«Absurd», «unbarmherzig», «realitätsfremd»: Bei den Kantonen staut sich derzeit einiger Frust über das Staatssekretariat für Migration (SEM) an. Bei aller Nachsicht wegen der vielen ukrainischen Geflohenen: Was das SEM unter der neuen Chefin Christine Schraner-Burgener (58) biete, gehe nicht.
Die Kantone ärgern sich, weil das SEM angefangen hat, Geflüchtete umzuplatzieren. Und es sind gerade nicht diejenigen Kantone, die jetzt mehr Ukrainer aufnehmen sollen, die reklamieren. Sondern die, die zwar die Hauptlast tragen, aber dennoch nicht von ihrer Solidarität abrücken möchten.
Frau mit Kleinkind sollte Verwandte verlassen
Sie stören sich daran, dass Geflohene, die bereits seit mehreren Wochen bei ihnen untergebracht sind, plötzlich in einen anderen Kanton umziehen sollen. Und davon gibt es mehrere Fälle, wie Blick im Kontakt mit Verantwortlichen in verschiedenen Kantonen erfuhr.
«Wir hatten den Fall einer Frau mit Kleinkind, die hier bei Verwandten wohnt», sagt etwa ein Verantwortlicher eines Grosskantons. Vor drei Wochen – also noch bevor die Neuregelung eingeführt wurde – hätte die Frau plötzlich nach Glarus übersiedeln sollen.
Drei Wochen lang habe man mehrfach in Bern interveniert, bis das SEM einlenkte. «Fehler können ja passieren, aber der Fehlentscheid hätte innert drei Minuten korrigiert werden müssen», schimpft die Amtsperson.
Noch harschere Kritik kommt aus Bern. Eine ukrainische Person, die seit März zusammen mit zwei Familienmitgliedern im Kanton wohnt, sollte nach dem Willen des SEM aus der Familie herausgerissen werden und nach Freiburg umziehen.
SEM verteidigt sich
Das SEM verteidigt sich: Es sei der Wunsch der Kantone gewesen, die Kriegsflüchtlinge gerechter zu verteilen. Denn Basel, Bern, das Tessin und Zürich hatten überproportional viele ukrainische Geflohene unterbringen müssen. Per 25. April 2022 wendet man den normalen Verteilschlüssel im Asylwesen auch für Ukrainer an.
Der Bund hatte jedoch versprochen, hier mit Augenmass vorzugehen. Es würden keine Kernfamilien auseinandergerissen. Auch sollte die Regelung nicht rückwirkend angewandt werden. Ihre Forderung nach einer gerechteren Verteilung der Kriegsflüchtlinge habe sich immer auf Neuankömmlinge bezogen und nie auf solche, die schon dabei sind, sich bei uns einzugewöhnen, so die frustrierten Kantone.
Sollen sie doch klagen
Doch hier agiert der Bund bürokratisch: Wer den Termin für seine Registrierung erst nach Inkrafttreten der Neuregelung hat, muss fürchten, nach der Flucht vor dem Krieg nun vom Schweizer Amtsschimmel verjagt zu werden.
Das SEM betont, die Geflohenen könnten nach einem Umplatzierungsentscheid innert 30 Tagen ein Gesuch stellen. Mit anderen Worten: Die Flüchtlinge sollen also mit Beschwerdebriefen gegen ihr Aufnahmeland vorgehen.
Schulterklopfen der Bundesrätin
Tatsächlich sind Beschwerden eingegangen. Verfasst meist von den Gastfamilien, die sich für die Leute wehren. Wie Blick weiss, haben sich auch Kantone für die ukrainischen Flüchtlinge beim SEM eingesetzt. Einzelne Regierungsräte wollen gar an den Bundesrat gelangen, um mehr Augenmass einzufordern.
Das zuständige Justizdepartement äussert sich auf Fragen dazu nicht. Dessen Vorsteherin Karin Keller-Sutter (58) dankte derweil am Donnerstag den Kantonen für die gute Zusammenarbeit. «Das Zusammenspiel funktioniert», sagte sie. Das sehen einige Kantone anders. Man könne die Geflohenen nicht wie Möbelstücke herumschieben, sagt ein Regierungsrat zu Blick.