Berset zitiert Problem-Kantone zum Krisengipfel!
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Geheimtreffen am Samstag
Berset zitiert Problem-Kantone zum Krisengipfel!

Noch immer stemmen sich diverse Kantone gegen eine Verschärfung der Corona-Massnahmen. Innenminister Alain Berset (48) lud deshalb zum geheimen Krisengipfel.
Publiziert: 06.12.2020 um 01:06 Uhr
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Aktualisiert: 07.12.2020 um 17:26 Uhr
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Hebt einmal mehr den Mahnfinger: Innenminister Alain Berset (48).
Foto: keystone-sda.ch
Simon Marti, Sven Ziegler und Dana Liechti

Eine Woche lang sah es so aus, als ob das Schicksal der Schweiz an ihren Skiliften hänge. Am Montag waren Pläne von Gesundheits­minister Alain Berset (48) durchgesickert, die eine Beschränkung des Wintertourismus vorsahen – sofort gingen Vertreter der Bergkantone auf die Barrikaden.

Unter tätiger Mithilfe der bürgerlichen Parlamentsmehrheit wehrten sie sich – und wurden belohnt: Die Massnahmen, die der Bundesrat schliesslich am Freitagnachmittag für den Wintersport verkündete, bleiben überschaubar: Keine Beschränkung des Besucheraufkommens in einzelnen Ski­gebieten, dafür eine Obergrenze beim Transport.

Mehr lag für Berset im Bundesrat nicht drin. Er ging damit sogar noch weniger weit, als von den Kantonen ge­fordert. Eine Mehrheit der Stände hatte in der Vernehmlassung für Kapazitäts­beschränkungen votiert.

Hitzig sei es am Freitag zu- und hergegangen, so eine bundesratsnahe Quelle. Die Beratung habe sich hingezogen. Was vor allem daran liegen dürfte, dass sich Bersets Sorge von den Berg­regionen zu jenen Kantonen im Flachland verlagert hat, in denen das Virus ausser Kontrolle zu geraten droht – just zu Beginn des Weihnachtstrubels, der Sonntagsverkäufe und drei Wochen vor den Familienfeiern mit Grosi und Grossvati vor dem Christbaum.

Berset knöpft sich die Deutschschweiz vor

Ausdrücklich warb der Gesundheitsminister in der Freitagsrunde um ein Mandat, sich jene Kantone zur Brust nehmen zu dürfen, deren Neuinfektionen eindeutig auf exponentielle Ausbreitung des Virus schliessen lassen – allesamt in der Deutschschweiz.

Am Ende folgte ihm der Gesamtbundesrat, widerwillig und nur, weil Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60, SP) ein noch strengeres Vorgehen verlangte. In einem eigenen Mitbericht hatte sie den Kantonen mit Teilentmachtung gedroht, wie der «­Tages-Anzeiger» berichtet.

Am Samstag, um 10 Uhr vormittags, wandte sich Sommaruga mit Berset in einer Videokonferenz an die Vertreter mehrerer ­Kantonsregierungen. Besonders ins Gebet nahmen sie die Ostschweizer, die trotz hoher Infektionszahlen bislang keine weitergehenden Massnahmen angeordnet haben.

Wie SonntagsBlick aus mehreren Quellen erfuhr, wurden neben St. Gallen und dem Thurgau auch die Kantone Basel-Landschaft, Solothurn und Aargau zum ­Gespräch gebeten. Auch der Kanton Tessin, der zuletzt wieder hohe Fallzahlen verzeichnete, nahm an den Gesprächen teil. Zürich, der bevölkerungsreichste Kanton, blieb aussen vor.

Der Bundesrat will Taten sehen

Berset erwartet nun konsequentes Vorgehen: Freizeit- und Kultureinrichtungen sollen geschlossen, die Teilnehmerzahl für Veranstaltungen rasch weiter gesenkt werden. Zur Not müsse man auch Restaurants in Zwangsferien schicken.

