Armee warnt vor fehlenden Soldaten
Das Personalproblem ist hausgemacht

Seit Jahren warnt die Armee davor, dass ihr bald die Soldaten ausgehen. Dabei überschreiten die derzeitigen Bestände sogar die gesetzliche Höchstgrenze. Das Militär muss also rasch Leute loswerden – und schiesst dabei übers Ziel hinaus.
Publiziert: 06.03.2023 um 00:42 Uhr
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Jedes Jahr verliere die Armee ein paar Tausend Leute. «Am Ende des Jahrzehnts wird uns rund ein Viertel der Bestände fehlen!», warnt Armeechef Thomas Süssli.
Foto: Thomas Meier
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Armeechef Thomas Süssli (56) schlug dramatische Töne an. Dem Militär gingen die Soldaten aus! Jedes Jahr verliere die Armee ein paar Tausend Leute. «Am Ende des Jahrzehnts wird uns rund ein Viertel der Bestände fehlen!», sagte Süssli im Blick. Das sind über 30'000 Soldatinnen und Soldaten.

Um die Lücken zu füllen, lässt der Bundesrat zwei neue Dienstmodelle prüfen. Sogar alle Frauen könnten in die Pflicht genommen werden. Aktiv wurde auch das Parlament: Am Montag diskutiert der Ständerat einen Vorstoss, mit dem die SVP Abgänge zum Zivildienst erschweren will.

Der Überbestand ist gesetzeswidrig

Doch die Armee hat nicht zu wenige Soldaten – im Gegenteil. Die Armee ist sogar zu gross! Die Verordnung über die Organisation der Armee besagt nämlich, dass das Militär einen Sollbestand von 100'000 und einen Effektivbestand von 140'000 Dienstpflichtigen hat – höchstens.

Die Vorgabe aber wird nicht mehr eingehalten. Der Bestand ist 2022 auf über 151'000 Personen angestiegen. Die zulässige Grenze wird um über 11'000 überschritten. Darauf wies der Bundesrat schon im Alimentierungsbericht 2021 hin. Der Überbestand ist also schon länger bekannt.

Der Überbestand ist mittlerweile sogar gesetzeswidrig, wie die «Republik» bekannt machte. Zwar darf der Bund laut Militärgesetz den maximal zulässigen Armeebestand überschreiten; das war aber bis Ende 2022 befristet. Jetzt verstösst es sogar gegen das Gesetz.

Armee hat Frist versäumt

Das bestätigt der Bundesrat in seiner Antwort auf Vorstösse aus dem links-grünen Lager. Und: «Dem Departement VBS ist erst seit November 2022 bekannt, dass der Effektivbestand ab 2023 höher bleiben wird, als die gesetzliche Grundlage dies zulässt.»

Auf gut Deutsch: Die Armee hat die Frist schlicht verschlafen. Mit der Revision des Militärgesetzes und der Verordnung über die Organisation der Armee habe sie es versäumt, die fehlende Rechtsgrundlage für die Überschreitung ab 2023 bis Ende des Jahrzehnts zu schaffen, räumt Armeesprecher Stefan Hofer ein.

Das schürt im linken Lager Misstrauen: Der Bundesrat bestätige, dass die Bestände zu hoch seien. Gleichzeitig warne die Armee dauernd vor Personalnot, kritisiert Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter (42). «Hier stimmt etwas nicht.»

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Armee schiesst bei Abbau übers Ziel hinaus

Das VBS will nun möglichst rasch wieder einen gesetzeskonformen Zustand erreichen. «Um den Effektivbestand nicht zu überschreiten, planen wir, dass die Militärdienstpflicht ab 2024 für alle Angehörigen der Mannschaft und Unteroffiziere zehn Jahre beträgt», erklärt Armeesprecher Mathias Volken. Bisher dauerte sie zwölf Jahre.

Und genau hier liegt der Hund begraben: Die drohende Personalnot, vor der die Armee warnt, ist somit hausgemacht. Der Bundesrat hatte schon zuvor mit der Weiterentwicklung der Armee entschieden, die Dienstzeit zu verkürzen: «Andernfalls würde der Bestand der Armee unnötig aufgebläht.» Nun soll es einfach früher geschehen.

Mit der verkürzten Dienstzeit sollten in den Jahren 2028 und 2029 jeweils gleich zwei Jahrgänge abtreten. Das wird nun bereits 2024 der Fall sein. Das Problem: So wird der Effektivbestand nicht nur auf die maximal zulässigen 140'000 Armeeangehörigen heruntergeschraubt, sondern noch deutlich tiefer. Die Armee schiesst damit übers Ziel hinaus.

Im Parlament bricht dennoch Aktivismus aus

Allerdings räumt sogar der Bundesrat ein, dass diese Berechnungen unsicher seien. Während klar ist, dass in den kommenden Jahren mit dem Bevölkerungswachstum mehr 18-Jährige zur Musterung antreten müssen, kann die Zahl künftiger Abgänge nur geschätzt werden.

Dennoch bleibt das VBS dabei, dass der Armee das Personal ausgeht, werden keine Massnahmen ergriffen. Aktivismus ist deshalb auch im Parlament ausgebrochen. Am Montag diskutiert der Ständerat, wie die Armee weniger Leute verlieren soll. Dass das Personalproblem beim Militär selbst verschuldet ist, wird die bürgerliche Mehrheit kaum zum Umdenken bringen.

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