Brisante Rechnungen in der Affäre um Ständerat Stocker
Die Spur führt zu Wahlverlierer Thomas Minder

Also doch: Der Beschwerdeführer im Fall des abgesetzten SP-Mannes war wohl bloss ein Strohmann. Das Manöver gegen den Schaffhauser Ständerat kostete die Hintermänner 20'000 Franken – die Rechnungen gingen an Minders engsten politischen Vertrauten.
Publiziert: 05.04.2025 um 23:48 Uhr
|
Aktualisiert: 06.04.2025 um 07:39 Uhr
1/10
Das Bundesgericht hat die Wahl von SP-Ständerat Simon Stocker in den Ständerat aufgehoben.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Nach der Absetzung von Ständerat Simon Stocker kommen heikle E-Mails ans Licht
  • Minders engster Vertrauter hat die Rechnungen für den Anwalt bezahlt
  • SP Schaffhausen: «Endlich haben wir Klarheit. Wir haben es mit einer orchestrierten Aktion zu tun.»
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Mix1_Blick_Portrait_1230.JPG
Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Eine Polit-Affäre erschüttert Schaffhausen – und beschäftigt seit knapp zwei Wochen auch den Rest der Schweiz. Da kam es zum juristischen Knall: Das Bundesgericht setzte SP-Ständerat Simon Stocker (43) per sofort ab, weil er zum Zeitpunkt seiner Wahl überwiegend in Zürich wohnte.

Auf das überraschende Urteil folgen jetzt brisante Dokumente. Blick liegen Rechnungen vor, die ein neues Licht auf den Krimi in der Munotstadt werfen.

Der Sensationssieg

Bisher blieb im Dunkeln, wer tatsächlich hinter der Wahlbeschwerde steht, die zu Stockers Absetzung durch das Bundesgericht führte. Der SP-Politiker und sein Team vermuteten, es könnte sich um eine Intrige des Kontrahenten Thomas Minder (64) handeln. Der Vater der Abzocker-Initiative, der zwölf Jahre als Parteiloser in der SVP-Ständeratsfraktion politisierte, hatte im November 2023 völlig unerwartet die Wahl gegen Stocker verloren.

Setzte Minder daraufhin zu einem politischen Manöver gegen Stocker an? Fest steht: Die Beschwerde gegen Stockers Sieg wurde von einem älteren Schaffhauser eingereicht, der anonym bleiben möchte. War er nur ein Strohmann? Das Minder-Lager dementierte stets: Die Beschwerde sei nicht politisch motiviert, der Mann ein unabhängiger Stimmbürger, dem es einzig um staatsbürgerliche Prinzipien gehe.

Auf die Frage eines Richters, ob sich andere Kräfte hinter der Beschwerde verbergen würden, antwortete der Beschwerdeführer gereizt: «Dummes Zeug!»

Die heiklen Rechnungen

Also alles nur eine Verschwörungstheorie? Kaum, denn nun zeigen Dokumente: Das aufwendige Verfahren gegen Stocker wurde wohl von Thomas Minders langjährigem Weggefährten Claudio Kuster finanziert. Der Anwalt, der die Absetzung des SP-Ständerats durchsetzte, adressierte sämtliche Rechnungen an ihn. 

Zwischen November 2023 und Juni 2024 mailte die Anwaltskanzlei fünf Rechnungen an Kuster – jeweils mit der Aufforderung, sie innerhalb von zehn Tagen zu begleichen. Die Gesamtsumme belief sich auf 19’296 Franken – Kosten, für die nach dem Bundesgerichtsentscheid nun Stocker aufkommen muss.

Kuster steht seit 20 Jahren eng an Minders Seite. 2004 absolvierte er eine KV-Lehre in dessen Firma Trybol, kochte auch Kaffee für den Chef. Bald schon verfasste er in Minders Namen Leserbriefe für die Lokalzeitung, ab 2006 zog er die Fäden bei der Abzocker-Initiative. 2011 wurde Minder in den Ständerat gewählt – und Kuster blieb sein politischer Sekretär. Bei Minders Rennen ums Stöckli 2023 agierte er als dessen Wahlkampfleiter.

Es scheint unwahrscheinlich, dass Kuster die 20’000 Franken für die Gerichtsverfahren gegen Stocker aus dem privaten Sack investierte. Nur: Weshalb verschleierte das Minder-Lager, dass die eigenen Leute hinter der Beschwerde stecken, die nicht nur die Amtsenthebung von Stocker forderte, sondern auch die Wiedereinsetzung ihres unterlegenen Kandidaten als Ständerat?