Die Frist, die für Verschärfungen bleibt, ist knapp. Schon am Dienstag trifft sich der Bundesrat, bis dann erwartet Berset zumindest Absichtserklärungen. Das Signal ist klar: Langwierige Verhandlungen liegen nicht mehr drin. Und: Spuren die Kantone nicht, übernimmt der Bund. Wie es heisst, zeigten sich die meisten kooperativ.

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Widerstand aus den Kantonen

Hinter vorgehaltener Hand kritisieren einzelne Kantonsvertreter allerdings Bersets Powerplay. Sie wehren sich dagegen, Direktiven aus Bern Folge zu leisten. Verfestigt sich dieser Widerstand, droht in den kommenden Tagen die grosse Kakofonie. Dann wäre der Bundesrat gezwungen, weitere Einschränkungen zu diktieren – sofern Berset eine Mehrheit seiner Kollegen dafür ­gewinnen kann.

Da war die Romandie schneller, deren Vertreter noch vor kurzem heftigster Kritik ausgesetzt waren. Berset war die Westschweizer Kantone in den letzten Wochen bilateral angegangen – die beschlossenen Massnahmen zeigen nun allmählich Wirkung: Die Fallzahlen sinken in der Romandie bedeutend stärker als in der Deutschschweiz. Und sie liegen heute tiefer als diesseits der Saane.

Dennoch sind die Todeszahlen noch immer ausserordentlich hoch. Vor zwei Wochen berichtete SonntagsBlick, dass im Kanton Genf die Feuerwehr bei Bestattungen aushelfen musste. Düstere Bilder drohen nun auch in der Deutschschweiz, so die Genfer Virologin Isabella Eckerle (40). «Die Todesfallzahlen werden in der Deutschschweiz mit Sicherheit noch mal stark ansteigen. Die Intensivstationen sind bereits jetzt sehr ausgelastet. Etwa ein Drittel dieser ­Patienten werden die Krankheit nicht überleben – man kann sich ja ausrechnen, was das bedeutet.»

Strengere Massnahmen unumgänglich

Strengere Massnahmen seien daher unumgänglich, so Eckerle: «In der Wahrnehmung der Leute ist es leider so, dass alles, was erlaubt ist, auch kein Risiko darstellt. Aber gerade in der Schweiz ist das nicht der Fall.»

Hinzu kommt, dass der kantonale Flicken­teppich die Bevölkerung überfordert. So ist nicht immer klar, welche Massnahmen in welchen Regionen gelten – ein Zustand, der bereits seit Monaten anhält.

Die Psychologin Jacqueline Frossard (62) ist überzeugt, dass eine bessere Koordination für das Verständnis der Bevölkerung entscheidend ist: «Der ­Föderalismus ist enorm wertvoll, dennoch bräuchte es gerade bei Nachbarkantonen einheitlichere Vorgehensweisen.» Wichtig sei eine verbesserte Absprache, aber auch die Zusicherung, dass man Läden und Beizen nicht auf Kosten anderer Kantone offen halte.

«Die Gefahr wird häufig unterschätzt»

Dennoch komme man an der Selbstverantwortung nicht vorbei, betont Josef Widler (66): «Jeder sollte sich so verhalten, als wäre er ansteckend. Heute wird die Gefahr häufig unterschätzt.» Der Präsident der Zürcher Ärzte­gesellschaft: «Wir begehen zu viele systematische Fehler, vergessen beispielsweise, die Hände zu waschen.»

Klar ist auch: Es braucht weitergehende Massnahmen von Bund und Kantonen, um die Fallzahlen zu senken. Viele Spitäler bewegen sich noch immer am Rande ­ihrer Kapazität, auch das Pflegepersonal kämpft mit den Folgen der zweiten Welle.

Die kommenden Weihnachtstage bereiten den Experten daher grosse Sorgen: «In Kombination mit der hohen Inzidenz können diese zu einem Pulverfass werden», sagt die Virologin Eckerle.
«Wir bewegen uns auf sehr dünnem Eis.»

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