Nur einer erhält den Segen der Expertin
Ernährungstrends unter der Lupe

Gesunde Ernährung steht bei vielen zuoberst auf der Vorsatz-Liste für 2025. Wer sich online erkundigt, stösst auf unendlich viele Philosophien, von karnivor bis vegan. Wir liefern dir einen Überblick inklusive Expertinnen-Einschätzung.
Publiziert: 06.01.2025 um 14:05 Uhr
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Aktualisiert: 12:40 Uhr
Grün, grüner, am gesündesten? Nicht unbedingt, sagt die Ernährungsexpertin.
Foto: imago/imagebroker

Auf einen Blick

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Sandra CasaliniTeamlead Service

Auf Tiktok und Co. tummeln sich Tausende von Influencern, die freudestrahlend ihre Ernährungsphilosophien – und ihre perfekten Körper – in Szene setzen. Die meisten dieser Trends findet Ernährungsberaterin Beatrice Conrad (61) besorgniserregend. «Viele dieser Ernährungsformen sind einseitig und können zu Mangelerscheinungen führen.» Deshalb halten die entsprechenden Influencerinnen denn auch fix diverse Ergänzungsmittel in die Kamera. Mit Erfolg: In der Schweiz wurde im Jahr 2024 ein Rekord-Umsatz von rund 105 Mio. Franken mit Vitaminen, Mineralstoffen und Co. erzielt.

Eine Zahl, über die Beatrice Conrad nur den Kopf schütteln kann. «Wer sich ausgewogen ernährt, braucht in der Regel keine Ergänzungsmittel. Zudem können Pulver und Pillen niemals ein echtes Nahrungsmittel ersetzen.» Und: «Langfristig sind zu viele Gedanken ums Essen genauso ungesund wie zu viel Zucker!» Für uns nimmt die Ernährungsberaterin die wichtigsten Trends unter die Lupe. Ihren uneingeschränkten Segen erhält dabei nur einer.

Karnivore und tierbasierte (animal-based) Ernährung

Das sind die Trends: Die karnivore Ernährungsform konzentriert sich auf tierische Produkte. Die striktesten Anhängerinnen essen ausschliesslich Fleisch, wers etwas weniger streng nimmt, isst auch Fisch und Meeresfrüchte, Eier sowie Milchprodukte wie Butter und Käse. Bei der tierbasierten Ernährung sind zusätzlich Früchte und Honig erlaubt.

Das sollen sie bewirken: Der Verzicht auf Getreide, Gemüse und Nüsse soll gut für den Darm und das Immunsystem sein und durch den Verzicht auf Zucker und Kohlenhydrate werde der Blutzuckerspiegel gesenkt. Auch zum Abnehmen soll diese Ernährungsweise geeignet sein, da die vielen Proteine lange sättigen.

Das sagt die Expertin: «Ich sage gern, dass in jeder Philosophie ein Körnchen Wahrheit steckt. Das ist auch hier so: Tierische Proteine kann unser Körper gut verwerten. Trotzdem widersprechen diese Ernährungsweisen allem, was man über gesunde Ernährung weiss. Denn: Ja, man kann zu viel Protein konsumieren. Beim Abbau entsteht Harnsäure, welche die Niere belastet und zum Beispiel zu Nierensteinen führen kann. Das grössere Problem ist aber der Mangel an Nahrungsfasern und Nährstoffen, die unser Körper dringend braucht. Ausserdem sehe ich immer auch eine gewisse Gefahr einer Essstörung, wenn man sich auf so restriktive Philosophien einlässt.»

Fleisch, Fleisch und noch mal Fleisch: Der Grundpfeiler der karnivoren Ernährung.
Foto: Sven Thomann

Ketogene, Paleo- und Low-Carb-Ernährung

Das sind die Trends: Bei Keto wird die Kohlenhydratzufuhr so reduziert, dass der Körper beginnt, seinen Energiebedarf nicht aus Glukose, sondern aus Fett und aus den daraus aufgebauten Ketonkörpern zu decken, die als Ersatzstoffe für Glukose dienen. Bei Paleo kommt nur auf den Tisch, was die Menschen bereits in der Steinzeit – dem Paläolithikum – gegessen haben: Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Gemüse, Obst, Samen und Nüsse. Low Carb verzichtet ebenfalls weitgehend auf Kohlenhydrate aus Gebäck, Pasta, Reis oder Kartoffeln, geht dabei aber nicht so weit wie Keto.

Das sollen sie bewirken: In der sogenannten Ketose (Stoffwechselzustand) wird verhältnismässig schnell Fett abgebaut. Ausserdem ist die Energiebilanz im Hirn besser, was zum Beispiel bei Epilepsiepatientinnen zu weniger Anfällen führt. Paleo und Low Carb sollen den Blutzuckerspiegel konstant halten und Heisshungerattacken verhindern, was natürlich auch beim Abnehmen hilfreich ist.

