Wie helfen? Diese Frage stellt sich unweigerlich, seit die islamistischen Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben. Linke Parteien fordern nebst der Aufnahme von 10'000 Flüchtlingen, dass alle hier lebenden Afghaninnen und Afghanen ihre Familien in die Schweiz holen können.
Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe schlägt vor, dass der Bund Familienzusammenführungen vereinfacht. So solle er – ähnlich wie während des Syrienkriegs 2013 – erleichterte Besucher-Visa für Familienangehörige in Afghanistan ausstellen. Damals war der Andrang gross; rund 4000 syrische Eltern, Grosseltern und Enkel kamen auf diesem Weg in die Schweiz.
Bundesrat will keinen erleichterten Familiennachzug
Von solchen Erleichterungen will der Bundesrat derzeit nichts wissen. Afghaninnen und Afghanen könnten ein Gesuch auf Familienzusammenführung stellen, das «nach den üblichen Kriterien» beurteilt werde, erklärte Migrationschef Mario Gattiker (64) am Mittwoch vor den Medien. Derzeit sei das Problem, dass die Ausreise aus Afghanistan kaum möglich sei.
Justizministerin Karin Keller-Sutter (57) ergänzte, dass in der Schweiz rund 20'000 Afghaninnen und Afghanen lebten, wovon sich 15'000 noch im Asylprozess befänden. Sie haben kein Recht auf Familiennachzug, solange das Verfahren läuft. Nur eine Minderheit der afghanischen Staatsbürger in der Schweiz habe einen klaren Aufenthaltsstatus, sagte Keller-Sutter, und folglich Aussicht auf Familiennachzug.
Keller-Sutter täuscht sich
Da hatte sich Keller-Sutter allerdings getäuscht, nachträglich korrigierte ihr Departement die Aussage von sich aus. Ein Grossteil der hier lebenden Afghaninnen und Afghanen – 11'500 Menschen – hätten den Status der vorläufig Aufgenommenen. Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt, sie können aber nicht weggewiesen werden.
Vorläufig Aufgenommene haben die Möglichkeit, drei Jahre nach Erhalt ihres Status bei den kantonalen Migrationsbehörden ein Gesuch zu stellen, um ihre Ehepartner sowie unverheiratete Kinder unter 18 Jahren nachzuziehen. Voraussetzung dafür ist, dass die Familie gemeinsam in einer geeigneten Wohnung lebt, nicht von der Sozialhilfe abhängig ist und die Landessprache am Wohnort spricht.
2800 anerkannte Flüchtlinge
Auch die anerkannten afghanischen Flüchtlinge in der Schweiz – rund 2800 Menschen – dürfen ihre engen Familienmitglieder nachziehen, sofern die Familiengemeinschaft bereits vor der Flucht bestanden hat und keine besonderen Gründe dagegen sprechen.
Nur ein kleiner Teil der Afghanen hat keine Aussicht auf Familiennachzug – zum Beispiel diejenigen, die sich noch im Asylverfahren befinden. Das sind, anders als von Keller-Sutter behauptet, aber nicht 15'000 Menschen, sondern nur 870.
Harte Österreicher beeindrucken SVP
Die Lage in Afghanistan war auch am heutigen Treffen zwischen der Justizministerin und dem österreichischen Innenminister Karl Nehammer (48) Thema. Die Schweiz und Österreich seien sich einig, dass derzeit die Hilfe vor Ort im Zentrum stehe, teilte das Justizdepartement nach dem Treffen mit.
Der ÖVP-Minister sorgte in den letzten Tagen für Schlagzeilen, weil er trotz der angespannten Lage am Hindukusch nicht auf Abschiebungen verzichten will. Er schlägt vor, abgewiesene Afghanen in Zentren in Nachbarländer wie Usbekistan oder Turkmenistan abzuschieben. «In diesen Ländern ist noch Luft, um Menschen aufzunehmen», zitiert ihn der österreichische «Kurier».
Mit ihrer harten Haltung ist die österreichische Regierungspartei hierzulande bereits zum Vorbild der SVP avanciert. Auch ihre Vertreter fordern die Ausschaffung von abgewiesenen afghanischen Asylbewerbern in die Region. Aktuell leben in der Schweiz 170 Afghanen, die das Land eigentlich verlassen müssten. Der Bund hatte deren Ausschaffung letzte Woche ausgesetzt. Das dürfte bis auf weiteres so bleiben. (til/gbl)