Auf einen Blick
- SVP-Nationalrat kritisiert neue Ernährungsempfehlungen für weniger Fleischkonsum
- Bürgerliche Allianz fordert von Bundesrat einen Bericht zur Entscheidungsgrundlage
- Experte warnt: Geringerer Proteinkonsum könnte zu Energieüberkonsum führen
«Wir sind der Fussabtreter des Bundes!», sagt SVP-Nationalrat Mike Egger (32). Mit «wir» meint der St. Galler nicht etwa die Parlamentarier, sondern die Metzger. Egger ist selbst ausgebildeter Fleischfachmann – und sieht sich durch die neuen Ernährungsempfehlungen diskriminiert.
Im September frischte das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zusammen mit der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung die altbekannte Lebensmittelpyramide auf. Dabei fiel vor allem eine Änderung auf: Das prominent platzierte Steak auf der dritthöchsten Stufe ist verschwunden.
Bürgerliche Allianz für die Fleischeslust
Stattdessen liegt da plötzlich eine Pouletbrust – und dazu noch versteckt hinter Tofu und Hülsenfrüchten. Denn die Schweizer Bevölkerung solle nur noch «maximal 2 bis 3 Mal pro Woche» Fleisch verzehren, halten die neuen Empfehlungen fest.
Egger versteht die Welt nicht mehr. Und hat dafür mit Ratskolleginnen und -kollegen aus der SVP, FDP und der Mitte einen Vortoss lanciert. Neben Egger fordern auch FDP-Nationalrätin Simone de Montmollin (56, GE), Mitte-Nationalrat Nicolò Paganini (58, SG) sowie zahlreiche Mitunterzeichnende vom Bundesrat mittels drei gleichlautender Vorstösse einen Bericht. Dieser soll darlegen, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die Entscheidung stattfand. Denn Egger ist sich sicher: «Das BLV verbreitet Falschinformationen.»
Sind weniger Tiere tatsächlich nachhaltiger und gesünder?
Besonders das Argument, dass der tiefere Konsum tierischer Produkte nachhaltiger sei, beäugt Egger kritisch. Denn der dadurch resultierende tiefere Bestand von Wiederkäuern wie etwa Kühen und Rindern würde dazu führen, dass gerade in den Schweizer Bergregionen zahlreiche landwirtschaftliche Grünflächen unbenutzt blieben. Der bürgerliche Vorstoss will somit auch, dass der Bundesrat diesen Umstand erneut unter die Lupe nimmt.
Auch sei Fleisch ganz einfach gesund, so Egger. Vor allem für junge Menschen sei es ein wichtiger Lieferant von Nährstoffen, wie etwa Vitamin B12 und Zink. Zudem könne der menschliche Körper tierische Proteine deutlich einfacher aufnehmen als pflanzliche. Um mit Fleischersatzprodukten auf den gleichen Proteinwert zu kommen, müsse man davon fast die doppelte Menge konsumieren. «Das wird einfach ausgeblendet.»
Den Steak-Verfechtern aus dem Bundeshaus kommen auch Experten zu Hilfe: «Je geringer der Anteil an tierischen Proteinen, umso grösser wird die Gefahr eines zu niedrigen Proteinkonsums», sagt Ernährungswissenschaftler Paolo Colombani. «Und umso grösser die Gefahr für Energieüberkonsum.» Dies hat laut Colombani auch direkte Auswirkungen auf die Umweltbelastung. Denn würden die Treibhausgasemissionen pro Energiegehalt statt Gramm betrachtet, stünde das Fleisch plötzlich nicht mehr so schlecht da.
Parlamentarische «Denkfabrik» für die Fleischindustrie
Mit seiner Einschätzung ist Colombani auch beim Fleischfachverband Proviande gerne gesehen. Im September referierte der ehemalige ETH-Forscher vor der sogenannten «Groupe de Réflexion» über die neuen Ernährungsempfehlungen. In der verbandsinternen «Fleisch-Denkfabrik» lassen sich ausgewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus dem ganzen Parteienspektrum mehrmals pro Jahr rund ums Thema Fleisch informieren – grosszügiges Sitzungsgeld inklusive. Auch Egger und Paganini sind dabei.
Der Vorstoss der bürgerlichen Ratskollegen soll nun klären, ob die neuen Ernährungsempfehlungen des BLV auch Auswirkungen auf andere politische Projekte haben könnten – beispielsweise die nächste Agrarpolitik ab 2030. «Es muss endlich Schluss damit sein, dass Fleisch fast wie das Rauchen behandelt wird», sagt Egger. Aus seiner Sicht tue kein anderer Landwirtschaftszweig so viel für die Ernährungssicherheit in der Schweiz. Zudem führe die Verteuflung die Branche immer mehr in Bedrängnis: «Wir haben schon seit einiger Zeit Mühe, Nachwuchs zu finden», klagt der Fleischfachmann. Mit dem «Nachhaltigkeitskurs» des Bundes werde dies zukünftig kaum einfacher werden.