Das sagt die Expertin: «Die positive Wirkung der ketogenen Ernährung auf Epilepsiepatienten ist erwiesen. Allerdings soll diese Ernährungsform ärztlich verschrieben und unter strikter Kontrolle durchgeführt werden. Wer sich ohne Notwendigkeit über längere Zeit so ernährt, riskiert unter anderem Verdauungsprobleme. Wer Keto als Diät braucht, nimmt zwar meist erfolgreich ab – aber wenn er damit aufhört, genauso erfolgreich wieder zu. Bei Paleo und Low Carb fehlen die Kohlenhydrate. Das generelle Verteufeln dieser ist nicht hilfreich, und der Verzicht oft kontraproduktiv: Er führt nicht selten zu einem Nachholbedürfnis und zu Lust auf Süsses. Wer seinem Körper etwas Gutes tun will, verzichtet lieber auf ein Süssgetränk als auf eine Portion Reis. Ausserdem sind Kohlenhydrate wichtige Nahrung für unser Gehirn.»

Volume Eating und Clean Eating

Das sind die Trends: Beim Volume Eating liegt der Fokus auf Nahrungsmitteln mit hohem Volumen und wenig Kalorien. Das sind vor allem solche mit einem hohen Wasseranteil wie Obst, Gemüse und Salat. Beim Clean Eating kommen nur möglichst unverarbeitete Lebensmittel auf den Teller, also keine Fertiggerichte, kein Fast Food, und nichts, was unzählige Zutaten, Konservierungsstoffe oder Bindemittel enthält.

Das sollen sie bewirken: Die vielen Ballaststoffe beim Volume Eating sollen gut für den Darm sein. Zudem führt man dem Körper viel Wasser zu, das hohe Volumen sorgt für ein Sättigungsgefühl und dazu, dass man weniger Ungesundes isst. Clean Eating will dem Körper möglichst wenige Schadstoffe zufügen.

Das sagt die Expertin: «Gemüse essen – gut verkauft (lacht). Wenn man gleichzeitig auch Proteine und Kohlenhydrate zu sich nimmt, ist nichts dagegen einzuwenden. Aber Vorsicht: Man kann tatsächlich auch ein Übermass an Nahrungsfasern konsumieren. Im Extremfall kann der Körper andere Substanzen nicht mehr richtig aufnehmen, und es kann eine Mangelernährung entstehen. Es könnte auch die Gefahr einer Obsession bestehen, die im schlimmsten Fall in einer Orthorexie endet, der krampfhaften Sucht, gesund zu essen. Man darf sich auch mal etwas gönnen, sonst kommt der Genuss und somit die psychologischen und sozialen Aspekte des Essens zu kurz.»

Beatrice Conrad ist ehemalige Präsidentin des Schweizerischen Verbandes der Ernährungsberater/innen (SVDE) und Co-Autorin des Buches «Ist essen gesund?».
Foto: DANIIL

Mediterrane Ernährung

Das ist sie: Inspiriert von der Ernährung im Mittelmeerraum setzt diese Philosophie auf Ausgewogenheit: viel Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte, Getreide, Olivenöl und eine gemässigte Menge an Fisch, Fleisch und Milchprodukten.

Das soll sie bewirken: Im Gegensatz zu den anderen Ernährungsweisen gibt es zahlreiche Studien zur mediterranen Ernährung, die ihr zum Beispiel attestieren, das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und den Cholesterinspiegel massiv zu senken. Zudem sind die Chancen auf Fettleibigkeit sehr viel geringer als bei anderen Ernährungsweisen.

Das sagt die Expertin: «Die einzige Ernährungsphilosophie, die ich zu 100 Prozent empfehlen kann. Es ist wissenschaftlich belegt, dass eine abwechslungsreiche Mischkost, welche keine Lebensmittelgruppe ausschliesst, positive Effekte auf unsere Gesundheit hat. Zudem geht es hier nicht nur um Ernährung, sondern zu einem grossen Teil auch um Genuss, was gut ist für die mentale Gesundheit.»

Vegetarische und vegane Ernährung

Das sind die Ernährungsweisen: Wer vegetarisch isst, verzichtet auf Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte. Veganer verzichten auf alle tierischen Produkte, also auch auf Eier und Milchprodukte.

Das sollen sie bewirken: Bei diesen Philosophien stehen oft ethische und ökologische Gründe im Vordergrund. Vegetarierinnen und Veganer sollen aber auch weniger an Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes leiden.

Das sagt die Expertin: «Man kann sich auch ohne Fleisch vielseitig und abwechslungsreich ernähren. Wer genügend Proteine in Form von Milchprodukten, Eiern, Tofu oder Hülsenfrüchten integriert, ernährt sich durchaus gesund. Vegane Ernährung eignet sich aber nur für gesunde Menschen, welche sich sehr intensiv mit der Materie beschäftigen. Wichtige Nährstoffe wie Vitamin B12 oder Jod kommen nicht oder in ungenügender Menge in Pflanzen vor. Auch gibt es sehr wenige Pflanzen, welche alle Eiweissbausteine besitzen, die unser Körper braucht. Während zum Beispiel ein Ei uns all diese liefert, müssen pflanzliche Proteine ausgeklügelt kombiniert werden, um den gleichen Effekt zu erzielen. Gerade Kindern und Senioren rate ich deshalb von einer ausschliesslich veganen Lebensweise ab.»

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