Paff! Diese Watsche sitzt: In der Oscar-Nacht ohrfeigt Schauspieler Will Smith (53) den Komiker und Moderator Chris Rock (57) wegen eines miesen Witzes über die Frau von Smith. Später erhält der Schläger den Oscar als bester Hauptdarsteller, aber nicht für diese üble Attacke, sondern für seine Rolle im Spielfilm «King Richard».
Aber alle reden nur noch über «The Oscars Slap», Millionen weltweit rufen das Video ab und reiben sich ungläubig die Augen. Auch die Schweizer Radio-Satirikerin Stefanie Grob (46, «Zytlupe» auf Radio SRF 1) sitzt fassungslos vor dem Bildschirm. «Geht gar nicht!», sagt sie, «was ist das für ein Steinzeitbild von Männlichkeit, das Smith da im Jahr 2022 zelebriert.»
Parodist Mike Müller (58, Kim Jong Un, Mike Shiva u. a.) pflichtet ihr bei und sagt: «Nein, es gibt keine Rechtfertigung für diese Ohrfeige.» Es seien halt einfach zwei Trottel, die sich hauen, der eine verbal, der andere physisch, nicht mehr und nicht weniger. Kabarettist Beat Schlatter (60, «Ab die Post») sieht das gelassener und erkennt «einen gewissen Unterhaltungswert».
Comedy-Frau Jane Mumford (33, «Reptil») geht noch einen Schritt weiter, wenn sie sagt: «Ohne Gewalt verherrlichen zu wollen, fand ich es ziemlich lustig.» «Extrêmement drôle», doppelt der Westschweizer Humorist Thomas Wiesel (32, «Mauvaise Langue» auf RTS) nach. Es sei selten, dass ein einzelnes Ereignis die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich ziehe, ohne dass es schwerwiegende Folgen habe.
Zu den Folgen sagt der Arzt unter den Schweizer Comedians, Fabian Unteregger (45, «Zum Glück isch Fritig» auf Radio SRF 3): «Geringe Energie auf die Backe wirkt sich positiv auf die Gesichtsdurchblutung aus, quasi als Angriff getarnte Massage.» Bei mehr Energie wandele sich die Ohrfeige aber zum Schlag, der zu Kieferbruch, Gleichgewichtsproblemen und im dümmstem Fall zu Gehirnblutungen führen könne.
«So etwas macht dann schon sehr Angst»
Gleichgewichtsprobleme hat der zweite Comedian, der neben Chris Rock am selben Wochenende eine Backpfeife kriegt: Am Rande eines Boxkampfes in Dortmund (D) schlägt ein Rapper den deutschen Komiker Oliver Pocher (44) derart heftig auf die Wange, dass Pocher beinahe vom Stuhl fällt – Witzereisser scheinen aktuell einen schweren Stand zu haben.
Wie sieht das in der Schweiz aus? TV-Komiker Dominic Deville (46, «Deville Late Night» auf SRF) sagt: «Ich hatte einen Zuschauer einmal so sehr erschreckt, dass er mir eine runtergehauen hat – im Affekt.» Auslöser waren eine Torte, Konfetti und eine schaurige Gummimaske. Die Konsequenz für Deville: «Es war mein letzter Auftritt als Geburtstagsclown.»
Für Thomas Wiesel blieben physische Übergriffe ohne Folgen: «Man hat mich ein, zwei Mal am Kragen gepackt, das war aber nichts Gravierendes», sagt er. Der Lausanner ist überzeugt, dass die Antwort auf Worte Worte sein müssen. «Aber manche Leute sind im Umgang mit der Sprache nicht so gewandt wie mit der Hand», so Wiesel.
Satirikerin Patti Basler (45, «Nachsitzen») bedauert es fast ein wenig, dass gegen sie noch niemand handgreiflich wurde. «Meine letzte Hoffnung, dass auch mir endlich jemand verdienterweise eine aufs Maul gibt, schwand mit der Politpause von Jacqueline Badran», sagt sie mit einem Augenzwinkern. Nun bleibe nur noch Magdalena Martullo-Blocher, «aber seit sie sich als Gutmensch profiliert, fürchte ich, die ist gegen Gewalt».
Wie bedrohlich politische Gewalt sein kann, weiss Kabarettist Bänz Friedli (56, «S isch kompliziert») von einer Kollegin aus Deutschland: Letzte Woche habe sie ihm erzählt, dass ihr Name auf «Todeslisten» von Neonazis und extremen AfD-Anhängern gelandet sei – samt Wohnadresse und Telefonnummer. «So etwas macht dann schon sehr Angst», sagt Friedli.
