Lys Assia (1924–2018), Céline Dion (56) – und jetzt Nemo (24)? Die Chancen stehen so gut wie lange nicht mehr, dass die Schweiz in der kommenden Woche den Eurovision Song Contest in Malmö (Schweden) gewinnen könnte. Nemo gehört mit «The Code» zur Spitzengruppe bei den Wettquoten.
Bereits seit letztem Sonntag weilt das Gesangstalent aus Biel BE am diesjährigen Austragungsort, zweimal stand Nemo schon auf der grossen Bühne in der Malmö Arena und konnte erste Bühnenluft schnuppern. Zwischen Proben und Interviewterminen nahm sich die Schweizer ESC-Hoffnung Zeit, um Blick zu erklären, was Nemos ganz persönliche Welt ausmacht.
Meine Familie
«Ich komme aus einer sehr kreativen, ein bisschen abgefahrenen und sehr liebevollen Familie. Mein Vater hat eine Werbeagentur, meine Mutter ist Journalistin und meine Schwester Fotografin. In meiner Kindheit habe ich immer sehr unterstützt gefühlt, meine Eltern waren immer für mich da. Für das Gefühl, als Kind geliebt zu werden, bin ich sehr dankbar. Dazu inspiriert mich die Kreativität, die in unserem Zuhause allgegenwärtig war. Ideen, die meine Schwester und ich als Kinder hatten, wurden nicht kleingeredet, sondern ernst genommen und gefeiert. Das war lässig, weil ich sah, dass meine Ideen einen Wert haben und geschätzt werden.»
Meine Heimat
«Biel hat mich kreativ sehr geprägt. In der Art, wie ich Musik mache, beispielsweise. Das Kind in mir ist immer noch in Biel zu Hause und das hole ich bei meiner Arbeit immer wieder ab. Bei jedem Titel, den ich schreibe, ist ein bisschen Biel dabei. Und das wird auch so bleiben.»
Mein Wohnort
«Ich bin nicht nach Berlin gezogen, weil ich wusste, dass es für mich der beste Ort ist zur Entfaltung. Es war mehr ein instinktives Gefühl. Am Ende war Berlin für mich der Ort, an dem ich mich zum ersten Mal seit langem wieder neu definieren durfte. In der Schweiz wurde ich mit 16 bekannt und bekam ständig Feedback. Dabei musste ich der Erwartungshaltung meines Umfelds, der Medien und der Musikwelt an mich gerecht werden. In Berlin konnte ich mich zum ersten Mal neuen Menschen vorstellen und entdecken, wer ich überhaupt bin. Vielleicht hätte es auch irgendeine andere Stadt sein können. Aber Berlin hat mir viele Freiheiten, Möglichkeiten und Orte gegeben, in denen ich mehr ausprobieren, mich wohlfühle und mich selber sein konnte.»
Meine Identität
«Sie war schon immer ein Teil von mir. Früher fehlten mir aber die Wörter und die Art, das zu beschreiben. In den letzten Jahren habe ich viele Konversationen gefühlt. Sowohl in meiner damaligen Beziehung, aber auch mit meiner Familie und Freunden. Dort merkte ich, dass sich die Nonbinarität für mich richtig anfühlt und ich mich weder als Mann noch als Frau definieren will. Bis ich damit an die Öffentlichkeit gehen konnte und wollte, ging es länger. Ich spürte sehr viel Scham und Einsamkeit am Anfang, weil ich nicht genau wusste, wem ich mich schon öffnen kann und wo ich mich wohlfühle.»
Mein Song
«Ich denke, ‹The Code› ist so cool geworden, weil ich ihn an einem Punkt geschrieben habe, an dem ich sehr viel Freude an meiner Nonbinarität hatte. Dieses Selbstbewusstsein spürt man im Lied. ‹The Code› beinhaltet sehr viel von meiner Geschichte, von der Reise zu mir selbst. Die schönen und die weniger schönen Seiten davon. Für mich ist das eine sehr emotionale Sache, das als Ganzes zu präsentieren. Dass ich den Titel dazu auf so eine Bühne bringen darf, das gibt es nicht oft im Leben. Am ESC will ich den besten Auftritt meines Lebens hinlegen. Und natürlich ist auch der Sieg das Ziel. Wir geben unser Bestes.»
Meine Show
«Die Inszenierung meiner ESC-Darbietung verlangt sehr viel von mir. Sie bietet Überraschungen, die alle zusammengefügt Sinn machen. Im Mittelpunkt steht diese Kreisel-ähnliche Plattform, und ich finde, es ist uns gut gelungen, mit diesem Requisit die Geschichte des Songs rüberzubringen. Als Glücksbringer habe ich übrigens auch einen ganz kleinen Kreisel, der die Plattform inspiriert hat. Dann habe ich eine Kette mit dem Abba-Logo dabei und ein ganz kleines Bärchen, das mir meine Grossmutter mitgegeben hat.»
Mein Liebe
«Die Liebe existiert gerade nicht (lacht). Spass beiseite: Das ist ein Thema, das ich für mich behalte.»
Mein Style
«Mode ist für mich ein Ort, um mich auszuleben, auszudrücken und Spass zu haben. Dort lerne ich jeden Tag dazu, auch Sachen über mich selber. Mein ESC-Outfit stammt beispielsweise von einer schwedischen Designerin, und dort finde ich es super, wie es während der Darbietung ein Teil von mir wird und sich das Material meine Bewegungen unterstreicht. Auch lässig war, als ich für die Aufnahme der Orchesterversion von ‹The Code› eine Nachahmung des Siegeroutfits von Céline Dion getragen habe. Das kann ich jedem für eine Kostümparty wärmstens empfehlen. Meine Nägel lackiere ich schon länger. Ein Termin im Nagelstudio gehört für mich zum Seelenwohl, es entspannt sehr. Dafür nehme ich mir immer Zeit, egal wie stressig alles ist.»
Mein Tick
«Ich verlege ständig irgendwelche Sachen. Das nervt mich sehr, aber ich weiss, dass es immer wieder in Phasen passiert, in denen viel läuft. Momentan ist es auch so. Wenn ich den Kopf bei der Sache habe, passiert es weniger.»
Der Eurovision Song Contest läuft wie folgt: erstes Halbfinale am Dienstag (21 Uhr, SRF zwei), zweites Halbfinale mit der Schweiz am Donnerstag (21 Uhr, SRF zwei) und das grosse Finale am Samstag (21 Uhr, SRF 1)