Lara Stoll im Porträt
Kinofilm zeigt Slam-Poetin benebelt in der Badewanne

Künstlerin Lara Stoll verbringt ihre Zeit eigentlich eher selten im Grünen – dafür umso häufiger benebelt und blutend in ihrer Badewanne, beim Jointdrehen im Wohnzimmer oder beim Sprücheklopfen in Theaterlokalen. Eine Begegnung.
Publiziert: 19.07.2018 um 15:27 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:14 Uhr
Kinofilm zeigt Slam-Poetin benebelt in der Badewanne
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Lara Stoll Slam-Poetin: Neuer Film:Kinofilm zeigt Slam-Poetin benebelt in der Badewanne
Dana Liechti

Die Haare fettig, die Lippen blutig, die Augen weit aufgerissen. Die Frau liegt in ihrem eigenen Urin in der Badewanne, hat sich den Duschvorhang um den Kopf gewickelt und weint. Die Rolle, die Lara Stoll im aktuellen Kinofilm «Das Höllentor von Zürich» spielt, zeigt sie un­geschönt. Mit der abgekämpften ­Figur im Film hat sie im echten Leben wenig zu tun. In ­einem schlichten T-Shirt und weissen, abgelaufenen Turnschuhen sitzt die zierliche Künstlerin im ­Botanischen Garten in Zürich. Hier tankt Lara Stoll, die sonst meistens den ganzen Tag in ihrer Wohnung verbringt, etwas Grün.

Man kennt sie vor allem als erfolgreiche Slam-Poetin – sie ist mehrfache Schweizer- und Europameisterin. Stoll ist 31, sieht aber jünger aus, als sie ist. Auf der Bühne ist sie laut, direkt, frech. Privat ist sie eher ruhig, vertrauenswürdig, spricht leise.

Ein paar Anzeichen lassen die Bühnenart durchblicken. Die lauten Lacher, die ihr ab und zu entwischen, und ihre manchmal jugendliche Sprache. Dass sie für ihren Kinofilm nicht nur ihren ­Körper malträtierte, sondern, um ihn zu finanzieren, auch Drogen verkaufte: Auf einem Crowdfunding-Portal bot sie selbst gedrehte Joints an. Entwarnung: Sie durfte die Dinger nicht verschicken und füllte sie stattdessen mit Ananas-Tabak.

Beim Sprechen fährt sich Stoll durch ihre in einem leichten ­Orangeton gefärbten Haare. Ihre Finger sind dünn, ihre Nägel kurz und unlackiert. Sie hat etwas von Heike Makatsch oder auch Alicia Vikander, mit ihren grossen, braun-grünen Augen, den vollen Lippen und feinen Gesichtszügen. Zartes Aussehen, wilde Art: Lara machts, wie es ihr gefällt. Sie leert ihren Briefkasten nur zweimal im Monat – «so gehe ich meistens ­gerade an der Mahnung vorbei» – und hat keine Ahnung, wo sie versichert ist.

Bei Trump zieht sie die Spass-Bremse

Sie macht sich über fast alles lustig, egal, ob Krankheiten, Terrorismus oder ihre Herkunft. Nur bei Trump zieht sie momentan die Bremse: «Ich finde das furchtbar, damit verharmlost man alles nur. Man sollte besser mal wieder ernsthaft darüber nachdenken, wie schlimm er ist.» Momentan arbeitet sie an ­ihrem Langzeit-Videoprojekt «Bild mit Ton», sie will einen unabhängigen, alternativen Sender aufbauen.

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Nicht vom Äussern täuschen lassen: Künstlerin Lara Stoll (31) hat es faustdick hinter den Ohren.
Foto: Anja Wurm

Mit ihrer Band Pfffff macht sie wilden Punk. Als Slam-Poetin hat sie weiterhin einen bis zwei Auf­tritte pro Woche. «Im Moment eine sichere Einnahmequelle», sagt sie. Und am 22. Juli erscheint der eingangs erwähnte, erste Kinofilm mit ihr in der Hauptrolle. Es ist eine Adaption des Hollywood-Dramas «127 Hours», in dem ein Bergsteiger den Arm zwischen Felsen einklemmt und ihn sich selbst amputiert. Bei Lara Stoll und Regisseur Cyrill Oberholzer spielen die wüsten Szenen nicht in einem Canyon, sondern in ihrer Badewanne, und nicht der Arm steckt zwischen ­Gesteinen, sondern der Zeigefinger im Abfluss. Die junge Frau geht durch die Hölle.