Auf Anfragen reagierte Minder nicht. Nach der schmerzlichen Wahlniederlage zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück. Entgegen der politischen Tradition hat er seinem Nachfolger nie zum Wahlsieg gratuliert.

Konfrontiert mit den Recherchen von Blick, schickte Kuster eine Handynachricht, in der er alles bestreitet. Dann tauchte er ab – ausgerechnet er, der sich in Schaffhausen sonst eifrig für Transparenz einsetzt.

Der Strohmann

Hinweise auf Kusters Beteiligung an der Affäre lieferte bereits die Verhandlung vor dem Schaffhauser Obergericht im Juni 2024. Ursprünglich hatte es entschieden, dass Stocker Ständerat bleiben darf. Anders als später das Bundesgericht kamen die Schaffhauser Richter zum Schluss, dass der SP-Mann bei seiner Wahl in den Ständerat seinen politischen Wohnsitz in Schaffhausen gehabt habe. Daran änderte laut Urteil auch der Wohnsitz von Ehefrau und Kind in Zürich nichts.

Während der Verhandlung aber sorgte eine ganz andere Szene für Unruhe. Der angeblich völlig unabhängige Beschwerdeführer gab zu, dass er Minder im Wahlkampf persönlich kennengelernt und für dessen Kampagne Flyer und Biberli verteilt habe. Mehr noch: Kurz vor seiner Beschwerde hatte der Mann offenbar Kontakt zu Claudio Kuster. Gemäss seinen Aussagen vor Gericht will er von Stockers Zürcher Wohnsitz aus der «Weltwoche» erfahren und Kuster daraufhin angerufen haben, der ihm den Kontakt zum Anwalt vermittelte. Ungeachtet dieser Darstellung wies das Minder-Lager jegliche Verwicklung von sich.

Kurz vor der Verhandlung verlangte der Anwalt noch den Ausschluss der Öffentlichkeit vom Prozess. Den juristischen Antrag dafür liess sich das Minder-Lager 2000 Franken kosten. Sollte damit verhindert werden, dass die Verbindungen vom Beschwerdeführer zum Minder-Lager auffliegen? Wie auch immer: Das Gericht lehnte den Antrag ab.

Letztlich stufte eine Mehrheit des Obergerichts die Beschwerde als rechtmässig ein. Eine Minderheit jedoch betrachtete den Beschwerdeführer schon damals als «Strohmann» in einem sorgfältig geplanten Manöver und wollte die Beschwerde als rechtsmissbräuchlich abweisen.

«Endlich haben wir Klarheit»

Simon Stocker will sich auf Anfrage von Blick nicht zu den neuen Erkenntnissen äussern. Romina Loliva, Co-Präsidentin der Schaffhauser SP, sagt: «Endlich haben wir Klarheit und wissen, dass die Beschwerde politisch motiviert war. Wir haben es mit einer orchestrierten Aktion aus bürgerlichen Kreisen gegen den Wahlsieger Simon Stocker zu tun.» Es sei bedauerlich, dass Thomas Minder und seine Helfer dies bis zum Schluss verschleiert hätten.

Recherche-Hinweise

Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch

Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch

Juristisch dürfte die Enttarnung der tatsächlichen Hintermänner in dieser Affäre wenig ändern. Die Schaffhauser SP will sich jetzt voll auf die Neuwahlen am 29. Juni konzentrieren. Die FDP schickt einen eigenen Kandidaten ins Rennen. Eine Findungskommission schlug einstimmig vor, mit Severin Brüngger zur Wahl gegen Stocker anzutreten.

Tritt Thomas Minder erneut an?

Thomas Minder schweigt. Offen bleibt, ob er eine erneute Kandidatur wagen wird. Die Anzeichen mehren sich aber, dass sich der einstige Abzocker-Schreck aus dem Ständeratsrennen zurückzieht. Er hätte wohl nach dieser Affäre ohnehin kaum noch Chancen auf das Amt im Stöckli.

Und Simon Stocker? Der ist mit seiner Familie mittlerweile nach Schaffhausen in eine Viereinhalbzimmerwohnung gezogen. War seine Wahl im Jahr 2023 noch eine kleine Sensation, wäre nun alles andere als ein Sieg im Juni eine Überraschung.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?