Das Hickhack um die Ruag hört nicht auf. Den Rüstungsbetrieb plagen missglückte Panzerverkäufe, eine umstrittene Geschäftsstrategie, unklare Kompetenzen in der Organisation und ein Schleudertrauma auf der Kommandobrücke. Die Chefin Brigitte Beck ist weg, die neue Leitung in der Übergangsphase, der Präsident und sein Stellvertreter sind auf dem Absprung.
Bei der Ruag herrscht seit Monaten Chaos. Verteidigungsministerin Viola Amherd, die die Verantwortung für den Staatsbetrieb mitträgt, konnte bislang keine Ruhe hineinbringen. Ein neuer Chef soll es jetzt richten: Ralph Müller, der frühere CEO des Luzerner Elektronikherstellers Schurter.
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Müller geht es optimistisch an. Im ersten Gespräch zu seinem Amtsantritt Anfang März sagt er zur «Handelszeitung», was ihn antreibt. Er will, «dass die Ruag wieder als innovatives Industrie- und Technologieunternehmen in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird».
KMU-Chef mit Defence-Erfahrung
Den Rucksack dafür bringt er mit. Vor seinem Ruag-Debüt war er 19 Jahre lang bei Schurter, die Hälfte davon als Chef der Gruppe. Dort hatte er auch einen Defence-Bereich zu verantworten. Das Unternehmen stellt Sicherungen, Schalter und Verbindungen für Flugzeuge, Satelliten und die Raumfahrt her. Mangelnde Branchenkenntnis kann man ihm wohl nicht vorwerfen.
Doch auf den Industriemann mit Erfahrung kommt bei der staatlichen Ruag MRO das zu, was man eine Mission Impossible nennt. Er soll neues Geschäft akquirieren, die Schweizer Armee aber zu mindestens 80 Prozent als Hauptkundin behandeln – für die Instandhaltung, Reparatur und Überholung von Armeematerial. Gleichzeitig soll die Ruag industrieller Partner mit Ingenieurswissen für private Firmen sein. Und das mit kaufmännischem Verstand: Die Rentabilität soll für die Firmenentwicklung reichen – aus eigener Kraft. Aber der Gewinn geht ans VBS. So will es der Bundesrat.
Schwieriger Business-Case
Armeeinsider, Rüstungsprofis, gestandene Industrieleute, wen immer man fragt, fast alle Branchenkenner kritisieren diesen gordischen Knoten. Deren Fazit ist: Der Business-Case der Ruag MRO funktioniert nicht.
Aus zwei Gründen. Erstens: Rüstungsexporte aus der Schweiz wurden in den vergangenen zwei Jahren deutlich erschwert. Wenn CEO Müller in diese Richtung neue Geschäfte mit in- und ausländischen Partnerfirmen aufgleisen will, läuft er Gefahr, sich vom Kernauftrag zu entfernen und mehr für die Privatwirtschaft als für die Armee da zu sein.
Mehr zur Ruag
Zusätzliche Geschäfte – über die Wartung und Reparatur von Panzern und Flugzeugen hinaus – braucht es aber, damit die Ruag Kompetenzen aufbauen und ein Industriepartner für Lieferanten sein kann. Allein schon, um als Kooperationsbetrieb bei grossen Rüstungsbeschaffungen überhaupt in Frage zu kommen. «Richtig und wichtig wäre mehr unternehmerische Freiheit für die Ruag sowie Rückendeckung für unternehmerisches Handeln durch den Bund als Eigentümer. Nur so kann die Ruag ihren Auftrag erfüllen», sagt Matthias Zoller, Generalsekretär von Swiss ASD, einer Swissmem-Organisation im Bereich Wehrtechnik.
Zweitens: Schafft es ein Mann aus der privaten Industrie – ohne Leistungsausweis in der Politik und ohne die Sprache der Armee zu sprechen – die Ruag gegenüber der Eignerin so zu definieren, dass sie nicht nur tut, was sie soll, sondern auch über sich selbst hinauswachsen kann?
Zwischen Geschäft und Politik
Müller kommt von einem Familienunternehmen. Bei Schurter hatte er den Ruf eines loyalen Mitarbeiters, der mit den Eigentümern gut auskam, ihre Werte teilte, sich um die Belegschaft kümmerte, auf Kontinuität setzte und auch eine starke Führung pflegte. All das sind Qualitäten, die ihm Weggefährten attestieren.
Als die Beteiligungsgesellschaft Capvis 2023 Schurter aufkaufte, wollte er das Vorgehen der neuen Investoren nicht mittragen. Der Fokus auf schnellen Profit und ein mangelndes Wertebewusstsein im Unternehmen passten ihm nicht. Es zog ihn fort.
Und hin zur Ruag, wo «die CEO-Aufgabe vielleicht noch komplexer ist als in anderen Betrieben im Land», sagt eine Sprecherin. Nachsatz: «Neben dem geschäftlichen Bereich können die politischen beziehungsweise die gesellschaftlichen Aspekte genauso wichtig sein.»
