Es ist ein besonderes Jahr, das zu Ende geht. Auch und ganz besonders für Gesundheitsminister Alain Berset (48). Kaum ein anderer Bundesrat war so gefordert in der Krise wie der SP-Politiker.
Anfang Januar las er erstmals vom Coronavirus – auch wenn dieses damals noch weit weg war, in einer chinesischen Provinz. Dass es unser aller Leben, auch hier in der Schweiz, so grundlegend verändern würde, ahnte er erst einige Wochen später, wie er in einem neuen Buch zu Protokoll gibt.
Der schwierige Wissenvorsprung
Berset, interviewt von Felix E. Müller, ehemaliger Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», äussert sich darin zu einer Vielzahl von Fragen. Zum Beispiel dazu, wie schwierig die Diskussionen im Bundesrat gewesen seien.
Im Bundesrat zu überzeugen, sei besonders zu Anfang der Pandemie nicht einfach gewesen. Wie Berset sagt, hatte er einen Wissensvorsprung gegenüber den anderen Bundesräten – was zu unterschiedlichen Auffassungen geführt habe.
Und er bestätigt, dass er sich am 27. April – nach der ersten Welle, als es die Forderung nach einer kompletten Öffnung aller Aktivitäten gab – auf die Bremse stand. «Ich wollte die Verantwortung nicht übernehmen», so Berset offen.
Der Kampf mit den Kantonen
Mit wem Berset besondere Sträusse ausfechten musste, sagt er natürlich nicht. Stattdessen lobt der die Diskussionskultur im Gremium. Unterschiedliche Meinungen führten zu Entscheiden, die besser akzeptiert würden. Aber zu Entscheiden zu gelangen, sei auch aufwendiger als in einem zentralistischen System mit Regierungschef.
... den Fehlern, die der Bund gemacht hat:
«Wer in einer Krise eine Nullfehlertoleranz predigt, hat nicht verstanden, was eine Krise ist.»
... der Kritik am BAG und am Bundesrat:
«War die Kritik zuweilen übertrieben? Ja, das empfand ich so.»
... zu den Gründen für die zweite Welle:
«Erinnern wir uns, wie nötig wir damals eine Verschnaufpause hatten und wie die Leute die Lockerung genossen. Das Contact Tracing akzeptierten sie nur noch schlecht.»
... zu den Grenzschliessungen im Frühling:
«Wir hätten die Grenze tatsächlich einige Tage früher schliessen können, wobei sich schwer sagen lässt, was das bewirkt hätte.»
... zum schwedischen Weg:
«Der schwedische Ansatz wurde intern diskutiert. Er ist eine Option, die wir analysiert und dann verworfen haben. Ethisch ist für uns dieses Modell wegen der höheren Todeszahl, die man in Kauf nimmt, nicht vertretbar, zumal wir die Langzeitfolgen der Krankheit nicht kennen.»
... den Fehlern, die der Bund gemacht hat:
«Wer in einer Krise eine Nullfehlertoleranz predigt, hat nicht verstanden, was eine Krise ist.»
... der Kritik am BAG und am Bundesrat:
«War die Kritik zuweilen übertrieben? Ja, das empfand ich so.»
... zu den Gründen für die zweite Welle:
«Erinnern wir uns, wie nötig wir damals eine Verschnaufpause hatten und wie die Leute die Lockerung genossen. Das Contact Tracing akzeptierten sie nur noch schlecht.»
... zu den Grenzschliessungen im Frühling:
«Wir hätten die Grenze tatsächlich einige Tage früher schliessen können, wobei sich schwer sagen lässt, was das bewirkt hätte.»
... zum schwedischen Weg:
«Der schwedische Ansatz wurde intern diskutiert. Er ist eine Option, die wir analysiert und dann verworfen haben. Ethisch ist für uns dieses Modell wegen der höheren Todeszahl, die man in Kauf nimmt, nicht vertretbar, zumal wir die Langzeitfolgen der Krankheit nicht kennen.»
Den föderalen Weg, den die Schweiz nach der ersten Welle wählte, verteidigt Berset denn auch. Auch wenn er nicht immer glücklich damit ist, wie man zwischen den Zeilen herauslesen kann. Etwa, wenn er in Bezug auf Massnahmen nach Anstieg der Fallzahlen sagt: «Es war für mich schon überraschend, dass der grosse und tatkräftige Kanton Zürich auf den Bundesrat warten wollte.»
Doch er machte auch andere Erfahrungen: So sei aus der Romandie die Forderung nach einer Ausgangssperre gekommen. Berset sagt, dass er erschrocken darüber gewesen sei, dass Menschen darum baten, eingesperrt zu werden. Für ihn sei das nie infrage gekommen – worauf er böse Mails erhielt.
Teil-Lockdown ist möglich
Das sei das Spannungsfeld, in dem sich der Bundesrat bewegt habe. Die Regierung habe viele Vorschläge erhalten, was man besser machen sollte. «Aber die Verantwortung, die delegiert man dann doch gerne an den Bundesrat», so Berset. Doch er ist überzeugt: «Es geht nicht, in Sonntagsreden den Föderalismus zu preisen und dann diesen bei der erstbesten Gelegenheit über den Haufen zu werfen.»
Ganz vom Tisch ist die bundesrätliche Macht nicht. Denn Berset stellt klar: Sollte sich die Situation verschlechtern, ist immer noch ein Teil-Lockdown möglich. (sf)
Das Buch «Wie ich die Krise erlebe» von Felix E. Müller erscheint am 9. Dezember beim im Verlag NZZ Libro.