Der Lockdown verpasst auch dem Abstimmungskampf einen heftigen Dämpfer. Keine Podien, keine Streitgespräche, kaum Kontakt mit der Bevölkerung: Bundesrätin Karin Keller-Sutter (57) fehlt das übliche Abstimmungsprogramm. Für die Justizministerin geht es am 7. März gleich doppelt um die Wurst: Neben dem Burkaverbot fällt auch das E-ID-Gesetz in ihren Zuständigkeitsbereich. Und gerade bei letzterer Abstimmung gibt es für viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger noch immer eine Menge offener Fragen. Um diese zu beantworten, hat sich BLICK mit Keller-Sutter zum virtuellen Interview getroffen.
BLICK: Es sieht nicht gut aus für Sie: Die E-ID droht zu scheitern. Haben Sie damit gerechnet, dass es so harzig wird?
Karin Keller-Sutter: Schaut man sich die Vorgeschichte an, ist das nicht überraschend. Die Schweiz diskutiert bereits seit 15 Jahren über eine elektronische Identität. Andererseits erstaunt mich der Widerstand aber schon. Was nun auf dem Tisch liegt, ist eine Kompromisslösung, die notabene unter meiner Vorgängerin Simonetta Sommaruga ausgearbeitet wurde. Im Parlament wurde die Vorlage breit unterstützt, und die Opposition von rot-grüner Seite war weniger stark.
Das Problem an diesem Kompromiss: Private sollen die E-ID herausgeben. Ist so etwas nicht Aufgabe des Staates? Ich gehe auch nicht auf die Bank, um einen neuen Pass zu beantragen.
Hier muss ich klarstellen: Die E-ID ist kein Pass. Man kann damit nicht reisen und sich nicht ausweisen. Es geht vielmehr um ein staatlich überprüftes, sicheres Anmeldeverfahren im Internet. Mit der E-ID sind aber keine besonderen Rechte verbunden.
Die Frage bleibt: War es nicht ein Fehler, die Ausstellung der E-ID Privaten in die Hand zu geben?
Im Gegenteil! Der Bund hat schon einmal eine rein staatliche Lösung lanciert, die sogenannte SuisseID. 25 Millionen Franken hat er damals ausgegeben – das Ganze war ein Misserfolg. Jetzt haben wir einen Kompromiss, bei dem jeder das macht, was er gut kann: Der Staat überprüft und garantiert die Identität der Personen, Private – aber nicht nur – kümmern sich um die technische Umsetzung. Der Vorteil: Wenn es wie beim Mobilfunk verschiedene Anbieter gibt, ringen diese ständig um eine gute Lösung und gehen mit der Zeit. Würde der Staat die E-ID herausgeben, gäbe es nur eine Lösung, also zum Beispiel eine Chipkarte oder eine App, mit der man sich einloggen kann.
Dennoch stört sich ein erheblicher Teil der Bevölkerung daran, dass Firmen eine E-ID herausgeben.
Aber gleichzeitig stört es die Leute nicht, wenn sie E-Banking machen. Oder dass sie einer Privatfirma Daten liefern, wenn sie Fotos auf Facebook posten. Wenn man das vorgeschlagene Modell kritisiert, darf man heute gar kein E-Banking und Onlineshopping machen. Denn heute gibt es keinen speziellen gesetzlichen Rahmen für Onlinegeschäfte. Man kann natürlich dagegen sein. Aber wie gesagt: Das, was die Gegner wollen, ist gescheitert.
Welchen Mehrwert bringt uns die E-ID konkret?
Sie erleichtert zum Beispiel den Onlineverkehr mit einer Bank oder wenn man bei einer Versicherung eine Police abschliessen will. Dank der E-ID sind Sie besser vor Missbrauch geschützt. Und der andere weiss, dass Sie wirklich die Person sind, für die Sie sich ausgeben. Wichtig ist die E-ID aber vor allem auch für das E-Government, also den Onlinekontakt zwischen Behörden und Bürgerinnen und Bürger. Da hinkt die Schweiz heute hinterher. Dabei ist es sehr praktisch, wenn man bei einem Wohnortwechsel oder für einen Betreibungsregisterauszug nicht immer auf die Gemeinde muss. Gewisse Dinge kann man zwar schon heute online erledigen, aber ohne besonderen Schutz und gesetzlichen Rahmen.
Die E-ID soll künftig auch beim elektronischen Patientendossier zum Einsatz kommen.