Die Stellen des Präsidenten und seines Stellvertreters bei der Ruag MRO werden nachbesetzt. Nicolas Perrin und sein Vize Heinz Liechti verlassen die Firma. Perrin wolle einer neuen Persönlichkeit die Möglichkeit geben, die Ruag unbelastet, zusammen mit dem neuen CEO, weiterzuentwickeln. Die Geschäfte in Zusammenhang mit den Leopard-1-Panzern hätten eine Tragweite erreicht, die für Ruag zunehmend zur Belastung werden, wird Perrin in einer Mitteilung zitiert.
In informierten Kreisen kursiert bereits eine Shortlist mit Kandidaten. Die Favoriten: Monica Duca Widmer, Multi-Verwaltungsrätin mit 17 Mandaten, bei Ruag MRO seit August 2023 im Gremium. Sowie Theo Staub, mit Managementerfahrung bei der Basler Charterfirma Jet Aviation, heute eine Tochter von General Dynamics mit global 50 Standorten. Staub verfügt über viele Jahre Erfahrung in der Rüstung und in der Luftfahrt.
Die Stellen des Präsidenten und seines Stellvertreters bei der Ruag MRO werden nachbesetzt. Nicolas Perrin und sein Vize Heinz Liechti verlassen die Firma. Perrin wolle einer neuen Persönlichkeit die Möglichkeit geben, die Ruag unbelastet, zusammen mit dem neuen CEO, weiterzuentwickeln. Die Geschäfte in Zusammenhang mit den Leopard-1-Panzern hätten eine Tragweite erreicht, die für Ruag zunehmend zur Belastung werden, wird Perrin in einer Mitteilung zitiert.
In informierten Kreisen kursiert bereits eine Shortlist mit Kandidaten. Die Favoriten: Monica Duca Widmer, Multi-Verwaltungsrätin mit 17 Mandaten, bei Ruag MRO seit August 2023 im Gremium. Sowie Theo Staub, mit Managementerfahrung bei der Basler Charterfirma Jet Aviation, heute eine Tochter von General Dynamics mit global 50 Standorten. Staub verfügt über viele Jahre Erfahrung in der Rüstung und in der Luftfahrt.
Was wie eine Warnung klingt, ist eine Tatsache: «Rüstung ist ein anderes Geschäft als die gewöhnliche Privatwirtschaft», sagt ein Mann der Schweizer Militärindustrie. In der Branche rechnet man deshalb heute schon damit, dass es eine Gratwanderung für den neuen CEO wird. «Man ist mehr Politiker als Geschäftsführer, das war unter anderem das Problem der Vorgängerin Brigitte Beck», sagt ein Insider.
Beck habe deshalb enge Begleitung und Unterstützung von ehemaligen Berufsoffizieren und Korpskommandanten gebraucht, um überhaupt ins Geschäft zu finden. Auch sie blickt wie Müller auf langjährige Erfahrung in der Industrie zurück. Beck war in leitenden Funktionen bei ABB und beim Energieunternehmen BKW tätig. Dennoch ist sie über ihre öffentlichen Statements zur Neutralitätspolitik gestolpert, in denen sie für die Ruag mehr Geschäft herausholen wollte, als ihr erlaubt war.
Vor dieser Herausforderung steht Müller jetzt auch. Zunächst muss er die Wogen glätten. In einem Unternehmen, dessen frühere Chefin wegen fraglicher Geschäfte den Hut nehmen musste. In einem Betrieb, der von der Eidgenössischen Finanzkontrolle vor drei Wochen die Note «ungenügend» bekam. In einer staatlichen Firma, die sich als Technologieunternehmen bezeichnet, aber nur wenig ertragswirksame Geschäfte machen darf. Das ist in etwa so, wie jemandem die Hände zusammenzubinden und zu sagen: «schwimm!».
Amherd hält sich im Hintergrund
Departementschefin Amherd äusserte sich bislang kaum zu den teils widersprüchlichen Anforderungen an die Ruag. Es wirkt fast so, als ob diese ihre Probleme allein regeln soll. Bei Fragen zum Anforderungsprofil für den Chef der Ruag MRO verweist das VBS auf ebendiese: «Die Besetzung der Position des CEO liege in der Verantwortung des Verwaltungsrats.»
Das stimmt rechtlich, aber Vertrauensvorschuss klingt anders. Zumal der derzeit noch amtierende Präsident Nicolas Perrin und sein Vize Heinz Liechti bald weg sein werden. Und der gesamte Verwaltungsrat zwar Industriemann Müller holt, aber ein neu zusammengesetztes Gremium mit einem neuen Präsidenten nicht unbedingt an Müller als Ruag-Chef festhalten muss, wenn dieses ihn nicht bestellt hat.
Ausser Amherd spricht in so einem Fall ein Machtwort. Gegenüber dem Präsidenten darf sie das. Der Verwaltungsratspräsident der Ruag MRO wird durch den Bundesrat gewählt, dem Amherd angehört. Für den Auswahlprozess ist das VBS federführend verantwortlich, das sie leitet.
Feilen am Image
So hingegen geht das VBS zum neuen CEO schon auf Distanz, bevor dieser überhaupt richtig angefangen hat. Müller nimmt es sportlich und die ersten 100 Tage für sich in Anspruch, am Image der Ruag zu feilen. Er will aus dem Betrieb wieder einen innovativen Industrie- und Technologieplayer machen. Punkt. «Das sind wir unseren Mitarbeitenden und Kunden schuldig.»