Darum gehts
Ein Witz zirkuliert derzeit unter Rüstungskäufern. Fragt der Anbieter: «Kennen Sie die schweizerische Gesetzgebung für Kriegsmaterialexporte?» Der Käufer antwortet: «Ja, wir kennen sie. Aber wir wissen nicht, was nächste Woche sein wird.» Dann werde herb gelacht, sagt Peter Huber, Schweizer Industrieinvestor aus Schindellegi SZ. Und danach die obligatorische Frage: «Haben Sie auch ‹Swiss-free products›?»
«Wir sind in eine Sackgasse geraten», sagt Unternehmer Huber, der sich solche Witze oft anhören muss. Im Ausland herrsche «ein völliger Vertrauensverlust gegenüber der Schweiz». Das sei sehr frustrierend für eine Industrie, die Hightech-Komponenten entwickle und bedeutende Länder und Rüstungsfirmen zu ihren Kunden zähle. Hubers Firma Systems Assembling stellt Dual-Use-Produkte her, die etwa in Panzer und Abwehrsysteme eingebaut werden. Lange war Neuenburg der Herstellort. Jetzt muss Huber – wie alle in der Branche – die Produktion ins Ausland verlagern. Hauptsache «Swiss-free», sonst bricht die Nachfrage ein.
Dies zeigt die jüngste Kriegsmaterial-Exportstatistik von vergangener Woche. Minus 5 Prozent Umsatz letztes Jahr und minus 30 Prozent seit 2022, dem Jahr des Kriegsausbruchs in der Ukraine. Das ist nicht normal, denn in Europa boomt der Sektor, weil Nato-Länder aufrüsten.
Zum Beispiel bei der Düsseldorfer Rheinmetall. Der Konzern hat seinen Umsatz im vergangenen Jahr um 36 Prozent auf 9,75 Milliarden Euro gesteigert. Dieser Zuwachs geht auf das militärische Geschäft zurück, das 80 Prozent des Umsatzes ausmacht. Das Unternehmen überlegt sogar, marode deutsche Autofabriken umzunutzen. «In den vergangenen 12 Monaten erhielten wir mehr Aufträge als in den letzten 15 Jahren», sagte Konzernchef Armin Papperger vor zwei Wochen zur «Financial Times».
Einen ähnlichen Boom verzeichnen andere europäische Rüstungskonzerne wie Thales, BAE Systems, Leonardo und Saab. Doch der Schweizer Rüstungssektor implodiert. Ein paar Beispiele.
Erzwungene Verlagerungen
Rheinmetall Air Defence (früher Oerlikon Contraves), die Schweizer Tochter des deutschen Konzerns Rheinmetall, entwickelt unter anderem eine kanonenbasierte Drohnenabwehr. Weil ausländische Kunden es so verlangen, hat die Firma die Endmontage nach Italien verlegt, um «Swiss-free» liefern zu können. So wächst das Abwehrgeschäft in Italien und nicht in der Schweiz. Im Zuge der Verlagerung müssen Schweizer Zulieferer ihrer Grosskundin nachziehen oder sie an italienische Konkurrenten abgeben.
Vergangenes Jahr entschied Rheinmetall, die Produktion für Mittelkalibermunition, die Nato-Kampflieger abfeuern, nicht in der Schweiz zu erweitern, wie das zuvor geplant war. Im Kanton Uri wären sechzig Arbeitsplätze geschaffen worden. Auf Geheiss der deutschen Regierung baute Rheinmetall diese Produktion bei sich aus.
«Weil Deutschland garantiert haben wollte, dass es auch dann beliefert werden könnte, wenn irgendein Nato-Staat in einem Konflikt wäre. Dies ist mit dem heutigen Schweizer Gesetz nicht erlaubt», sagt Matthias Zoller, Rüstungsbeauftragter des Tech-Verbands Swissmem. Deutschland kann nicht jedes Mal, wenn es eine Krise erfordert, die Schweiz um Genehmigung bitten. Kurzum: Die Munition muss «Swiss-free» sein.
«Swiss made» wird wertlos für andere Länder
«Unser Kriegsmaterialgesetz hat einen grossen Konzeptionsfehler», sagt Unternehmer Huber. «Im Konfliktfall können europäische Rüstungskäufer nicht frei über schweizerische Rüstungsgüter verfügen. Damit werden sie für diese Länder wertlos.»
Was dieser Fehler bewirkt, zeigen weitere Fälle: Die frühere Mowag und heutige US-Firma General Dynamics European Land Systems produziert im Thurgau weltbekannte gepanzerte Radfahrzeuge des Typs Piranha. Nachdem die Schweiz die Weitergabe solcher Panzer von Dänemark in die Ukraine verboten hat, baut der Konzern nun im Ausland aus. Auch hier gilt: Radpanzer müssen «Swiss-free» sein.
Die Tochterfirma von Beretta, Swiss P Defence, produziert in Thun Kleinkalibermunition. Wie lange noch, ist ebenfalls unklar. Jüngst hat die Firma 22 Personen entlassen und einen Sozialplan aufgelegt. Produktions-Know-how wurde wegen des Erfordernisses «Swiss-free» nach Deutschland verlagert.
Beretta warnt, dass man, wenn es mit der Schweizer Gesetzgebung so weitergehe, das Werk in Thun mit 350 Mitarbeitenden schliessen müsse. Das könnte nicht zuletzt die Schweizer Armee treffen, die von der früheren Ruag-Tochter beliefert wird.
Belegschaft in der Schweiz halbiert – in Portugal wächst sie
Ein weiteres Beispiel ist das Familienunternehmen B & T in Thun, das Kleinkaliberwaffen herstellt. Um wachsen zu können, verlagert es die Herstellung nach Deutschland: «Um die Bundeswehr weiterhin beliefern zu können», weiss Zoller.
