Die Gewerkschaften singen das Lied der Altersarmut, während ihre Gegner von der «goldenen Generation» sprechen: Vor der Abstimmung über die 13. AHV-Rente wissen die Pensionierten entweder nicht, wie sie ihre nächste Stromrechnung bezahlen sollen – oder aber sie jetten zum Golfen nach Kapstadt, bevor es dann nach Dubai zum Shoppen geht.
Was stimmt? Reicht die Rente nicht mehr, wie die Gewerkschaften behaupten, oder sind im Gegenteil die Rentner so reich, dass eine 13. AHV-Rente rausgeworfenes Geld wäre? Blick macht den Faktencheck.
Mehr Vermögen
«Von wegen arme Alte!», titelte die «NZZ am Sonntag» vor einer Woche. Neue Daten würden zeigen, dass Senioren viel reicher sind als die übrige Bevölkerung: Rentner würden im Schnitt ein sechsmal so hohes Vermögen besitzen wie unter 65-Jährige. So seien drei Viertel der Rentnerpaare Immobilienbesitzer, in der restlichen Bevölkerung könnten sich nur halb so viele Wohneigentum leisten.
Rentner haben mehr Vermögen, das stimmt. Doch ganz so eindeutig ist die Verteilung nicht: Zieht man die Schulden (meist Hypotheken ab), dann haben über 65-Jährige im Mittel ein Vermögen von 250'000 Franken, die unter 65-Jährigen rund 100'000 Franken.
Dass just zum Renteneintritt das Vermögen steigt, hat Gründe: Dann lassen sich nicht wenige Rentnerinnen und Rentner einen Teil ihres Pensionskassenguthabens auszahlen, was als Vermögen gilt. Ausserdem fallen Erbschaften heute häufig rund um das eigene Pensionierungsalter an – der gestiegenen Lebensdauer sei Dank.
Das ändert aber nichts am Fakt, dass Seniorinnen und Senioren mehr Vermögen haben als Menschen im Erwerbsalter. Jedoch sagt das Vermögen nur bedingt etwas über die finanzielle Situation aus: Vom Wert des eigenen Hauses kann man keine Stromrechnung zahlen. Ein Verkauf würde bedeuten, dass man künftig Mietkosten hätte.
Weniger Einkommen
Betrachtet man den Alltag, so ist das Vermögen viel weniger ausschlaggebend als das Einkommen. Und da schwingen die Rentnerinnen und Rentner nicht obenaus. Logisch: Löhne sind höher als Renten.
Gemäss einer Erhebung des Bundes liegt das mittlere Monatseinkommen eines Rentners bei 4069 Franken, das einer Rentnerin bei 3474 Franken. Rentnerpaare haben in der Regel 6761 zur Verfügung. 25 Prozent der Pensionierten müssen gar mit rund 1000 Franken weniger auskommen. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2015, sind also schon knapp zehn Jahre alt, neuere gibt es nicht.
Doch mithilfe des Pensionierungsbarometers des Vermögenszentrums lässt sich sagen, wie die Entwicklung seither verlaufen ist. «Die Rente sinkt – und das seit Jahren», heisst es darin klipp und klar. Seit dem Jahr 2002 sind die Renten um durchschnittlich 21 Prozent geschrumpft. Zwar ist die AHV im gleichen Zeitraum um 19 Prozent gestiegen – die Renten aus der zweiten Säule aber sind um mehr als 40 Prozent gesunken.
Und das schenkt ein: 2002 durfte ein 55-jähriger Mann mit einem Einkommen von 120'000 Franken im Jahr erwarten, dass er mit 65 aus AHV und PK eine Rente von knapp 75'000 Franken erhält. Heute sind es noch 59'200 Franken. Und das dürfte so weitergehen: Die Pensionskassen werden ihre Umwandlungssätze weiter senken. Unter anderem, das muss gesagt werden, weil das angesparte Kapital länger halten muss, weil wir immer älter werden.
Das heisst im Umkehrschluss: Ein immer grösserer Teil der Rente stammt aus der AHV: 2002 trug die AHV ein Drittel zur Gesamtrente bei und die Pensionskassen zwei Drittel, heute ist es 50:50.
Grösseres Armutsrisiko
Entsprechend sind nicht alle Seniorinnen und Senioren auf Rosen gebettet, wie die oben zitierte Studie des Bundes zeigt: Während 15 Prozent der unter 65-Jährigen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben, sind es bei den Rentnerinnen und Rentnern 22 Prozent.
Noch deutlicher wird die Diskrepanz, wenn man die Einpersonenhaushalte betrachtet: 29 Prozent der Frauen und 26 Prozent der Single-Rentner liegen unterhalb dieser Schwelle. Bei den Erwerbstätigen sind es 17 Prozent. Der Grund liegt darin, dass immer noch viele Rentnerinnen und Rentner ausschliesslich von der AHV leben. Und ganze zwölf Prozent der Rentnerinnen und Rentner beziehen Ergänzungsleistungen.
Allerdings muss man auch sagen, dass alleinerziehende Mütter im Erwerbsalter noch weniger Geld zur Verfügung haben.
Vergleich mit dem Ausland
Vergleicht man das Einkommen der Schweizer Rentner mit dem von Pensionierten im Ausland, so stehen Letztere besser da. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) errechnet jährlich die sogenannte Nettoersatzquote. Diese spiegelt das verfügbare Einkommen im Ruhestand im Vergleich zum Verdienst während des Erwerbslebens wider.
Und da schneidet die Schweiz schlecht ab: Ein Durchschnittsverdiener hat nach der Pensionierung noch 45 Prozent seines Erwerbseinkommens zur Verfügung. In den EU-Staaten sind es 70 Prozent, beim Nachbarn Österreich gar 92 Prozent. Diese Vergleiche zeigen eine Tendenz, sind aber mit Vorsicht zu geniessen – die Sozialsysteme und Lebensumstände sind zu unterschiedlich.
Aber auch hier bringt ein Blick auf die Berechnungen des Vermögenszentrums, das eine ähnliche Kennzahl errechnet, etwas mehr Klarheit: Ein Mann, der 2002 bei seiner Pensionierung 100'000 Franken brutto verdiente, erhielt 62'420 Franken Rente. Das entsprach 62 Prozent seines letzten Lohns. 2022 ist diese Nettoersatzquote auf 53 Prozent gesunken.