Bei einer sehr turbulenten Ausgabe des Eurovision Song Contest amtete SRG-Geschäftsleitungsmitglied Bakel Walden (48) erstmals als Vorsitzender des internationalen ESC-Aufsichtsgremiums. Verständlich, dass er sich nach den intensiven Tagen im schwedischen Malmö etwas Ruhe und Ferien gönnen wollte. Daraus wird nichts: wegen des Triumphs von Nemo ist Walden als Mitglied der Geschäftsleitung der SRG für die Organisation der nächsten ESC-Ausgabe doppelt gefordert. Und arbeitet von den «Ferien» aus.
Blick: Herr Walden, wie blicken Sie auf den diesjährigen Eurovision Song Contest zurück?
Bakel Walden: Es war unglaublich intensiv. Am Ende gab es aber insgesamt drei ganz tolle Shows, die super Beiträge hatten und auch einen verdienten Siegersong der Schweiz. Daneben gab es viele Diskussionen intern – und vor allem extern. Für mein erstes Jahr als Vorsitzender des ESC-Aufsichtsrats gab es deshalb eine steile Lernkurve. Das hat mir unter dem Strich und auch mit ein bisschen Abstand viel Freude bereitet.
Die Teilnahme Israels war in Malmö ein Riesenthema, es gab viele Proteste. Der Nahost-Konflikt scheint sich nicht in absehbarer Zeit zu lösen. Wie will man in Zukunft mit diesem Thema umgehen?
Israel ist ein Mitglied der European Broadcasting Union und hat damit das Recht, beim ESC mitzumachen, solange die Kriterien erfüllt werden. Das war der Fall. Wir haben genau hingeschaut beim Beitrag von Israel, auch bezüglich des Songtextes, und am Ende wurde alles regelkonform eingereicht. Ich sehe, dass es bei dem Thema viele Emotionen gibt. Wichtig ist, dass die nicht in einen verbalen Hass und in Angriffe umschlagen. Es bereitete vielen Teilnehmenden Sorgen, was auf sozialen Medien und vor Ort abging.
Es hält sich das Gerücht, dass Israel wegen des dort ansässigen Hauptsponsors Moroccanoil nicht ausgeschlossen wird. Was ist da dran?
Die Diskussionen, die in Gremien geführt werden, sind weit weg von den Diskussionen um die kommerziellen Einnahmen. Das sind öffentliche Medienhäuser, die teilweise gar nicht von den Einnahmen profitieren können, weil die Sponsoren gar nicht gezeigt werden. Beispielsweise finden in Deutschland und in Grossbritannien diese Sponsoren gar nicht statt.
Eine norwegische Zeitung nannte den ESC in Malmö eine «Shitshow», in Deutschland sprach die «Bild» von der «Schande von Malmö». Wie gross ist der Reputationsschaden für den ESC?
Wenn man die Zuschauerbeteiligung, die Nutzung und die Abstimmung anschaut, hat der ESC die Leute begeistert und das finde ich positiv. Aber natürlich muss man aus den ganzen Diskussionen lernen, sowas will und kann man nicht jedes Jahr haben. Es geht hier nicht um einen Reputationsschaden, sondern um einen Auftrag und Hausaufgaben, Dinge weiterzuentwickeln und daran konstruktiv und relativ rasch zu arbeiten.
Es gab das Gerücht, dass sich verschiedene Teilnehmende vom Wettbewerb zurückziehen wollten. Stand der Event auf der Kippe?
Es gab mit Acts Diskussionen, bei denen verschiedene Dinge zwischen Delegationen besprochen wurden, es herrschte Unzufriedenheit und wir mussten Lösungen suchen. Da ging es beispielsweise um den Umfang von Drehs verschiedener Teams für soziale Medien. Das konnte man glücklicherweise lösen, alle Künstlerinnen und Künstler waren am Ende auf der Bühne.
Bakel Walden wurde 1975 geboren und studierte an der Universität Siegen (D) und Potiers (F) Medienplanung, -entwicklung und -beratung. Ab 2002 arbeitete er 10 Jahre bei RTL, zuerst als Volontär in der Unterhaltungsredaktion, später als Leiter Programmplanung und Entwicklung für Alpha TV. 2012 bis 2017 war er Bereichsleiter Programmstrategie SRF, seit 2018 Direktor Entwicklung und Angebot SRG. Mitte 2023 wurde er zum Vorsitzenden des internationalen Aufsichtsrat des Eurovision Song Contest gewählt.
