So tragisch es tönt: Viele Patienten – vor allem solche mit seltenen Krebsarten – sind noch schlechter dran. Die Therapie, die Riebli-Föhn hätte erhalten sollen, war zumindest auf der sogenannten Spezialitätenliste (SL). Darauf finden sich alle Medikamente, die durch die Krankenkasse bezahlt werden müssen. Ist ein Medikament da nicht drauf, kann es nur im Ausnahmefall vergütet werden.
Ein Drittel «Off-Label»
Doch ein Drittel der Medikamente, die aktuell gegen Krebs verordnet werden, steht gar nicht auf der Liste. Sei es, weil das Medikament erst für eine andere Krebsart zugelassen ist oder weil sich das BAG und der Hersteller nicht auf einen Preis einigen konnten.
In diesen Fällen – Experten sprechen vom «Off-Label-Bereich» – sind die Patienten ihrer Krankenkasse ausgeliefert. Diese entscheidet nämlich im Einzelfall, ob sie die oft hohen Kosten für eine solche Therapie übernimmt oder nicht. Konkret: Gut möglich, dass von zwei Frauen mit der gleichen Brustkrebsdiagnose die eine das Medikament von der Kasse bezahlt bekommt, die andere aber nicht.
«Reine Sparvorlage»
Eine Ungleichbehandlung, die Gesundheitsminister Alain Berset (50) aus der Welt schaffen will. Dazu plant er, die Krankenversicherungsverordnung anzupassen. Künftig soll es keine Rolle mehr spielen, bei welcher Krankenkasse ein Patient versichert ist – innovative Medikamente, die Leben retten, sollen allen offenstehen.
Mehr zum Thema Gesundheitskosten
Nur: Glaubt man Ärzten, ist Bersets Versuch gründlich schiefgelaufen. Die Revision sollte die Zugangsgerechtigkeit verbessern, die Qualität erhöhen und die Bürokratie abbauen. «Keines dieser Ziele wurde erreicht», lautet das ernüchterte Fazit von Roger von Moos (56), Chefonkologe am Kantonsspital Graubünden. «Jetzt ist es eine reine Sparvorlage, die die Versorgungssicherheit gefährdet und die Rechte der Patienten massiv beschneidet.»
Medikamente müssen 35 Prozent besser sein
Was schlägt Berset vor? Neu sollen – auch im Off-Label-Bereich – nur noch Medikamente vergütet werden, die nachgewiesenermassen einen «grossen Mehrnutzen» haben. Konkret muss der Hersteller beweisen, dass sein neues Medikament 35 Prozent besser ist als andere auf dem Markt. Kann er das nicht, drohen happige Preisabschläge von bis zu 60 Prozent – oder gar keine Vergütung.
Für von Moos ist diese Vorgabe aus zwei Gründen absurd: Erstens gebe es in der pharmakologischen Forschung selten so revolutionäre Fortschritte. Zweitens müssten diese 35 Prozent durch Studien bewiesen werden. Doch solche gebe es bei seltenen Krankheiten mit sehr wenigen Betroffenen kaum. Aus gutem Grund: «Wenn man bereits präklinisch beweisen kann, dass ein Medikament wirkt, ist es ethisch nicht vertretbar, 50 Prozent der schwerkranken Patienten mit Placebo zu behandeln, wie man das in einer solchen Studie machen müsste.»
Pharmafirmen wollen nicht auf Liste
Das BAG schreibt auf Anfrage, das 35-Prozent-Kriterium basiere auf international anerkannten Bewertungskriterien und werde bereits heute berücksichtigt. «Das BAG sieht diesbezüglich keine wesentliche Veränderung im Vergleich zur aktuellen Beurteilung», so das Amt.
Es verweist ausserdem auf eine Evaluation vor zwei Jahren. Diese ergab, dass manche Pharmafirmen ihre neuen Medikamente gar nicht mehr für die Spezialitätenliste anmelden – weil der Off-Label-Bereich lukrativer ist als sich mit dem BAG auf einen Preis zu einigen.
Bund erhöht den Druck
Das zeigt: Hinter all dem steht ein zähes Ringen um die Medikamentenpreise. Die Pharmafirmen wollen möglichst viel mit ihren Medikamenten verdienen – der Bund will möglichst niedrige Preise, um die Gesundheitskosten im Zaum zu halten und Prämienanstiege klein zu halten.
Mit der neuen Verordnung will Berset den Druck auf die Pharmafirmen erhöhen, wie das BAG freimütig zugibt: Die Preisabschläge seien «so gewählt, dass Pharmaunternehmen den Anreiz haben, ihre Medikamente rasch für eine Aufnahme auf die Spezialitätenliste anzumelden und mit dem BAG Lösungen für diese Aufnahme zu erzielen», schreibt es. Heisst: Die Ausnahmeklausel soll so unattraktiv werden, dass die Pharma bei den Preisverhandlungen schneller einlenkt.
Es droht Zweiklassenmedizin
Von Moos hat genug von dem Gezerre. Er sagt: «Der Kampf um Preise und Kosten wird weiterhin auf dem Buckel von Schwerkranken ausgetragen.» Er fordert, dass der Bund nochmals über die Bücher geht. «Sonst muss ich einer 36-jährigen Mutter von zwei kleinen Kindern erklären, dass sie keinen Zugang mehr hat zu einer Therapie, weil diese 60'000 Franken kostet.»
Andere, die es sich leisten könnten, die Kosten selbst zu tragen, würden hingegen behandelt. «Da sind wir dann definitiv bei der Zweiklassenmedizin.»