«Ich hoffe, dass ich immer Punk bleibe»
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Slam-Poetin Lara Stoll:«Ich hoffe, dass ich immer Punk bleibe»

Slam-Poetin Lara Stoll (33)
«Ich hoffe, dass ich immer Punk bleibe»

Sie ist das Enfant terrible der Schweizer Bühnenkunst: Lara Stoll (33). Gerade eben hat sie den wichtigsten Kleinkunst-Preis des deutschsprachigen Raums gewonnen. Ein Gespräch über Eier, ihre Jugend in Rheinklingen TG und den Vorteil von SRF-Serien.
Publiziert: 22.11.2020 um 11:18 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2021 um 15:21 Uhr
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Lara Stoll reitet auf einer Erfolgswelle: Sie ist Gewinnerin des Salzburger Stiers, des wohl wichtigsten Kleinkunstpreises im deutschsprachigen Raum.
Foto: Nathalie Taiana
Interview: Benno Tuchschmid

Mit Lara Stoll kann man nur schriftlich in Kontakt treten. Als es darum geht, einen Treffpunkt für dieses Gespräch zu vereinbaren, antwortet sie auf den Vorschlag, dies in einem kurzen Anruf zu erledigen: «Ich verabscheue Telefonate.» Wir treffen uns in einer Bar in der Nähe der berüchtigten Zürcher Langstrasse, wo die Thurgauerin jahrelang gewohnt hat, bevor sie vor kurzem in ein ruhigeres Quartier zog.

Wären Sprachnachrichten vielleicht eine Lösung für Sie?
Lara Stoll: Ist schon ein wenig besser als Telefongespräche. Aber auch kein «Träumli».

Was ist das Problem mit Anrufen?
Die Menschen, die anrufen, wollen Dinge, die ich nicht will. Ich habe Angst davor, zugetextet zu werden. Ausserdem höre ich nicht mehr so gut, vermutlich von zu vielen Punk-Konzerten. Ich habe meinen Ohren leider nicht so Sorge getragen.

Okay.
Es ist wirklich so, wenn mein Telefon klingelt, fühle ich ein unangenehmes Zwacken im Magen.

Hoffentlich passiert das nicht allzu oft.
Meine Freunde rufen mich nicht an, die wissen, dass das zu nichts führt.

Hat man Ihnen die Nachricht, dass Sie den Salzburger Stier, den bedeutendsten Kleinkunstpreis der deutschsprachigen Welt, gewonnen haben, auf die Combox gesprochen?
Nein, sie versuchten mich tatsächlich ein paar Tage lang zu erreichen. Ich hab nicht abgenommen, weil ich die Nummer nicht kannte. Meine Agentur schrieb mir dann, ich solle jetzt doch mal rangehen. Dann haben wir das Telefonat geführt, und ich habe gelernt, es gibt auch schöne Telefongespräche, voilà.

Was bedeutet der Salzburger Stier für Ihre Karriere?
Es ist ein kultureller Ritterschlag. Ich reihe mich da unter Künstlern ein, vor denen ich viel Respekt habe. Das gibt Selbstvertrauen. Im Moment spiele ich wegen Corona nicht viel, aber ich hoffe schon, dass die Leute mich nun längerfristig auf dem Schirm haben.

Das ist jetzt aber Understatement. Sie sind doch seit Jahren auf dem Schirm der Leute!
Ich habe schon das Gefühl, dass ich in den letzten Jahren vielleicht nicht gerade untergegangen bin, aber ich war zumindest in gewissen TV- und Radiosendungen nicht sehr präsent, in denen man halt präsent sein sollte. Das hat auch mit mir zu tun: Ich hatte andere Projekte, und ich habe einen gewissen Qualitätsanspruch an Auftritte, die dann für alle Ewigkeiten im Internet auffindbar sind, also liess ich es oft bleiben. Aber so wird es schwierig, interkantonal wahrgenommen zu werden.

Sie haben sich auch für eine gewisse Zeit ziemlich von der Bühne zurückgezogen. Wieso?
Ich wusste nicht, ob und wie ich auf der Bühne stehen will. Soll ich weitermachen mit meiner Art von Slam Poetry? Oder soll ich Comedy machen wie die anderen? Für mich hat sich herauskristallisiert: Ja, ich will das, was ich tue – und seit einigen Jahren investierte ich auch wieder sehr viel in meine Bühnenkarriere. Aber irgendwie kam es nicht voll ins Rollen. Jetzt steht da dann «Salzburger Stier» auf meinen Plakaten. Und das freut mich schon mega.

