So leben die Menschen am gefährlichsten Ort der Ukraine
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Zwischen Trümmern und Drohnen:So leben die Menschen am gefährlichsten Ort der Ukraine

Blick mit SRK-Chefin Nora Kronig Romero in Kiew – über Kriegsflüchtlinge in der Schweiz sagt sie
«Schnelle Rückkehr der Ukrainer ist unrealistisch»

Nora Kronig Romero, Direktorin des Schweizerischen Roten Kreuzes, berichtet von ihrer Ukraine-Reise. Sie erklärt, warum viele Geflüchtete noch länger in der Schweiz bleiben werden, wie die Aussichten auf Frieden stehen und warum die Solidarität abnimmt.
Publiziert: 24.03.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 24.03.2025 um 10:10 Uhr
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Nora Kronig Romero ist die Direktorin des Schweizerischen Roten Kreuzes.
Foto: Olga Ivashchenko/Blick
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Raphael RauchBundeshausredaktor

«Luftalarm über Kiew! Ab in den Schutzraum!» An drei Abenden schlug Nora Kronig Romeros (44) Handy Alarm. Blick hat die Direktorin des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) auf ihrer Ukraine-Reise begleitet.

Frau Kronig Romero, wie fühlt sich Krieg an?
Nora Kronig Romero: Verheerend. Wir haben am Dienstag im Zug die Nachrichten zum Telefonat zwischen Präsident Trump und Präsident Putin mitbekommen, die über einen möglichen Waffenstillstand sprachen. Eine Stunde später mussten wir im Hotel in einen Schutzraum gehen und dort sechs Stunden ausharren. Menschen, die das seit drei Jahren durchmachen, brauchen eine enorme Kraft.

Am Donnerstag und Freitag gab es erneut Luftalarm. Haben Sie sich unsicher gefühlt?
Persönlich nicht. Ich befolgte strikt unsere Sicherheitsanweisungen. Man denkt in solchen Momenten jedoch an all die Menschen in der Ukraine, die für sich, ihre Familien und Freunde Angst haben müssen, die auf den Telegram-Kanälen die Bilder von Explosionen anschauen und Nachrichten zu den Feindseligkeiten eins zu eins verfolgen. Man weiss nie, ob man direkt betroffen sein wird.

Sie haben ein kleines Kind. Warum tun Sie sich eine Ukraine-Reise an?
Das gehört zu meiner Aufgabe als SRK-Direktorin. Wir setzen uns unparteiisch für die Menschen ein, die uns brauchen – auch in bewaffneten Konflikten. Dafür muss ich auch persönlich die Situation in einem Land wahrnehmen können. Ich habe mich für die Ukraine als erstes Auslandsziel entschieden, weil wir hier unser grösstes Engagement im Ausland haben und weil die jetzige politische Situation sehr dynamisch ist.

Was hat Sie am meisten überrascht?
Auf der einen Seite herrscht das Gefühl einer gewissen Normalität – das Leben muss trotz des Konflikts weitergehen. Und doch ist praktisch jede Familie vom Konflikt betroffen: Es gibt einen Vater, der das Leben verloren hat, einen Bruder, der nicht mehr da ist, Verwandte, die geflohen sind. Die Zukunft ist ungewiss. Und doch wird eine unglaubliche eigene Resilienz gezeigt.

Wie geht es nun weiter?
Ich wünschte, dass ich darauf eine Antwort hätte. Natürlich hoffen alle auf einen dauerhaften Frieden. Die neusten politischen Diskussionen auf globaler Ebene lassen darauf deuten, dass es doch baldige Entwicklungen geben könnte, hoffentlich für eine Verbesserung. Eine Verschlechterung kann aber nicht ausgeschlossen werden.



Inwiefern verschlechtern?
Nach wie vor sterben Menschen auf dem Schlachtfeld oder werden in ihren Häusern angegriffen. Gebäude, die frisch aufgebaut worden sind, geraten erneut unter Beschuss. Wenn sich politisch etwas tut, kann sich militärisch nochmals viel tun – das könnte zusätzliche Opfer bedeuten. Umso wichtiger ist, dass dem humanitären Völkerrecht die nötige Beachtung zukommt: Auch in Kriegen gibt es Regeln, die die Zivilbevölkerung schützen. Diese gilt es einzuhalten.

Trump, Putin und Selenski haben sich darauf verständigt, Angriffe auf Energieanlagen einzustellen. Ist das ein erster Schritt in Richtung Waffenstillstand?
Wir begrüssen alle Schritte in Richtung Waffenstillstand. Die Menschen brauchen eine Atempause von der Gewalt. Ich spüre vor Ort aber eine grosse Skepsis, ob es wirklich dazu kommt.

Rechnen Sie damit, dass Flüchtlinge aus der Schweiz bald in die Ukraine zurückkehren?
Wie schnell sich der Konflikt lösen wird, weiss ich nicht. Davon hängt eine eventuelle Rückkehr schlicht ab. Geflüchtete werden aus dem Ausland zurückkehren, intern werden sich Menschen wieder bewegen wollen und Veteranen werden wieder Fuss fassen müssen. Das wird nur gehen, wenn ein gerechter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rahmen gegeben sein wird.

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Viele Schweizer Politiker finden: Die Ukrainer sollen lieber heute als morgen zurück.
Aktuell ist eine schnelle Rückkehr von ukrainischen Geflüchteten unrealistisch. Die Situation ist zu ungewiss. Es gibt übrigens immer wieder Fälle, warum Menschen freiwillig zurückkehren. Das hat oft mit familiären Gründen zu tun, etwa weil Verwandte gepflegt werden müssen, oder weil ein Gebiet doch als verhältnismässig sicher gilt. Für das Schweizerische Rote Kreuz steht der würdige Umgang mit jedem Menschen im Zentrum.

Norwegen hat Menschen aus dem Westen der Ukraine den S-Status entzogen. Die Schweiz lehnt diesen Schritt noch ab und möchte nur ein mit der EU abgestimmtes Vorgehen. Ihre Meinung?
Wir dürfen die psychologische Dimension von Sicherheit nicht unterschätzen. Auch im Westen der Ukraine leiden die Menschen unter den Folgen des Konflikts. Selbst wenn die Region auf den ersten Blick sicher erscheint, gibt es einen Stressfaktor. Das merken wir auch in unseren Projekten, die wir im Westen der Ukraine haben. Auch hier sind viele junge Männer gestorben oder werden vermisst, Kinder haben teilweise nur Onlineunterricht.

Die Spendenbereitschaft für die Ukraine aus der Schweiz hat nachgelassen. Ist die reiche, friedliche Schweiz kriegsmüde geworden?
Es stimmt: 2022 wurde für die Ukraine mehr gespendet als heute. Dabei sind die Bedürfnisse nach wie vor gross. Es geht nicht nur um Nothilfe, sondern auch darum, die Menschen mittel- und langfristig zu unterstützen. Ich denke an eine alte Frau im Westen der Ukraine, die vom Zweiten Weltkrieg gezeichnet ist und nun einen weiteren Krieg erlebt. Ohne das Rote Kreuz würde sich niemand um sie kümmern.

Auf Ihrer Reise haben Sie den Satz gehört: «Solange es Putin gibt, gibt es keinen Frieden.»
Ich habe auch den Satz gehört: «Wann es Frieden gibt, das weiss nur Gott.» Niemand, auch Präsident Trump nicht, weiss, wann es einen echten, dauerhaften Frieden in der Ukraine geben wird. Das Rote Kreuz kämpft jedoch jeden Tag dafür.

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