Bakel Walden wurde 1975 geboren und studierte an der Universität Siegen (D) und Potiers (F) Medienplanung, -entwicklung und -beratung. Ab 2002 arbeitete er 10 Jahre bei RTL, zuerst als Volontär in der Unterhaltungsredaktion, später als Leiter Programmplanung und Entwicklung für Alpha TV. 2012 bis 2017 war er Bereichsleiter Programmstrategie SRF, seit 2018 Direktor Entwicklung und Angebot SRG. Mitte 2023 wurde er zum Vorsitzenden des internationalen Aufsichtsrat des Eurovision Song Contest gewählt.
Die Acts aus Litauen und Irland bezeichneten Erlebnisse am ESC als traumatisch. Können Sie das nachvollziehen?
Zu einzelnen Fällen kann ich nichts sagen. Ich weiss aber, dass wir im Austausch waren und das Ganze auch nachbesprechen. Wir sind gemeinsam gefordert, dass alle Freude haben und es auch eine positive und sichere Situation vor Ort ist. Diesbezüglich haben wir das Beste getan beim ESC in Malmö und werden auch daraus lernen für den kommenden ESC in der Schweiz.
Die Disqualifikation der Niederlande spaltete die Gemüter. Joost Klein wurde wegen einer Drohung von ihm gegenüber einer Kamerafrau vom Wettbewerb ausgeschlossen. War dieser Schritt wirklich nötig?
Es war ein sehr drastischer Schritt. Und man kann mir wirklich glauben, dass wir uns bei der ohnehin schon angespannten Lage alles andere gewünscht hätten, als noch diese zusätzliche Diskussion. Das Ganze war unvermeidbar. Es gab den entsprechenden Vorfall, der genau geprüft wurde im Gremium. Ich sehe, dass da viele Emotionen mitschwingen, aber es gab keine Alternative dazu. Für den ESC 2024 ist die Sache damit abgeschlossen, aber das Thema «Sicherheit bei der Produktion» wird für die Zukunft weiter diskutiert.
Wie wollen Sie verhindern, dass der ESC 2025 in der Schweiz ähnlich aufgeladen ist?
Die Weltlage ist eine grosse Herausforderung. Das kann man nicht planen. Wir müssen raschmöglichst anschauen: Wo gab es Probleme, was sind die Lösungen und hier auch die verschiedenen Länder herbeiziehen. Dabei darf man nicht vergessen, dass es ein Mitgliederwettbewerb ist. Jede Delegation ist verantwortlich dafür, dass es eine tolle Sendung wird. Und wir müssen das Erwartungsmanagement der Teilnehmenden ansprechen. Der ESC ist der grösste Musikwettbewerb der Welt. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Wir können beim ESC die Weltprobleme nicht lösen. Diesbezüglich braucht es eine Sensibilisierung. Wenn diese Punkte beachtet werden, kommen wir in eine deutlich bessere Richtung für den ESC 2025.
Was sind die grössten Herausforderungen für die SRG?
Sicherlich die knappe Zeit. So eine Sendung bräuchte sonst locker 18 bis 24 Monate Vorbereitung, jetzt haben wir ein knappes Jahr und man hinkt eigentlich immer etwas hinterher. Zudem ist die Sicherheit bei so einem grossen Event ein Thema. Sowohl vor Ort, aber auch die Cyber-Security im Netz. Gott sei Dank haben wir internes Know-how, aber auch Erfahrungen aus Mitgliedstaaten der EBU.
Welchen Wunsch haben Sie bezüglich Austragungsort?
Netter Versuch! (lacht) Ich freue mich, dass ich, egal wo der ESC in der Schweiz stattfindet, relativ schnell von zu Hause anreisen kann.
Wie herausfordernd ist der ESC für die SRG in Zeiten einer Halbierungsinitiative?
Klar schaut man bei der SRG genau hin. Gleichzeitig ist es aber auch eine tolle Chance und eine Herausforderung. Wir können mit dem ESC zeigen, was wir leisten können und was wir mit Partnern zusammen schaffen. Für die SRG ist der Eurovision Song Contest eine riesige Chance.
Mit welchen Mehrkosten muss die SRG rechnen?
Das kann man noch nicht sagen und hängt von vielen Faktoren ab. Wie werden die Einnahmen aufgeteilt? Was für Angebote und Partnerschaften werden eingegangen? Das spielt alles eine grosse Rolle in der finanziellen Planung. Und wir stehen jetzt am Anfang.
Was wünschen Sie sich für den ESC in der Schweiz?
Ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Schweiz mit der ganzen Vielfalt am ESC präsentieren kann. Und wenn es am Ende wieder das ist, was es sein soll: Dass die Kreativität, die Musik und die Acts im Vordergrund stehen. Dann ist es ein super ESC. Die Schweiz könnte der optimale Ort für die eine oder andere Veränderung sein.