Er wurde von Medienpionier Roger Schawinski (76) kürzlich zum grössten noch lebenden Volksschauspieler geadelt. Für Walter Andreas Müller (76) ein zu grosses Kompliment. «Das ist viel zu hoch gegriffen. Es gibt noch viele andere gute Volksschauspieler», sagt er bescheiden. Fakt ist: Spätestens seit seiner Verkörperung des Kellners Hans Meier in «Fascht e Familie» und seiner Stimmgabe an Globi seit den 70ern ist WAM in der ganzen Schweiz bekannt. Aktuell steht er als Papst Albert IV. im Stück «Am Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde» in Zürich auf der Bühne.
Herr Müller, Sie hatten in Ihrer Karriere so viele Rollen. Welche ist Ihre liebste
Walter Andreas Müller: Immer die, die ich gerade spiele. Also momentan der Papst. Ich habe mir sogar schon überlegt, mit dieser Rolle meinen Bühnenabschied zu geben. Diese Figur wäre ein schöner Abschluss.
Sie denken ans Aufhören?
Immer wieder. Und zwar aus dem egoistischen Grund, dass ich mir sage, ich sollte doch endlich das Leben geniessen und reisen. Aber wenn ich den 90-jährigen Vincenzo Biagi auf der Bühne sehe, finde ich, dass ich ja noch jung bin. Die Neugier auf neue Rollen ist bei mir immer noch zu gross.
Wie sieht ein Tag in Ihrem Leben aus?
Ich bin nach wie vor sehr tüchtig. Morgens bin ich im Büro und beantworte Anfragen für die verschiedensten Dinge; seien es neue Rollen, Presseanfragen oder Patronate für irgendwelche Sachen. Am Nachmittag gehe ich einkaufen, und am Abend folgt die Theatervorstellung. Ich habe Mühe, mich zu entspannen und in Ruhe zu Hause zu sitzen.
Wie entspannen Sie sich?
Wellness ist überhaupt nichts für mich. Ich staune immer über Menschen, die freiwillig gerne in eine Massage gehen. Das finde ich total langweilig, mich auf diese Liege zu betten und durchgeknetet zu werden. Entspannung finde ich im Garten oder am Meer auf dem Liegestuhl. Am Nachmittag gönne ich mir mittlerweile öfters ein Nickerchen.
Wo waren Sie zuletzt in den Ferien?
In Losone im Tessin, in meinem Lieblingshotel, im Albergo Losone. Im Juli fahre ich endlich mal wieder nach Nizza, das ist eine meiner Lieblingsdestinationen. Ich gehe zwar nicht im Meer schwimmen, aber am Strand ist mir wohl.
Wer begleitet Sie?
Ich gehe allein. Das mache ich schon seit vielen Jahren gerne, selbst, als mein Partner noch gesund war. Ich schätze die Unabhängigkeit. Man kann sich auch mal verlaufen, ohne dass jemand «hässig» wird. (lacht)
Sie gehören heute zu den bekanntesten homosexuellen Männern der Schweiz ...
Ist das so? Ich habe meine sexuelle Orientierung nie an die grosse Glocke gehängt und mich nie exponiert.
Wieso?
Ich mochte nie an vorderster Front mitkämpfen, war darum auch nie in einer politischen Partei. Man kann mir darum wohl ankreiden, dass ich ein Mitläufer bin. Meine Homosexualität habe ich meinen Eltern zuliebe auch lange unter dem Deckel gehalten. Ich glaube, das hat auch mit meiner Generation zu tun. Viele haben es geleugnet.
Haben Sie ein Schattenleben geführt?
Ich habe die Homosexualität ausgelebt, aber in einer gewissen Verborgenheit. Ich konnte lange nicht dazu stehen und habe mich auch geschämt, vor heterosexuellen Freunden dazu zu stehen.
Wünschen Sie sich rückblickend, dass Sie früher zu Ihrer Homosexualität hätten stehen können?
Ich denke ja. Es hat mir zwar nicht geschadet, aber es hat mir auch nicht genützt, dass ich meine sexuelle Orientierung privat hielt. Ich hatte immer Angst um meine Karriere, dass die Menschen das nicht goutieren und ich keine guten Rollen mehr kriege. Aber wieso sollte ein homosexueller Schauspieler keinen heterosexuellen Mann spielen können? Das macht keinen Sinn.
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Wird es im Alter schwieriger, Rollen zu bekommen?
Sicher nicht als Mann. Frauen haben es grundsätzlich im Theater schwieriger. Es gibt weniger Frauenrollen, Männer haben hier ein Privileg.