Gut, dass Sie das ansprechen. Gerade da gäbe es durch das neue Gesetz noch mehr staatliche Kontrolle. Beim elektronischen Patientendossier braucht es ein sicheres Login für Mediziner und die Patienten. Zertifiziert werden die Login-Systeme heute von Privaten, nämlich vom Wirtschaftsprüfer KPMG. Wenn dessen Anerkennung als Zertifizierungsstelle ausläuft, soll in drei Jahren die E-ID zum Zug kommen. Künftig würde also nicht mehr eine private Firma, sondern der Staat den Zugang zum elektronischen Patientendossier kontrollieren.
In der EU diskutiert man über eine europäische digitale Identität. Wird die Schweizer E-ID kompatibel oder eine Insellösung sein?
Ja, das Gesetz ermöglicht kompatible Lösungen. Aber für eine einheitliche Lösung mit der EU bräuchten wir einen Staatsvertrag.
Am meisten würde die E-ID wohl beim E-Government bringen. Ist denn sicher, dass Kantone und Gemeinden da wirklich auch vorwärtsmachen werden und die E-ID akzeptieren?
Kantone und Gemeinden haben ein Interesse daran, ja. Die E-ID erleichtert auch ihre Arbeit. Darum sind der Städte-, der Gemeindeverband und die Konferenz der Kantonsregierungen für die E-ID.
Bei der E-ID soll es drei Sicherheitsstufen geben. Bei derjenigen der höchsten Stufe, für die ein Gesichtsbild benötigt wird, ist nicht klar, ob sie etwas kostet.
Wir gehen davon aus, dass die E-ID gratis sein wird. Eine Ausnahme könnte die höchste Sicherheitsstufe sein, wo allenfalls Gebühren anfallen könnten. Aber diese wird im Alltag kaum zur Anwendung kommen. Ich denke auch nicht, dass sich nur am Preis entscheidet, ob sich die E-ID durchsetzt.
Warum nicht?
Die SuisseID hat am Anfang 169 Franken gekostet. Dann ist der Bund immer weiter runter mit dem Preis, bis auf null. Und der Durchbruch liess noch immer auf sich warten.
Vielleicht ist gratis gar nicht so gut: Niemand versteht das Geschäftsmodell der privaten E-ID-Herausgeber. Viele vermuten: Wenn die E-ID gratis ist, zahlen wir einfach mit unseren Daten.
Das stimmt vielleicht für die heutigen Logins, aber eben gerade nicht für die E-ID. Es gibt zwei Arten von Daten: Die Personenidentifizierungsdaten und die Nutzungsdaten. Diese müssen separat aufbewahrt werden. Dass die Daten mit diesem Gesetz gut geschützt sind, hat auch der Datenschutzbeauftragte bestätigt.
Eben, die E-ID-Herausgeber erhalten die Nutzungsdaten – und speichern sie sechs Monate lang.
Aber sie dürfen nichts mit ihnen machen. Sie wissen zudem nur, wo ich mich eingeloggt habe. Aber nicht, was ich eingekauft habe. Die sechs Monate Aufbewahrungszeit braucht man zum Beispiel, um einen Missbrauch nachweisen zu können. So ist es ja auch bei der Kreditkarte: Ich war auch schon froh, dass ich nachvollziehen konnte, ob ich etwas wirklich mit der Kreditkarte gezahlt habe.
Aber es fallen unnötig viele Daten an. Warum ist nicht eine Lösung Pflicht, bei der die Daten beim User bleiben? Bei der E-ID Schaffhausens und derjenigen von Zug geht das.
Das wird auch mit der E-ID gehen. Der Kanton Schaffhausen will seine Lösung ja anerkennen lassen. Das Gesetz lässt die technische Umsetzung offen. Sie muss aber datensparsam sein. Lassen Sie mich das verdeutlichen: Wenn ich online Schnaps bestellen würde, wüsste der Lieferant heute: Das ist Karin Keller, 57. Neu wird dem Shop einfach mitgeteilt, dass diese Person berechtigt ist, Schnaps zu kaufen. Das ist auch sehr wertvoll im Hinblick auf den Jugendschutz!
Inwiefern?
Mit der E-ID ist eine verlässliche Altersabfrage möglich, weil die Identität vom Bundesamt für Polizei bestätigt wird. Ein 13-Jähriger kann also online keine Filme mehr kaufen, die er nicht schauen darf.