Acht Monate Drehzeit statt wie geplant zwei Wochen stecken hinter ihrem Filmdebüt und viele Grenzen, die überschritten wurden. Eigentlich hat Stoll vor nichts Angst, ausser manchmal vor sich selbst – und vor Dingen, die kriechen und seltsame Beine haben.

Trotz Insekten­phobie: Stoll drehte mit Kellerasseln und Riesenheuschrecken: «Ich hab mir dafür ­einen üblen Cocktail gemixt, mit Wodka, Temesta und Betablockern.» Und sie liess sich nackt filmen: «Während der Dreh­arbeiten waren Cyrill und ich noch ein Paar, das hat sicher geholfen bei den intimen Einstellungen. Ich weiss nicht, ob ich das mit einem anderen Regisseur geschafft hätte.»

Tagsüber verkriecht sie sich in ihrer Höhle

Die Beziehung zu Oberholzer zerbrach während der Dreharbeiten: «Wir haben uns aneinander abgerieben. Wenn man nur zu zweit für so lange Zeit auf engem Raum dreht, muss das Gegenüber für alles herhalten», sagt sie. Trotzdem: Die beiden sind noch Freunde und arbeiten weiterhin zusammen.

Lara Stoll stellte damals das künstlerische Schaffen über ihr Privatleben. Als Künstlerin verschwimme Arbeit und Freizeit aber sowieso. Stolls Freizeit spielt sich in einer Künstlerbubble ab. Während sie sich tagsüber häufig in ihrer «Höhle» im Zürcher Kreis 4 verkriecht, um zu schreiben, zu proben oder Filme zu drehen – «ich finde Abmachen zum Kaffeetrinken furchtbar» –, trifft man die Wortkünstlerin nachts draussen an. Dann gibt sie Gas – immer mit ­einem Glas Rotwein in der Hand.

Momentaner Gefühlszustand: Ganz schön verliebt

Stoll hat Ecken und Kanten. Genau wie ihre Kunst. Dass sie damit nicht nur auf positive Reaktionen stösst, ist ihr klar – und recht: «Ich würde nie einfach nur Mainstream machen wollen», sagt sie. Nur etwas ist schwer für sie: Wenn Leute ihre Eltern darauf ansprechen, was die Lara da schon wieder verbrochen habe. Denn ihnen wäre es wohl lieber gewesen, wenn Lara einen etwas konventionelleren ­Beruf gewählt hätte und im ländlichen Thurgau geblieben wäre, statt ins laute Zürich zu ziehen.

Doch schon als sie als Kind zum ersten Mal bei einem Laientheater in Schaffhausen spielte und in der Gymi-Zeit ihren ersten Poetry-Slam bestritt, war klar, dass ihr vorlautes Mundwerk ihr bestes Werkzeug ist. «Meine Familie lebt in einer ganz anderen Welt», sagt Lara Stoll. «Aber mittlerweile ist sie stolz auf mich und vertraut mir.» Sie ist gespannt, ob die Eltern ihren neusten Streich mit ihr im Kino schauen – die Tochter nackt, auf Drogen, beim Masturbieren – «dann wären sie für alles gewappnet», sagt Stoll.

Zumindest mit ihrem Privatleben sind die Stolls derzeit sehr zufrieden: Sie kommen gut aus mit ihrer neuen Liebe, einem 45-jährigen Zürcher Musikproduzenten und Clubbesitzer. Manche kennen ihn unter seinem Künstlernamen ­Kalabrese. «Wir sind seit acht ­Monaten zusammen. Da ist man noch recht verliebt und kann sich einiges vorstellen», sagt sie und lächelt verschmitzt. Momentan arbeiten sie gemeinsam an ein paar Songs.

Hat sie keine Angst, dass auch diese Beziehung zerbricht, weil Liebe und Arbeit wieder vermischt werden? «Schon. In gewissen Belangen würde ich die Kunst wohl wieder übers Privatleben stellen. Aber nicht um jeden Preis, dieses Mal würde ich sagen: Wir lassen es, damit das nicht noch einmal passiert», sagt Stoll. Und das will bei der Vollblut-Künstlerin was heissen. Darauf ein Glas Rotwein. 

«Das Höllentor von Zürich»: Premiere, 22. Juli, Riffraff, Zürich

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