionieren?
Eine Zusammenlegung der Luftabwehrsysteme der beteiligten Staaten sei nicht vorgesehen, betont das Verteidigungsdepartement VBS. Vielmehr gehe es darum, diese besser aufeinander abzustimmen. Das stärke die gesamte Verteidigung des europäischen Luftraums. Und das VBS verspricht sich weitere Vorteile: So sollen Beschaffung und Unterhalt der Luftabwehr gemeinsam koordiniert und allenfalls gebündelt werden. Sprich: Über Mengenrabatte liesse sich wohl Geld sparen. Auch gemeinsame Ausbildungen in der Luftabwehr seien im Gespräch.
Wer ist an Sky Shield beteiligt?
Die Schweiz wäre das 18. Land, das sich der Initiative anschliesst. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (65) hatte das Luft- und Raketenabwehrsystem im vergangenen August angestossen. Grossbritannien, die Slowakei, Lettland, Ungarn, Bulgarien, Belgien, Tschechien, Finnland, Litauen, die Niederlande, Rumänien, Slowenien, Estland und Norwegen, allesamt Nato-Mitglieder, haben sich im Oktober angeschlossen. Die Nato-Mitglieder Dänemark und Schweden zogen im Februar nach.
Neben Spanien, Italien und Polen ist Frankreich der grosse Abwesende. Dabei geht es vor allem um rüstungspolitische Überlegungen. Während die übrigen Staaten zumeist auf israelische Systeme oder wie die Schweiz auf das bewährte US-Luftabwehrsystem Patriot setzen, lehnt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (46) dieses ab. Er würde lieber die rüstungsindustrielle Unabhängigkeit Europas stärken.
Ist das mit der Schweizer Neutralität überhaupt vereinbar?
Tatsächlich sorgen die VBS-Pläne seit Monaten für Diskussionen. Immerhin geht es auch um Informationsaustausch und um den Betrieb von Verteidigungssystemen. Allerdings dient der Sky Shield grundsätzlich der Verteidigung des jeweils eigenen Territoriums. Und das darf ein neutraler Staat. Es handle sich nur um eine Zusammenarbeit mehrerer Staaten und nicht um ein Militärbündnis, argumentieren Fachleute. Eine Beistandsklausel wie in den Nato-Verträgen ist nicht geplant. Kommt hinzu, dass die Schweiz ihre neutralitätsrechtlichen Vorbehalte in einer Zusatzerklärung festgeschrieben hat. Diese schliesst beispielsweise die Teilnahme an internationalen Konflikten aus. «Wir werden selber festlegen, in welchem Ausmass wir uns beteiligen wollen», betonte Amherd stets.
Gibt es Kritik an den Plänen der Schweiz?
Ja, die Teilnahme der Schweiz an Sky Shield ist umstritten – unter anderem eben wegen der Neutralitätsfrage. Die SVP sieht darin einen «weiteren Schritt in Richtung Nato-Beitritt». Die Schweiz gebe damit ihre Souveränität bei der Verteidigung des Luftraums auf. Wobei es innerhalb der Partei durchaus auch namhafte Politiker mit anderer Meinung gibt: So hatte sich SVP-Sicherheitspolitiker Werner Salzmann (61) gegenüber Blick nicht grundsätzlich gegen die Pläne gestellt. Aber auch von Links wird Kritik laut, namentlich von der Gesellschaft für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Auch sie kritisiert die Nato-Annäherung.
Wie geht es weiter?
Nach Unterzeichnung der Absichtserklärung wird die Schweiz nun prüfen, in welchen Bereichen man die Zusammenarbeit stärken kann. Das VBS nennt als Beispiel das bodengestützte Luftverteidigungssystem Patriot, dessen Beschaffung ohnehin bereits aufgegleist ist.