Auch Unternehmer Huber hat für seine Firma eine Alternative gefunden: «Wir sind daran, ein Werk in Portugal aufzubauen, um die militärische Nachfrage zu bedienen.» Am Hauptsitz im neuenburgischen Boudry wurde die Belegschaft halbiert.
Wahrscheinlich stimmt deshalb auch die Seco-Studie von BAK Economics nicht mehr für heute, die 2021 den Rüstungssektor untersucht hatte. Damals wurden 14'278 Angestellte vermerkt und ein Umsatz von 2,3 Milliarden Franken.
Wie die Schweiz in den Strudel geriet
Der Schlamassel hat drei Ursachen. Erstens eine Verschärfung des Gesetzes vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Zweitens drei ablehnende Entscheide der Schweiz an europäische Länder, dass Schweizer Rüstungsgüter nicht weitergegeben werden dürften. Und drittens eine verschleppte Gesetzesrevision. Die Panne begann 2021, sechs Monate vor Kriegsausbruch, als das Parlament einen Ausnahmeparagrafen strich.
Dieser hatte bis dahin dem Bundesrat das Recht eingeräumt, Rüstungsexporte oder die Rüstungsweitergabe zu bewilligen, die sonst verboten wären – wenn es das Landesinteresse erfordert. Das Parlament entfernte ihn unter dem Eindruck einer Volksinitiative, die Exporte an Bürgerkriegsparteien verbieten wollte. Der unmittelbare Anlass war die brutale Ermordung eines saudi-arabischen Oppositionellen durch die dortigen Machthaber. Eine Mehrheit von Mitte-links setzte sich durch. So nahm das Drama seinen Anfang.
Abgelehnte Gesuchte
Die Lage verschärfte sich mit dem Angriff der Russen. Drei Länder baten die Schweiz um dringende, indirekte Unterstützung. Dänemark wollte zwanzig Schweizer Schützenpanzer, die es vor Jahren gekauft hatte, an die Ukraine weitergeben. Spanien beabsichtigte, zwei gekaufte Schweizer Flugabwehrkanonen abzutreten. Und Deutschland wollte alte Leopard-Panzer und hier hergestellte Munition liefern.
Die Länder brauchten eine Schweizer Bewilligung zum Reexport. Doch das Seco und später auch der Bundesrat lehnten die Gesuche ab mit der Begründung, dass das verschärfte Gesetz keine Ausnahme erlaube. Der Bund wurde in dieser Haltung bestärkt, weil das Parlament im Rahmen von Vorstössen die Weitergabe ablehnte. Seitdem gilt für die allermeisten früheren Rüstungskunden: Es muss «Swiss-free» werden.
Vier politische Lager blockieren einander
2023 und 2024 gab es mehrere Vorstösse, um das Gesetz so zu ändern. Doch sie scheiterten alle. Im Parlament blockieren sich vier Lager gegenseitig: Das erste Lager verabsolutiert die Neutralität. Das zweite Lager will zwar keine Rüstungsexporte, aber im Fall der Ukraine eine Ausnahme machen. Das dritte Lager will primär die Schweizer Industrie stärken. Und das vierte Lager lehnt Rüstung für Kriege ab.
Das erste und vierte Lager blockieren zusammen die Weitergabe an die Ukraine. Es sind dies die SVP, die Grünen, zwei Drittel der SP, die Hälfte der Mitte-Partei und vereinzelte FDPler. Sie haben politisch wenig miteinander zu tun, bewirken zusammen aber den Einbruch der Rüstungsnachfrage.
Das zweite und das dritte Lager versuchen sich in einer Allianz, um das Gesetz zu lockern. Damit soll sowohl der Ukraine als auch der inländischen Produktion geholfen werden. Dahinter steht eine FDP-Mehrheit, die Grünliberalen, die andere Hälfte der Mitte-Partei und eine SP-Minderheit. Die Aushängeschilder sind FDP-Präsident Thierry Burkart, Mitte-Ständerat Charles Juillard und die SP-Frauen Priska Seiler Graf und Franziska Roth.
Ihr Ziel ist, bis Juni einen Vorstoss zu modifizieren, der von einer Mehrheit getragen würde. Doch diese Allianz ist wackelig, weil die FDP nicht das Gleiche erreichen will wie die Mitte-Partei und diese nicht das Gleiche wie die SP. Alles dreht sich um die Frage, wie die Schweiz in Staaten «gleicher Werte» exportieren könnte.
Fällt die SP weg, müsste die SVP für eine Mehrheit sorgen. Die Krux: Die SVP lehnt eine solche Definition der Staaten «gleicher Werte» partout ab. Sie sagt vereinfacht: wenn neutral, dann Rüstung an alle verkaufen, «selbst an Bürgerkriegsparteien wie im Jemen», sagt ein SVP-Rüstungspolitiker, der nicht namentlich zitiert werden will. Diese Haltung wird von den anderen Parteien abgelehnt.
Obwohl die Fronten sehr verhärtet sind, verbreitet sich laut einem Kenner selbst in der SVP langsam die Einsicht: Die Schweiz soll künftig unter befreundeten Staaten die Weitergabe an Länder, die sich gegen einen völkerrechtswidrigen Aggressor verteidigen – wie die Ukraine –, bedingungslos erlauben. Das Ziel: «Wir müssen wieder eine verlässliche Partnerin werden», sagt Unternehmer Huber. Dann werde das Ausland das Label «Swiss-free» wieder streichen. Nur dann, so Swissmem-Experte Zoller, bleibe die sicherheitsrelevante Technologie der Schweiz erhalten, die für die Armee entscheidend sei. Mit inländischen Aufträgen allein könne «die Industrie nicht überleben».