Auch wenn sich an den Empfehlungen des Bundes nur wenig geändert hat
Umweltschützer finden Ernährungspyramide plötzlich spitze

Für Bürgerliche geht die neue Lebensmittelpyramide zu weit, für Linke ist sie zu brav. Doch Greenpeace und WWF kommen nun zum Schluss: Würde sie streng eingehalten, wäre das äusserst nachhaltig. Macht die Schweiz beim Klima plötzlich doch alles richtig?
Publiziert: 00:01 Uhr
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Die neuen Ernährungsempfehlungen des Bundes könnten das Klima retten, sagen Greenpeace und WWF Schweiz.
Foto: imago/Westend61

Auf einen Blick

  • Neue Ernährungsempfehlungen des Bundes: Umweltorganisationen überraschend versöhnlich
  • Strenge Befolgung nachhaltiger als internationale Öko-Diät, aber grosse Spannbreite möglich
  • Ziel: Klima-Fussabdruck der Ernährung bis 2030 um 25 Prozent, bis 2050 um 66 Prozent senken
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Letztes Jahr riefen die Gegnerinnen und Gegner der neuen Lebensmittelpyramide laut zum Angriff auf den Bund: Für SVP-Nationalrat und Metzger Mike Egger (32) sowie Parlamentskolleginnen und -kollegen sprengen die neuen Ernährungsempfehlungen vor allem beim Fleischkonsum den annehmbaren Rahmen.

Von linker Seite kam ebenfalls wenig Positives – auch wenn auf die umgekehrte Art: Der Bund verhalte sich bei seinen Essensratschlägen zu brav und vernachlässige das Klima, monierten zahlreiche Umweltverbände nach dem Update. Doch die Umweltschutzorganisationen Greenpeace und WWF liessen nun berechnen, wie sich die angepassten Ernährungsempfehlungen tatsächlich auf die Umwelt auswirken. Und stimmen plötzlich unerwartet versöhnliche Töne an.

Bund setzte sich selbst strenges Klimaziel bei der Ernährung

Die im September letzten Jahres aufgefrischten Ernährungsempfehlungen, die das Bundesamt für Lebensmittel- und Veterinärwesen (BLV) zusammen mit der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung angepasst hat, beziehen erstmals auch die Nachhaltigkeit mit ein. Das hat einen guten Grund: Der Bundesrat hat sich zum Ziel gesetzt, den Klima-Fussabdruck der Ernährung zu senken. Bis 2030 soll er im Vergleich zu 2020 um ein Viertel sinken – und bis 2050 um mindestens zwei Drittel.

Wie die Berechnungen von Greenpeace und WWF zeigen, können die neuen Ernährungsempfehlungen durchaus helfen, dieses Ziel zu erreichen. Und das, obwohl das BLV an den Mengenangaben von 2014 nur wenig geändert hat – auch beim Fleischkonsum. Stattdessen rückte der Bund bloss alternative Proteinquellen wie etwa Hülsenfrüchte ein wenig mehr in den Fokus.

Strenger als internationale Öko-Diät

Werden aber die Ratschläge in strengster Form befolgt, sind sie sogar nachhaltiger als die sogenannte «Planetary Health Diet», die sowohl die Gesundheit des Menschen als auch der Erde schützen soll. Diese wurde von einem Zusammenschluss internationaler Ernährungs- und Klimawissenschaftler entwickelt.

Nach der strengsten Empfehlung des Bundes ernährt man sich ausschliesslich vegetarisch – also ohne Fleisch und Fisch. Eier und Milchprodukte bleiben erlaubt. Eine Portion Milch wird jedoch mit Calcium angereicherter Sojamilch ersetzt. «Diese Ausprägung der Ernährungsempfehlung würde zu einer erheblichen Reduktion der Klima- und Umweltbelastung führen», sagt Konsum-Expertin Barbara Wegmann (41) von Greenpeace Schweiz. Ist die Schweiz für die Umweltschützer also plötzlich Klima-Vorreiterin?

Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass dem bei weitem nicht so ist. Denn die Lebensmittelpyramide biete weiterhin eine grosse Spannbreite der möglichen Ernährungsweisen, konstatieren Greenpeace und WWF. So erlaubt sie auch heute eine Ernährung, die pro Kopf mehr als die doppelte Menge Treibhausgase ausstösst als anvisiert.

Ohne neue Rahmenbedingungen sei das Ziel des Bundes unrealistisch

«Eine explizite Empfehlung, weniger umweltschädliche Lebensmittel zu konsumieren, wäre daher wünschenswert gewesen», sagt Wegmann. Denn laut Bericht trägt das Konsumverhalten rund ein Drittel zu den Möglichkeiten bei, um den Ausstoss von Treibhausgasen bei der Ernährung zu reduzieren.

Trotzdem: Eine Nachbesserung bei der Pyramide ist laut den Organisationen dennoch nicht zielführend. Denn der tatsächliche Konsum der Schweizerinnen und Schweizer sei sowieso noch einmal deutlich klimaschädlicher als die lockersten Empfehlungen des Bundes.

Vielmehr müssten die Politik und Lebensmittelbranche handeln. «Am wichtigsten ist, dass Fehlanreize abgeschafft werden, die Politik, Handel und Gastronomie aktuell setzen und die den eigenen Klimazielen entgegenlaufen», sagt Wegmann. Damit meint die Greenpeace-Expertin etwa die Millionen-Absatzförderung des Schweizer Fleischs durch den Bund oder die Preispolitik bei tierischen Produkten. Also genau die Massnahmen, vor denen sich die bürgerlichen Gegnerinnen und Gegner der neuen Ernährungsempfehlungen besonders fürchten.

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