Halt! Es wird weiterhin die Möglichkeit geben, sich auf normalem Weg einzuloggen. Und so kann der 13-Jährige weiterhin bestellen, was er will.
Korrekt. Jeder Onlineshop ist selbst für den Jugendschutz verantwortlich. Dass Online-Einkäufe künftig auch ohne E-ID möglich sein müssen, war eine Forderung des Konsumentenschutzes. Damit wird klar: Die E-ID ist absolut freiwillig. Das ist ein zentraler Punkt!
Ist es aber vorstellbar, dass man in Zukunft für den Jugendschutz eine E-ID-Pflicht einführt – zum Beispiel für Onlineshops, die Alkohol verkaufen oder nicht jugendfreie Inhalte anbieten?
Das schliesse ich nicht aus, es bräuchte aber erneut einen Entscheid des Parlaments.
Was ist, wenn die Vorlage scheitert? Haben Sie einen Plan B?
Nein. Die E-ID ist der Plan B. Mit diesem Gesetz haben wir eine Schweizer Regelung mit einer Schweizer Aufsicht und die Daten bleiben in der Schweiz. Das ist eine Chance. Man kann sie packen oder auch nicht. Aber wenn man sie nicht packt, geht die Entwicklung ohne staatliche Regulierung weiter.
Heisst das: Entweder diese Lösung oder keine? Aber es sind sich ja alle einig, dass es eine E-ID braucht!
Der Bundesrat hat eine staatlichen Lösung mit der SuisseID bereits durchgespielt. Die ist gescheitert. Ich bezweifle, dass der politische Wille da ist, nochmals denselben Fehler zu machen – und nochmals 25 Millionen Franken ohne Ergebnis zu investieren.
Begrenzungs-Initiative, Konzernverantwortungs-Initiative, nun die E-ID und das Burkaverbot: Seit ihrem Amtsantritt als Bundesrätin Anfang 2019 steht Karin Keller-Sutter (57) praktisch im Dauer-Abstimmungskampf. Bislang ging sie daraus immer als Siegerin hervor. Bevor die St. Gallerin die Landesregierung einzog, war sie sieben Jahre Ständerätin. Von 2000 bis 2012 amtete Keller-Sutter als Regierungsrätin in ihrem Heimatkanton. Die gelernte Konferenzdolmetscherin lebt mit ihrem Mann Morten Keller in Wil SG.
Begrenzungs-Initiative, Konzernverantwortungs-Initiative, nun die E-ID und das Burkaverbot: Seit ihrem Amtsantritt als Bundesrätin Anfang 2019 steht Karin Keller-Sutter (57) praktisch im Dauer-Abstimmungskampf. Bislang ging sie daraus immer als Siegerin hervor. Bevor die St. Gallerin die Landesregierung einzog, war sie sieben Jahre Ständerätin. Von 2000 bis 2012 amtete Keller-Sutter als Regierungsrätin in ihrem Heimatkanton. Die gelernte Konferenzdolmetscherin lebt mit ihrem Mann Morten Keller in Wil SG.
Einkaufen, Behördengänge oder der Abschluss einer Versicherung: All das soll künftig einfach und sicher im Internet abgewickelt werden können. Um die eigene Identität online zweifelsfrei zu belegen, soll ein staatlich geprüfter digitaler Nachweis geschaffen werden.
Ausstellen sollen diese E-ID private Firmen. Aus diesem Grund ist gegen das E-ID-Gesetz das Referendum ergriffen worden. Die Gegner fordern, dass der Staat die E-ID ausstellt. Sie fürchten Datenmissbrauch. Die Befürworter hingegen sagen, dass die Daten sicher seien, private Unternehmen könnten aber besser auf die Bedürfnisse der Kunden reagieren. Am 7. März stimmt die Schweiz darüber ab.
Einkaufen, Behördengänge oder der Abschluss einer Versicherung: All das soll künftig einfach und sicher im Internet abgewickelt werden können. Um die eigene Identität online zweifelsfrei zu belegen, soll ein staatlich geprüfter digitaler Nachweis geschaffen werden.
Ausstellen sollen diese E-ID private Firmen. Aus diesem Grund ist gegen das E-ID-Gesetz das Referendum ergriffen worden. Die Gegner fordern, dass der Staat die E-ID ausstellt. Sie fürchten Datenmissbrauch. Die Befürworter hingegen sagen, dass die Daten sicher seien, private Unternehmen könnten aber besser auf die Bedürfnisse der Kunden reagieren. Am 7. März stimmt die Schweiz darüber ab.