Sie stehen aktuell fast jeden Tag als Papst auf der Bühne. Wie religiös sind Sie?
Nicht sehr, aber ich würde mich als religiös bezeichnen. Ich wurde protestantisch erzogen, renne aber nicht jeden Sonntag in die Kirche. Vor allem aber liebe ich Kirchen.
Wie kommt das?
Auf Reisen liebe ich es, Gotteshäuser zu betreten, innezuhalten und Energie zu tanken. Dabei rede ich aber nicht mit einem alten Mann mit weissem Bart. Für mich ist es eher eine übergeordnete Macht – und ich hoffe, dass wir nach dem Tod nicht einfach zu Staub und Asche zerfallen.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
An ein Leben nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nach meinem Tod durch einen Blumengarten spaziere und alle vor mir verstorbenen Menschen treffe. Aber ich hoffe nicht, dass das Leben ein in sich abgeschlossener Zeitrahmen ist, sondern dass danach noch etwas kommt. Das Leben nach dem Tod ist aber nicht das Thema, das mich beschäftigt.
Sondern?
Der Tod selbst. Wie werde ich sterben? Wie verlasse ich diese Welt? Das würde schon sehr gerne wissen.
Walter Andreas Müller, kurz auch WAM genannt, wurde 1945 in Zürich geboren und wuchs im Quartier Wollishofen auf. Nach einer kaufmännischen Lehre am Bühnenstudio Zürich liess er sich zum Schauspieler ausbilden. Er feierte grosse Erfolge als Bundesrat-Parodist in der Satiresendung «Classe politique», als Darsteller von Hans Meier in der Sitcom «Fascht e Familie» und als Stimme von Globi, dem er seit den 70er-Jahren die Stimme leiht. WAM lebt in einem Erdhaus im Zürcher Oberland.
Walter Andreas Müller, kurz auch WAM genannt, wurde 1945 in Zürich geboren und wuchs im Quartier Wollishofen auf. Nach einer kaufmännischen Lehre am Bühnenstudio Zürich liess er sich zum Schauspieler ausbilden. Er feierte grosse Erfolge als Bundesrat-Parodist in der Satiresendung «Classe politique», als Darsteller von Hans Meier in der Sitcom «Fascht e Familie» und als Stimme von Globi, dem er seit den 70er-Jahren die Stimme leiht. WAM lebt in einem Erdhaus im Zürcher Oberland.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein, gar nicht. Natürlich wünsche ich mir, dass ich irgendwann abends einschlafe und am Morgen nicht mehr erwache. Aber mich beschäftigt eher die Art meines Todes.
Sind Sie Mitglied einer Sterbehilfeorganisation?
Ja. Ich bin seit vielen Jahren überzeugtes Exit-Mitglied. Wenn ich ein Pflegefall würde, nähme ich das wohl in Anspruch. Das wäre eine mögliche Lösung für mich. Nicht zuletzt auch, weil ich sehe, wie mein Partner leidet und eine ganze Welt für ihn zusammengebrochen ist.
Sie erzählten kürzlich in einem Interview, dass Ihr Lebenspartner, der einen Schlaganfall erlitt, nicht mehr bei Ihnen lebt, sondern im Pflegeheim. Wie schwierig war diese räumliche Trennung?
Wir beide wussten, dass es die richtige Entscheidung ist. Ich bin viel unterwegs, und er war allein zu Hause. Durch den monotonen Alltag mit Sudoku und Kreuzworträtseln habe ich gemerkt, wie er immer mehr in eine Depression gerät. Gemeinsam mit unserer Ärztin haben wir uns dann entschieden, dass ein Pflegeheim die beste Lösung ist. Dort hat er eine Tagesstruktur. Die konnte ich ihm wegen meines Terminkalenders nicht geben.
Wie geht es Ihnen mit dieser Entscheidung?
Es ist ein unglaublicher Einschnitt in meinem Leben. Im November sind wir seit 35 Jahren zusammen, die letzten zehn Jahre haben wir – durch die Krankheit – sehr intensiv miteinander verbracht. Und jetzt bin ich allein in diesem Haus. Das Bewusstsein, dass ich den Lebensabend wohl nicht mit meinem Partner verbringen werde, ist für mich das Schlimmste an dieser Entscheidung.
Ab dem 1. Juli 2022 können gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz heiraten. Ein Thema bei Ihnen?
Nein, wir haben das diskutiert, möchten diesen Schritt aber – auch krankheitsbedingt – nicht gehen. Doch ich freue mich natürlich darüber, dass die «Ehe für alle» endlich Realität wird.