«Wir stehen vor einem Dilemma»
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Karin Keller-Sutter:«Wir stehen vor einem Dilemma»

Doppelte Niederlage für Keller-Sutter
«Das ist kein Votum gegen die Muslime in der Schweiz»

Die Schweiz hat entschieden! Mit den verlorenen Abstimmungen zu E-ID und Burka-Verbot kassierte Bundesrätin Karin Keller-Sutter gleich zwei Ohrfeigen. Guy Parmelin kann sich über ein knappes Ja zum Freihandel mit Indonesien freuen.
Publiziert: 07.03.2021 um 00:54 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2021 um 18:03 Uhr
  • 51,2 Prozent stimmen Ja zum Burka-Verbot
  • 51,7 Prozent stimmen knapp Ja zum Freihandels-Abkommen
  • 64,4 Prozent versenken die E-ID
  • Die Stimmbeteiligung ist mit bis zu 51,4 Prozent überdurchschnittlich, aber nicht überwältigend
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Lachender Gewinner: SVP-Nationalrat Walter Wobmann ist der Treiber hinter dem Burka-Verbot.
Foto: Keystone

Sie ist die grosse Verliererin von diesem Abstimmungssonntag: FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter (57). Die Stimmbevölkerung hat nicht nur gegen die Empfehlung des Bundesrats die Burka-Initiative mit 51,2 Prozent angenommen. Sie hat gleichzeitig auch das E-ID-Gesetz der FDP-Bundesrätin mit 64,36 Prozent bachab geschickt.

Die Verfassungsbestimmung richte sich zwar gegen alle Arten von Gesichtsverhüllungen, sagte Keller-Sutter vor den Medien in Bern. Im Zentrum seien aber Burka und Niqab gestanden: «Es scheint mir daher wichtig, nochmals darauf hinzuweisen, dass nur wenige Frauen in der Schweiz eine Vollverhüllung tragen.» Das sei ein Bruchteil der 400'000 Musliminnen und Muslime, die in der Schweiz lebten.

Sie begrüsse, dass diese verschiedenen Stimmen in der Debatte zum Ausdruck gekommen seien: «Es zeigt auch, dass das Abstimmungsresultat kein Votum gegen die Musliminnen und Muslime war.»

Kantone haben nun zwei Jahre Zeit

Die Schweiz stehe mit dem Verhüllungsverbot auch nicht alleine da. Keller-Sutter wies darauf hin, dass auch in Frankreich, Belgien, Österreich, Dänemark oder in den Niederlanden ein Verhüllungsverbot gilt. «Es gibt auch muslimische Länder, in denen der Gesichtsschleier ganz oder teilweise verboten ist.»

Ausserdem seien ja bereits in den Kantonen Tessin und St. Gallen Verhüllungsverbote in Kraft. In 15 Kantonen gelte ein Vermummungsverbot. Mit der Annahme der Initiative vertrete die Verfassungsbestimmung zwar in Kraft, diese sei jedoch nicht direkt anwendbar. Es sei nun in der Aufgabe der 26 Kantone, die Bestimmung in Ausführungsgesetzen zu konkretisieren. «Dafür haben die Kantone zwei Jahre Zeit.»

Von «klarem Zeichen» bis «nutzlose Symbol-Politik»

Die Reaktionen zu dem Resultat gehen weit auseinander. Die Sieger sprechen von einem klaren Zeichen gegen den radikalen Islam. Die Verlierer beklagen Islamophobie und nutzlose Symbol-Politik.

«Das ist ein gescheiter Entscheid des Schweizer Volkes», sagte Komitee-Präsident Walter Wobmann (NR/SO). Jetzt könne die Schweiz klare Regeln aufstellen, damit die Leute wüssten, dass man in der Schweiz das Gesicht in der Öffentlichkeit zeige.

Für Mitte-Präsident Gerhard Pfister war die Initiative eine Stellvertretervorlage. Neben dem konkreten Anliegen sei es im Abstimmungskampf auch darum gegangen, was gut für die westliche Gesellschaft sei. Für ihn hätten letztlich frauenrechtliche Argumente zur Mehrheit an der Urne geführt.

Jahrelange Blockade soll vermieden werden

Auch beim E-ID-Gesetz musste Keller-Sutter eine Niederlage erklären. Und zwar eine überdeutliche. Es gelte den Entscheid zu respektieren, betonte Keller-Sutter. Die Digitalisierung sei ein sensibles und komplexes Thema, das gerade wegen des Datenschutzes auch viele Ängste auslöse. Staat, Gesellschaft und Wirtschaft müssten aber einen Umgang mit der Digitalisierung finden.

Bundesrat und Parlament hätten eine Alternative zu Logins schaffen wollen. «Wir wollten den Rückstand, den wir hier haben, aufholen», sagte Keller-Sutter. Die Stimmbevölkerung habe sich gegen diese Lösung entschieden. «Wir müssen nun schauen, dass wir nicht eine jahrelange Blockade haben.»

Für Keller-Sutter bleibt es ein Anliegen, zeitnah eine Lösung zu finden. Sie warnte die Gegner der Vorlage davor, nun auf eine rein staatliche Lösung zu setzen. Der Staat müsste sich für eine technische Lösung entscheiden - und sei dann für Jahre an diese gebunden. Technische Neuerungen aber könnten ihn plötzlich ins Leere laufen lassen.

Die Justizministerin kündigte bereits an, dem Bundesrat möglichst bald eine neue Vorlage unterbreiten zu wollen. Noch wolle sie aber nicht vorgreifen, in welche Richtung diese gehen könnte.

Nein zeuge von Misstrauen

Die wuchtige Ablehnung zur E-ID ist auch als Kritik am Verhalten von Konzernen zu verstehen. Das zeigt eine Kurzanalyse des Forschungsinstituts gfs.bern. Die Behörden hätten das Misstrauen grosser Teile der Bevölkerung zu wenig ernst genommen.

Die Datensicherheit sei bei der Stimmbevölkerung wichtiger geworden, heisst es in der Kurzanalyse. Die Gegner der Vorlage hätten sich erfolgreich gegen die Ausstellung der E-ID durch Private gestellt und mit diesem Punkt wirksame Zweifel an der Idee gestreut. «Unsicherheit gegenüber dem Verhalten der Konzerne und Zweifel am Nutzen einer E-ID prägten das Klima der Meinungsbildung.»

Auf Zugang zu wichtigen Märkten angeweisen

Zu den Siegern darf sich Bundespräsident und SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin (61) zählen. Er zeigte sich erfreut über die Annahme des Freihandelsabkommens mit Indonesien mit 51,6 Prozent. Das Abkommen trage erstmals zu nachhaltigen Lösungen bei und wahre die Interessen der Landwirtschaft, betonte Parmelin.

Der Bundesrat verstehe aber auch die Bedenken der Gegner, versicherte der Wirtschaftsminister. Die Gegner bemängelten in erster Linie den Abbau von Palmöl in Indonesien, welcher grosse Schäden für die Umwelt mit sich bringt.

Die Schweiz sei angewiesen auf den verlässlichen Zugang zu den wichtigen ausländischen Märkten. Der Bundesrat wolle sich weiter dafür einsetzen – im Einklang mit Mensch und Umwelt.

Nationale Abstimmungen 7. März 2021

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