Physische Übergriffe hat er selber noch nie erlebt, wohl aber verbale Gewaltandrohungen – wenn auch nur per Mail in der Anonymität und Dunkelheit der Nacht. «Dass da jemand zur Tat schreitet, habe ich nie befürchtet», sagt Friedli. Auch Mumford beobachtet, dass das Aggressionspotenzial in der Schweiz hauptsächlich virtuell sei: «Da braucht es keine Adresse mehr und nicht mal Frankierung!»
Andersrum adressiert Friedli seine Pointen im realen Auftrittsort ganz klar und direkt: «Ich versuche, auf die Ranghöchsten und Berühmtesten im Saal zu zielen.» In Basel erwarte jeder anwesende Nationalrat und jede Regierungsrätin geradezu, dass er sich über sie lustig mache – das gehöre zur dortigen Humorkultur. Aber das ist nicht überall so.
Primitive Zwischenrufe gegen Stefanie Grob
«Das Einzige, was ich erlebte, waren Zwischenrufe aus dem Publikum», sagt Friedli – einmal vom Zürcher Nationalrat und «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel (57). «Die sind oft ein Steilpass, den man möglichst schlagfertig parieren muss», so Friedli. Doch wie soll eine Frau auf primitive Zwischenrufe reagieren? So geschehen am letzten Wochenende bei einem Auftritt von Stefanie Grob.
«Ich trug eine klar als Satire erkennbare Politrede vor, in der ich vorschlage, den Männern das Stimmrecht zu entziehen», sagt Grob. Es sei ein Spiel mit der Argumentation, die Männer vor 50 Jahren gegen Frauen in der Schweiz anwandten. Während sie sprach, schrie sie ein Zuschauer an: «Du hesch sicher ke Maa! Das cha säch ja kenä aatuä.»
«Als er schrie ‹So was wie ich dürfe ja nie nach Bern ins Bundeshaus kommen›, hab ich gesagt ‹Wieso? Im Bundeshaus könnte es ein paar geschliffene, wortwitzig formulierte und souverän präsentierte Anträge ganz gut vertragen›», sagt die verheiratete Mutter dreier Kinder – der Saal war auf ihrer Seite, der Mann fortan still.
Ist das Publikum dünnhäutiger geworden?
«Das hat sich in den letzten zwei Jahren sehr zugespitzt», sagt Friedli. Nicht primär beim Saalpublikum in Theatern, das sei meist satiregewohnt. «Aber auf Radio-Satiren in der ‹Zytlupe› und den ‹Ohrfeigen› auf SRF 1 erhalte ich zunehmend gehässige Post, da wird mir per Mail und Whatsapp ins Studio dann rasch der ‹Idiot› und das ‹Arschloch› angehängt», sagt er.
Ist das Publikum dünnhäutiger geworden? «Ohne Zweifel empörungsfreudiger, aber nicht dünnhäutiger», sagt Deville. «Tatsächlich stelle ich eher eine regelrechte Dickhäutigkeit fest – gegen Mitgefühl, Empathie und, ja, Humor.»
Man dürfe trotzdem alles sagen, was man wolle, sagt Mumford: «Es gibt keine Zensur, Cancel Culture ist bei uns immer noch ein normales soziales Phänomen, mit dem wir – als soziale Tiere – gemeinsam bestimmen, was wir akzeptabel finden und was nicht», sagt sie. Aber man könne nicht erwarten, dass es keine Reaktionen gebe, wenn man in ein Wespennest steche.
Genau das treibt Stefanie Grob nach 20 Bühnenjahren noch immer an: «Ich will nicht aufhören, an die Grenzen zu gehen», sagt sie. «In der eigenen Bubble provokante Texte vortragen kann jede und jeder, aber ich will auch zu denen raus, die meine Denkweise nicht teilen.» Das möge nach naiver Idealistin tönen, mit Kabarettnummern und Texten die Welt verbessern zu wollen, «aber hey, immer noch besser als eins in die Fresse!»
Fazit: Die Kleinkunstkünstlerinnen und -künstler hierzulande sind kaum physischer, aber sehr wohl verbaler Gewalt ausgesetzt. Und was, wenn es mal richtig zur Sache geht wie in Hollywood? «Ich trage vorsorglich eine Brille», sagt Thomas Wiesel lakonisch. So sieht er immerhin gut, wenn ihm jemand eine Ohrfeige geben will.