Wie radikal sind Sie eigentlich?
Auf der Bühne bin ich nicht sehr radikal. Es gibt schräge Momente, damit die Leute am Ball bleiben. Das kann sich darin äussern, dass ich laut werde oder einen Knallteufel ins Publikum werfe oder jodle oder ein Dada-Gedicht rezitiere, das niemand versteht. Aber das ist immer zugänglich. Ich will die Leute nicht schockieren, ich will unterhalten.

Radikal kann auch konsequent bedeuten.
Halbpatzige Sachen mag ich nicht, das stimmt. Wenn das radikal ist, dann okay.

Ist das Ihre Punk-Attitüde?
Schon, ich war ja auch wirklich mal ein richtiger Punk (lacht). Und ich hoffe, dass ich immer Punk bleibe. Für mich ist das Wort positiv besetzt.

Sie haben selbst mal gesagt: «Wichtig ist allein, selbstsicher aufzutreten und es mit Eiern zu tun.» Ist das Punk?
Absolut, und zwar mit allen Konsequenzen und egal, wie es in einem drin aussieht.

Wie entsteht Ihre Kunst?
Sie begegnet mir im Alltag. Ich befinde mich in der Schweiz in der luxuriösen Situation, dass ich mich darüber empören kann, dass die Pizza nicht geliefert wird, die ich bestellt habe. Da breche ich zusammen – und nehme es als Anlass, darüber einen Text zu schreiben. Ich mag aber auch Dada sehr – Dinge, bei denen man nicht weiss, wieso sie lustig sind. Wenn man zum Beispiel «Parmelin» wie «Hermelin» ausspricht.

In einer Nummer beschreiben Sie Guy Parmelin als Ihren Lieblingsbundesrat und stellen sich vor, dass er aus einer Nagetier-Familie stammt, die sich von Parmesan ernährt.
Ist doch herzig. Ist auch nicht böse, sondern einfach ein bisschen doof und lustig. Und tut nicht weh.

Ist es wichtig, dass es niemandem wehtut?
Muss nicht unbedingt sein. Aber ich ziehe lieber mich selber durch den Kakao als andere.

Der Humor in der Schweiz wird derzeit stark geprägt durch Künstler, die wie Sie aus der Poetry-Slam-Szene kommen. Hazel Brugger, Gabriel Vetter, Patti Basler, Renato Kaiser. Wieso?
Wir gingen zusammen durch diese Schule, in der man lernt, die Menschen innerhalb von kurzer Zeit zu packen und zu unterhalten.

Spielt der Wettbewerb auch eine Rolle? Im Poetry Slam geht es ja zu und her wie beim Leistungssport: U18-Meisterschaften, Schweizer Meisterschaften, Europameisterschaften.
Ich weiss nicht. Ich wollte jeweils schon gewinnen, aber es war nicht das Wichtigste. Wir Slam-Poeten mögen uns alle sehr.

Ach kommen Sie, das tönt jetzt wie beim Schwingen. Dort behaupten auch alle, sie seien Freunde.
Ja, vielleicht sind wir wie Schwinger (lacht). Ist doch schön – und sehr schweizerisch. In Deutschland geht es in der Szene viel härter zu und her.

Ab dem 29. November kommen die TV-Serie und das Radio-Hörspiel «Advent, Advent» auf SRF. Da spielen Sie und Gabriel Vetter in der Hauptrolle zwei Polizisten. Wie war das?
Ich war zum ersten Mal einfach Schauspielerin. Das war Neuland für mich. Ist schön, wenn man sich nicht noch ums Catering kümmern muss.

Wie würden Sie die Serie beschreiben?
Die ist etwas für Menschen, die Weihnachten lieben, und solche, die Weihnachten hassen. Also eigentlich für alle.

Wir müssen noch über Rheinklingen TG sprechen.
Ja, gern.

Dort sind Sie aufgewachsen. Liegt neben Schlattingen TG, wo Gabriel Vetter aufgewachsen ist.
Genau. Aber wir haben uns erst später kennengelernt.

Wo?
Beim Theaterspielen. «Sommernachtstraum» von Shakespeare auf der Kleinen Bühne in Schaffhausen.

Wie viel Rheinklingen steckt noch in Ihnen?
Ziemlich viel. Rheinklingen ist verantwortlich dafür, dass ich eine lebhafte Fantasie entwickelt habe.

Wieso?
Ich begab mich schon als Kind in eine Fantasiewelt, weil es einfach nicht so viele Kinder gab, mit denen ich mich hätte austauschen können. Das hat mir wohl ganz gutgetan.

Bis vor kurzem lebten Sie an der Zürcher Langstrasse. Eine ziemlich andere Welt.
Das war schon klare Kompensation. Mit 20 zog ich nach Winterthur mitten in die Stadt, und hier in Zürich lebte ich bis vor kurzem auch mitten im Kuchen. Aber seit einigen Jahren beginne ich das Grüne zu vermissen. Darum besuche ich oft meine Eltern. Es ist eine schmerzhafte Idylle, so schön ist es da.

In der Schweiz kann man als Bühnenkünstlerin nur überleben, wenn man auf dem Land und in der Stadt ankommt. Ist das schwierig?
Ich spiele sogar fast mehrheitlich auf dem Land. In all den Kleintheatern, Bibliotheken und Literaturetablissements irgendwo in der Pampa. Mein neues Programm ist urban geprägt, da geht es auch um Dinge wie Ramen-Suppen-Restaurants (japanische Nudelsuppen, Anm. d. Red.). Das kennt man auf dem Land weniger. Jetzt habe ich ein laminiertes Bild von einer solchen Suppe dabei. Manchmal merke ich schon, dass ich mich fast nur noch in einem Umfeld bewege, in dem niemand einen «normalen» Job hat. Ich weiss deshalb manchmal gar nicht mehr so genau, was andere Leute ausser meiner Generation in Zürich bewegt – und unsere Probleme sind oft etwas hirnverbrannt.

Corona war da ja ein grosser Gleichmacher. Plötzlich beschäftigt alle das Gleiche.
Ja, das stimmt. Corona hat in meinem Programm auch seinen Platz gefunden. Man muss diese Passagen dann natürlich dauernd anpassen.

Hatten Sie je existenzielle Ängste wegen Corona?
Ja, am Anfang sicher. Wer nicht? Wir wussten ja alle nicht, wie lange es geht und wie schlimm es ist. Ich glaube, das hat uns auf eine komische Art und Weise auch gutgetan.

Inwiefern?
Die ganze Gesellschaft hatte wieder einmal ein kollektives Problem. Wir Bewohner dieses Ponyhofs Schweiz mussten alle mal kurz vom Pferdchen steigen und uns fragen, was wir eigentlich alle zusammen wollen. Andere Länder haben permanent grosse politische Unruhen. Die Schweiz ist immer um vieles herumgekommen.

Und wie schlagen wir uns als Gesellschaft?
Bisher nicht schlecht. Aber die gesellschaftliche Spaltung bereitet mir schon Kopfzerbrechen. Es sitzen viele auf einem sehr hohen Ross. Bei diesen Corona-Skeptikern denke ich mir oft: Mann, es geht jetzt nicht um euch! Beruhigt euch mal!

15 Jahre auf der Bühne

Lara Stoll (33) ist in Rheinklingen TG aufgewachsen. 2005 trat sie zum ersten Mal an einem Poetry Slam auf – und wurde zu einer der Besten ihres Fachs. Stoll gewann unter anderem die Schweizer und die Europameisterschaft. Sie absolvierte das Lehrerseminar
in Kreuzlingen TG und schloss 2015 ihr Bachelorstudium Film und Regie an der Zürcher Hochschule der Künste ab. 2018 produzierte sie den Film «Das Höllentor von Zürich» mit und spielte darin die Hauptrolle. Das Werk gewann den Zürcher Filmpreis. Ab dem
29. November ist sie in der vierteiligen SRF-Krimiparodie «Advent, Advent» in der Hauptrolle zu sehen. Lara Stolls aktuelles Bühnenprogramm heisst «Gipfel der Freude». Sie arbeitet derzeit an einer Filmproduktion und einem Buch.

Nathalie Taiana

Lara Stoll (33) ist in Rheinklingen TG aufgewachsen. 2005 trat sie zum ersten Mal an einem Poetry Slam auf – und wurde zu einer der Besten ihres Fachs. Stoll gewann unter anderem die Schweizer und die Europameisterschaft. Sie absolvierte das Lehrerseminar
in Kreuzlingen TG und schloss 2015 ihr Bachelorstudium Film und Regie an der Zürcher Hochschule der Künste ab. 2018 produzierte sie den Film «Das Höllentor von Zürich» mit und spielte darin die Hauptrolle. Das Werk gewann den Zürcher Filmpreis. Ab dem
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